EUROFACETTEN
: Das Kanzlerwort

■ Warum sich in der Hauptstadtfrage nichts bewegt

Wir Berlinerinnen und Berliner danken Richard von Weizsäcker, Hans Jochen Vogel, Willy Brandt und Hans Dietrich Genscher. Sie haben sich für Berlin als Regierungssitz stark gemacht. Doch haben der gute Mensch mit den schlohweißen Haaren, der Oberlehrer, das lebende Denkmal der Einheit und die dienstältesten Ohren der Welt einen Trend in dieser Frage setzen können? Null, wie man am Rhein so sagt. Warum bloß?

Zum einen hätten wir da Zehntausende Bonner Beamte, die alle etwas zu verlieren haben. Dieser Apparat ist nicht nur träge, er ist vor allem zäh. 84 Prozent der Bonner Regierungsangestellten befürchten bei einem Umzug nach Berlin persönliche Nachteile für sich und ihre Familie. Na gut, möchte man einwenden, mit solchen Problemen muß sich jeder Facharbeiter rumschlagen, der wegen Arbeitslosigkeit den Wohnort wechseln muß. Im Gegensatz zu Facharbeitern besitzen die deutschen Beamten aber einen breiten Arsch und haben stets eine Tube Pattex Superkleber im Schreibtisch griffbereit. Mobilität — von Kreativität reden wir erst gar nicht — wurde von ihnen noch nie verlangt. Deutsche Beamte sollen ihrem Arbeitgeber treu sein. Von Umzug war nie die Rede. Als die Mauer fiel, haben die Bonner Apparatschicks als erstes die Tube Pattex rausgekramt und sich auf dem Sessel festgeklebt. Da hocken sie nun — bis in alle Ewigkeit.

Der zweite Grund, warum sich in der Hauptstadtfrage nichts bewegt, heißt Helmut Kohl. Präziser: Das Schweigen des Helmut Kohl. Das kennen wir schon. Vor einem Jahr diskutierte ganz Deutschland über die Währungsunion. Die wildesten Gerüchte waren in Umlauf, die abenteuerlichsten Tauschkurse veröffentlicht, der Zeitpunkt für die Abschaffung der Ost-Mark völlig unbekannt. Sprich, Kanzler! Flehten die Medien, forderte das Volk. Der Kanzler aber hielt sein Maul. Als Kohl die Zeit für gekommen hielt, sprach er: Es werde 1:1 ab 1. Juli. Und es war so.

Je länger der Kanzler die Luft anhält, desto größer erscheint er, umso gewichtiger wird sein Wort. Während der Atempause wird er daheim seinen Fleischermeister — den mit dem Saumagen — nach der Meinung fragen und sich in geheimen Sitzungen von intelligenten Beratern informieren lassen, was seine Parteifreunde denken. Doch der Kanzler der Einheit hat seine Entscheidung im Grunde seines Herzens schon getroffen. Wir Berlinerinnen und Berliner vertrauen auf seinen sicheren Instinkt, auf seine pfälzische Schläue, seine Einsicht in historische Angelegenheiten. Bevor die Bundestagsabgeordneten im Sommer zur Abstimmung schreiten, wird Helmut Kohl seine Entscheidung bekannt geben. Er wird sagen: „Meine Damen Herren, das sage ich Ihnen hier in aller Offenheit, es kann doch überhaupt keinen Zweifel daran geben, daß Berlin die deutsche Hauptstadt war, ist und bleiben muß.“ Und alle werden glauben, daß er das schon immer gedacht hat. CC Malzahn