: Die lädierte deutsch-deutsche Beziehungskiste
■ Sozialpsychologen aus Deutschland West und Ost analysieren im Rahmen einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung die »Furchen und Falten im Bild der Deutschen«/ »Lernziel Demokratie« und Selbstverantwortung auf beiden Seiten in weiter Ferne
Berlin. Eine Beziehung, wie sie in unseren Breitengraden noch immer typisch ist: Er sieht selbstgefällig über alle Schwierigkeiten hinweg, ist rasch mit wohlmeinenden Ratschlägen bei der Hand, noch ehe er überhaupt richtig zugehört hat. Sie ist entmutigt, weil dennoch alles nicht recht klappen will, und glaubt nur zu gern an seine selbstherrlichen Versprechungen. Wo Selbstzweifel und die Benennung eigener Schwächen angezeigt wären, avanciert er zum perfekten Verdrängungskünstler. Sie dagegen, beladen mit Minderwetigkeitsgefühlen, kann sich schwer dagegen wehren, auch noch mit seinen Sorgen belastet zu werden — und trägt letztendlich mit ihren Depressionen das nach außen, was er so kunstfertig verdrängt.
Ein typisches Beziehungsmuster, in das sich auch die scheinbar so selbstbewußten Westler und die angeblich so zaghaften und depressiven Ostler verstrickt haben. Dieses Paarmodell verwandte der Sozialpsychologe und Leiter des Gießener Universitätszentrums für Psychosomatische Medizin, Horst-Eberhard Richter, um am Dienstag abend in der Oberkirche des Französischen Doms die »Furchen und Falten im Bild der Deutschen« anschaulich zu machen. Weit über hundert Zuhörer und Zuhörerinnen waren zu der Veranstaltung erschienen, zu der die Friedrich-Ebert-Stiftung unter dem Motto »Lernziel Demokratie« neben Richter den in Halle praktizierenden Sozialpsychologen Hans-Joachim Maaz geladen hatte.
Die Ich-Bezogenheit und Erfolgsorientiertheit der Westdeutschen, so habe eine Studie seines Instituts nachgewiesen, ist laut Richter in den letzten Monaten erheblich gewachsen. So habe man vom Westen aus nur kurz mit Bewunderung auf die sich vollziehende Wende in der DDR geblickt, »dann jedoch weideten sich die Westler lieber an den Enthüllungen über SED-Bonzen«. Die auf der Straße von der Bevölkerung durchgesetzte Wende verwandelte sich in westlichen Köpfen in eine »reine Schlappe des Honecker-Systems, der alleinige Sieger hieß Bonn«.
Die Ereignisse kulminierten in »einer einzigen Huldigung für die Bonner Regierung« und die BürgerInnen aus dem Osten stimmten freudig ein. Denn wer und was man im Osten war, so Richter, das wußte man nur im Zusammenhang mit dem bestehenden System: Indem man sich damit identifizierte oder sich davon abgrenzte. Unweigerlich stürzte also mit dem SED-Regime auch die eigene Identität. Doch die Rettung aus diesem Identitätsvakuum war schnell ausgemacht: die bedingungslose Ergebung. »Alle Versprechen wurden bedingungslos geglaubt, man traute dem Westen jedes Wunder zu« und leistete so dessem selbstgerechter Vormundschaft auch noch bereitwillig Vorschub. Die daraus resultierenden Folgen sind nach Richters Ansicht nur konsequent: »Sich in innere Krisen einzufühlen, fällt den meisten Westlern schwer — also scherte sich niemand mehr um die signifikant unterschiedliche Selbstsicherheit und soziale Empfindsamkeit.«
Aus östlicher Sicht setzte der »Freudianer des Osten«, wie Hans- Joachim Maaz vielerorts schon bezeichnet wird, noch einen drauf: Eine »aktive Selbstbeteiligung« am Bauwerk Demokratie hätten die Deutschen aus dem Osten »nicht zustande gebracht«. Doch auch im Westen hätten sich die Menschen »nicht von innen her demokratisiert«: Während den Menschen im Osten in den letzten vierzig Jahren das »Mitlaufen« zur zweiten Natur wurde, hätten sich die Westler bereits 1945 dem »Sieger«, den Amerikanern unterworfen und angepaßt. Um so eilfertiger kämen die Westler dem östlichen Hilferuf »Bringt unseren Saustall in Ordnung« nach, könnten sie doch auf diese Weise verhindern, über eigene Verformungen nachzudenken.
Die im Westen vielgepriesene Freiheit sei lediglich die Möglichkeit, sich aus der Fülle von Angeboten eines auszusuchen — jedoch nicht die selbstbestimmte Freiheit, Grundsätzliches zu entwickeln oder zu verändern. Freiheit sei »nicht Kampf, sondern die Fähigkeit, Frieden mit dem Leben zu schließen«. So habe es sich am 18. März 1990 zwar um eine freie Wahl, nicht aber um die Wahl freier Menschen gehandelt. Und auch die westliche Demokratie trage diesen Namen zu Unrecht: Eine Demokratie schließe Gegensätze aus, statt einer gewählten Macht würden dort Kompetenz und Authentizität regieren. Nicht die Herrschaft sondern Integration sei Zeichen einer wahren Demokratie.
Beide, sowohl Maaz wie Richter, diagnostizierten eine tiefe Krise, in der das deutsche Volk zur Zeit stecke — eine Krise, an deren Ende entweder »Gewalt oder Erkenntnis« stehen. »Wie lange sollen wir uns noch demütigen lassen?« fragte Maaz und appellierte an die Anwesenden: »Wir müssen protestieren an jeder Stelle!« Die wieder einsetzenden Protestdemonstrationen, so Richter, seien immerhin bereits ein Anfang. Die »kritischen Geister aus dem Osten« müßten ermutigt werden, bei der Gestaltung des gemeinsamen deutschen Hauses energisch mitzusprechen. »Eine gemeinsame Verfassung kann nur unter engagierter Mitwirkung beider Seiten gemeinsam gestaltet werden«, meinte Richter, »wir müssen die Tradition der Runden Tische, der Mitsprache auch nach der Vereinigung fortsetzen.« Anstatt sich im Zusammenhang mit dem Golfkrieg für Drückebergerei zu entschuldigen, sollen die Deutschen aufgrund ihrer Geschichte lieber für eine internationale Abrüstungspolitik plädieren und so für die eigene Entwicklung und die der Beziehungen untereinander »offensiv einen neuen Begriff von Verantwortung prägen«. Martina Habersetzer
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