Begegnung auf dem Wäscheplatz

■ »Verriegelte Zeit« im Moviemento

Sibylle Schönemann, einst Filmemacherin in Babelsberg, fährt in ihre Heimat, die ehemalige DDR zurück. Nachdem sie 1984 verhaftet, verhört, wegen staatsfeindlicher Tätigkeit verurteilt, inhaftiert und 1985 in den Westen abgeschoben wurde, begab sie sich 1990 auf Spurensuche. Verriegelte Zeit ist der Versuch, die eigene Lebensgeschichte zu rekonstruieren. Und so zu erzählen, daß sie anders sein wird als die offizielle Version, die längst zwischen Aktenbergen begraben liegt.

Sibylle Schönemann durchläuft noch einmal die Stationen der Gefangenschaft. Aus dem Autofenster streift die Kamera Straßen, Häuser, Gesichter. Gleitet durch Räume, die inzwischen verlassen sind. Imitiert den Blick auf den alltäglichen Wegen durch die endlosen Gänge. Detektivisch werden Akten, Fotos und Briefe vor der Kamera gesichtet. In dokumentarischem Schwarzweiß wird festgehalten, wie es früher war und wie es heute ist.

Einige wenige Szenen werden nachgestellt. Im Stasi-Knast setzt sich die Filmemacherin auf einen Stuhl und zeigt, wie es war, für die Akten abgelichtet zu werden. »Ich wollte den Zuschauern mit ein paar Momenten vermitteln, was man mit den Leuten im Gefängnis gemacht hat, was es für ein Gefühl ist, ohnmächtig zu sein«, erklärt die Regisseurin rückblickend in einem Gespräch. Doch gerade die inszenierten Szenen spiegeln Sibylle Schönemanns Mühsal, sich selbst auf der Spur zu bleiben und die eigenen Erinnerungen zurückzuholen.

Für ihren Film spürt Schönemann Menschen auf, die damals über ihr Leben bestimmt haben. Und läßt Richtern, Stasi-Offizieren, Schöffen und Gefängnisaufsehern Zeit, in den Grauzonen des Gedächtnisses zu kramen.

Die Fragen der Regisseurin sind vorsichtig, nur auf den Gesichtern der Befragten wird ihre fatale Wirkung sichtbar. »Können Sie sich an mich erinnern?« »Finden Sie es komisch, daß ich jetzt hier bin?« Der Gefängniswärter wird auf dem Wäscheplatz überrascht. Er kann sich dunkel erinnern und gibt zu, daß es ihm mulmig ist. Die Gefangenen vergessen nicht, die Wächter schon.

Obwohl die Kamera auf Distanz bleibt, gibt es für die Interviewten kein entkommen. Sibylle Schönemann schafft es jedoch, die Macht des wartenden Blicks zu mindern, indem sie ihren Gegenübern ruhig begegnet. Und damit verhindert, daß der Film zum Tribunal mit vertauschten Rollen gerät. »Ich wollte den Leuten ohne Haß gegenüberstehen und ihnen die Chance geben, mir etwas zu sagen, zu erklären, vielleicht sogar sich zu entschuldigen. Die Ventile für meine Wut habe ich vor dem Film, danach und zwischen den Drehtagen finden müssen«, erzählt sie und beschreibt den »schizophrenen Zustand«, einerseits einen Film machen zu wollen, andererseits mit den eigenen Ängsten und Erinnerungen unmittelbar konfrontiert zu werden. »Manchmal war ich froh, wenn mich jemand nicht sehen wollte und eine Tür verschlossen blieb.«

Verriegelte Zeit dokumentiert den Versuch, Vergangenheit in und mit einem Film aufzuarbeiten und zu bewältigen. Aus Sibylle Schönemanns persönlicher Geschichte wird beim Betrachten jedoch allmählich auch ein anderer Film.

Bilder und Interviews beschreiben eine funktionierende Maschinerie, in der es nur Rädchen gab und gibt. Denunzianten, informelle Mitarbeiter, Befehlsempfänger fühlen sich nach wie vor nicht zuständig und verstecken sich hinter Gesetzen, der Pflicht oder der nächsthöheren Instanz. Einige machen viele Worte, ohne zu antworten. Die meisten haben sich von allem zurückgezogen. Die Vergangenheit scheint für immer hinter Schloß und Riegel. Michaela Lechner

Verriegelte Zeit, Regie: Sibylle Schönemann, Kamera: Thomas Plenert, Schnitt: Gudrun Steinbrück. BRD 1990, 90 Minuten, s/w. Ab heute im Moviemento bis 8. April, 20 Uhr.