Der grüne Schrubber und die wilden Affen

■ Die Tanzfabrik zeigt »Der Riss« in der Theatermanufaktur

Wenn Gayle Tufts als grüner Schrubber verkleidet breithüftig der glitzernden Sabine Lemke in die Parade fährt und deren quirliges Kokettieren mit dem Publikum parodiert, dann schlägt zweifellos eine Sternminute der Tanzfabrik, die in der Revue Der Riss nicht ohne ironische Brechung mit ihren vertrauten Talenten glänzt. Wie durch den »Riss« in einem Theatervorhang darf der große Voyeur Publikum hier Fetzen des unzensierten Chaos hinter der Bühne sehen, durch das Gayle Tufts als befrackter Conferencier und ledergeschürzte Dompteuse leitet. Als »Riss« in der Wahrnehmung taucht hinter den altvertrauten Rollenbildern plötzlich eine andere Ebene auf.

Expressives Pathos und unbewußte Alltagsgesten treffen in der Stilisierung aufeinander. Ein Stapel Blechteller läßt die Kompanie, schwankend wie bei hohem Seegang, die asketisch Verhungernden des Revolutionsepos der zwanziger Jahre mimen, um im nächsten Moment in eher drastischer Horrorfilmsprache würgend das Nach-außen- Stülpen des Körperinneren anzudrohen. Mit einem Megaphon ausgestattet, dirigiert Helge Musial als russischer Regisseur Massenszenen, läßt die Pyramide der in die Zukunft Schauenden aufbauen, den Sturm gegen Mauern üben und endlos und immer wieder maßloses Entsetzen und hilfloses Zusammenbrechen exerzieren.

Die Körpersprache des kämpfenden Proletariats verquickt sich in der Erinnerung an vergangene Kabarett und Revue-Zeiten mit ekstatischer Dekadenz. Elemente von Gesellschaftstänzen funktionieren als Kostüme der Seele und Motor der Gefühle. In simultanen Duetten und Gruppenchoreographien pendeln die Tänzer zwischen dem automatisierten Ausdruck, der eine ihres Inhalts beraubte Form zitiert, und seiner narzißtischen Neubesetzung und Auflösung in einen schmeichelnden Körperfluß. Im Wirbel der Auftritte verwischen die großen Bilder zu der Wuseligkeit einer Fete, in der sich kleine Schwächen verspielen.

Haften bleibt vor allem die klar konturierte Rolle der Sängerin und Performerin Gayle Tufts, deren komische Mimik und präzise Gestik zwar eher an Oliver Hardy, denn an die beschworene Muse des Grotesken, Valeska Gert, erinnert. Sie bändigt die Schar wildgewordener Affen, haut den Rhythmus mit dem Hackebeil ins rohe Fleisch oder hämmert ihn in die Schreibmaschine. Sie zitiert den Chefchoreographen »Dieter« Heitkamp mit schriller Stimme auf die Bühne, damit er schlurfenden Schrittes Ordnung in die Requisiten bringt.

Ihre Interpretation der Lieder von Valeska Gert verleiht den Texten Gegenwärtigkeit. »Ich bin das Messer, ich bin scharf, ich schneide Fleisch und Brot, ich schneide Fleisch das lebt, ich schneide Fleisch das tot.« Doch diese Schärfe und physische Präsenz hält das von Tuft und Heitkamp konzipierte Stück nicht durch. Es fehlt der satirische Zugriff auf die Gegenwart. Giftig prallen nur die Farben der Kostüme in Grün und Orange aufeinander. Die Tanzfabrik erinnert an Valeska Gert wie ein Fanklub, der die damalige Kunst um Ausdrucksqualitäten beneidet, die die heutige Gesellschaft in der Aufweichung ihres Bildes nicht mehr ermöglicht und der einer sinnlichen Stärke und Schockwirkung der Kunst nachtrauert, die in der heutigen medial gebrochenen Kultur verloren gegangen ist. Katrin Bettina Müller

Der Riss von der Tanzfabrik Berlin. Theatermanufaktur am Halleschen Ufer, 14. bis 31.3. täglich, außer montags, 20.30 Uhr.