Volker Faber Vater

Wie Volker Schlöndorff mit Max Frischs Roman „Homo Faber“ umging  ■ Von Kraft Wetzel

Die für diese Verfilmung entscheidende Szene ereignete sich 1987 in New York. Volker Schlöndorff beschreibt sie so: „Als ich in New York wohnte, von meiner Frau getrennt, unfähig, eine andere Liebe zu leben, also deprimiert, an die 50 Jahre alt — da schoß es mir, irgendwo auf der 55sten Straße, durch den Kopf: HOMO FABER! Ich habe Max Frisch einen Brief geschrieben, und so hat alles angefangen.“

Ein deutscher Regisseur in New York, Oscar-Preisträger, aber unterbeschäftigt, allein, „also deprimiert“, dazu „an die 50 Jahre alt“. Er sehnt sich nach Erlösung: durch die unbedingte Liebe einer jungen schönen Frau. Viele Männer nicht nur seines Alters träumen davon, manche machen Filme daraus: Patrice Leconte drehte Die Verlobung des Monsieur Hire und Der Mann der Friseuse, Bertrand Blier Zu schön für Dich, Fran¿ois Truffaut u.a. Der Mann, der die Frauen liebte.

Schlöndorff jedoch macht diesen Traum nicht direkt zu Film. Vielleicht flößt er ihm Angst ein: Angst vor den Phantasmen, dem Taumel des Erotischen. Jedenfalls packt er seinen Traum nur mit Messer und Gabel an. Und wie ein wohlerzogener Sohn benutzt er Große Literatur als Besteck: die Texte der Väter, Werke der Weltliteratur.

In dem Roman Homo Faber findet er die passende Stelle, die Lücke, in die er seine Phantasien zugleich einschießen lassen und sich von ihnen distanzieren kannn. Seine Erlösungsphantasie projiziert er auf Walter Faber, Frischs Hauptfigur. In sein Arbeitsjournal notiert er: „Als Faber Sabeth [die junge schöne Frau; K.W.] trifft, denkt er: ,Du bist, was ich sein wollte, als ich jung war. Was ich nie gelebt habe. Aber mit Dir könnte ich es leben.‘“

Hier spricht Schlöndorff. Für Frischs Faber war die Begegnung mit Sabeth nur ein Ereignis in einer Kette unbegreiflicher Zufälle, die wie Meteoriten in seinem Leben einschlagen und sein rationalistisches Weltbild zertrümmern. Schlöndorffs Faber dagegen ringt nicht mit dem Zufall, sondern mit der Notwendigkeit: mit seinem eigenen Begehren. Die Staudämme, die der Ingenieur Walter Faber in aller Welt errichtet, sind die Dämme, mit denen er seiner Lust Herr werden will: Sam Shepard, der „lone ranger“ des gehobenen US-Films, verkörpert ihn denn auch mit stoischer Unbeweglichkeit. Innerhalb der Konstruktion seines Charakters funktioniert Sabeth wie ein Pfropfen in diesem inneren Damm: Er kann nur herausgezogen werden, wenn er gleich wieder hineingesteckt wird. Denn daß seine Libido fließt, kann so ein Mann nicht aushalten. Was seinen Körperpanzer, seine Identität aufzulösen droht, muß er zerstören. Frisch beobachtet seinen Faber wie ein Insekt unter dem Mikroskop. Deshalb kann er es ungerührt aussprechen: Faber wird schuldlos schuldig am Tod Sabeths. Beim plötzlichen Anblick seines nackten Körpers erschrickt sie so heftig, daß sie eine Böschung hinunterstürzt und sich den Schädel bricht.

Schlöndorff dagegen identifiziert sich mit Faber. Er, der sonst penibel auf Werktreue pocht, ändert ausgerechnet dieses entscheidende Detail: In seinem Film stürzt Sabeth vor Schreck über den Biß einer Schlange, lange bevor der herbeistürzende Faber sie erreicht. Indem Schlöndorff Faber exkulpiert, verwandelt er eine tragische in eine jämmerliche Figur: Sein Pech ist, daß er sich aus all den jungen schönen Frauen dieser Welt ausgerechnet die eine falsche herauspickt. Hinter der Maske des Ödipus — am Ende trägt Sam Shepard eine undurchdringliche Sonnenbrille — verschwindet Frischs Einsicht: Für so einen Mann ist jede Frau die falsche. Schlöndorff will das nicht sehen: Das einzige Pressefoto, das der Verleih bei der Pressevorführung verteilen ließ, zeigt Sam Shepard, dem Julie Delpy, die Darstellerin der Sabeth, von hinten die Augen zuhält. Wovor hat ein Mann „an die 50 Jahre alt“ Angst, wenn er mit einer jungen schönen Frau ins Bett geht? Diese Angst zu versagen überlagert Schlöndorff mit einer anderen, mit der er umzugehen gelernt hat, der er vielleicht seine Produktivität verdankt: die Angst, vor den Vätern zu versagen. Bei jeder seiner Literaturverfilmungen setzte er sich, berichtet er im Presseheft, unter einen „wahnsinnigen Druck“: „Immer frage ich mich: Bin ich auf der Höhe des Romans? Eine Literaturverfilmung ist ein bißchen so, als würde man noch mal Abitur machen. Jeder Kritiker, jeder Zuschauer kann ja hinterher vergleichen. Eine richtige Examenssituation ist das.“ Die Mäntel der Väter, die er sich umlegt mit einem Stoff der Weltliteratur, könnten zu groß sein für ihn, er könnte lächerlich darin wirken. Diese Angst kann ihm nur einer nehmen: der Autor. Als er sich zur Verfilmung von Homo Faber entschließt, schreibt er als erstes einen Brief an Max Frisch; ein anderer Regisseur hätte seinen Agenten angerufen, damit sich der um die Verfilmungsrechte kümmert. Ihm bringt er denn auch den fertigen Film ins Haus, auf daß der ihn billige: jeder Schlöndorff-Film eine Fleißarbeit für Vater. Doch der alte Herr stellte das ersehnte Zeugnis — „Und es ist gelungen!“ — nur „mit ebensoviel Ironie wie Würde“ aus, wie das Presseheft verzeichnet.

Den um Anerkennung buhlenden Gast wies Frisch sanft darauf hin, daß ihm beim Schreiben des Romans andere Aspekte als die Faber/Sabeth-Affäre wichtig waren, und er sprach die feste „Meinung“ an, mit der Schlöndorff sich der Vorlage bemächtigt habe. Schlöndorff reagierte unwirsch: „Ich meine gar nichts. Ich bin Handwerker. Ich klebe ein Stück Film zusammen. Und dann ergibt sich Sinn. Viel hat sich so hergestellt, und ich habe gesagt: Gut, das bleibt so.“ Ich weiß nicht, was ich tue, aber ich kann's: das ist das Credo des Homo Faber.

Für Gerhard & Michael