Ein Aspekt

Ob sie nun an den Ufern des Euphrat oder eines

anderen Flusses stehen,

Alle Heere gleichen sich,

Alle Schwerter sind gleich.

Das von den Hufen der Pferde zertretene Licht,

Ausgebreitet vom Flußufer bis zum Schlachtfeld,

Das von brennenden Zelten eingeschüchterte Licht,

All diese Szenen gleichen sich.

Nach jedem Anblick dieser Art breitet sich Stille aus,

Die den schrecklichen Lärm der Trommeln und

Standarten schluckt.

Eine Stille voller Klage und Protest.

Das ist nichts Neues, es ist eine sehr alte Geschichte,

Und der Mensch erträgt immer mit gleicher Miene

sein Schicksal.

Ob sie nun an den Ufern des Euphrat oder eines

anderen Flusses stehen,

Alle Heere gleichen sich. Iftikhar Arif

Wenn die Rezitationen namhafter Dichter und Schriftsteller aus Indien und Pakistan und das anfeuernde »bohot« (vortrefflich) und »wa« (exzellent) des Publikums verstummen, stimmen dieser Tage im Haus der Kulturen der Welt Tabla, Sitar und Harmonium die Klänge ihrer geteilten Heimat an. Zur vierten und zugleich letzten Lesungsreihe des Zyklus »Gesteht's! Die Dichter des Orients sind größer...«, in der sich bereits persischsprachige und arabische Autoren sowie solche aus dem turksprachigen Raum vorgestellt haben, sind nun Autoren zeitgenössischer Urdu-Lyrik und -Prosa geladen. Im Zuge der muslimischen Eroberung des Subkontinents hat sich die Sprache aus einem Mischstil des Persischen und des Hindi entwickelt, enthält aber auch Elemente aus dem arabischen und turksprachigen Raum. Urdu ist eine äußerst bilderreiche Sprache und seine Literatur ist einem überkommenen Symbolkontext verhaftet. Sie ist zwar Staatssprache für etwa 100 Millionen Menschen, jedoch in keiner der pakistanischen Provinzen beheimatet. So daß der Sprachenstreit zwischen den mit der Teilung zugewanderten Mohajiren und den einheimischen Sindhis in der gleichnamigen südpakistanischen Provinz immer wieder Sprengstoff für blutige ethnische und soziale Konflikte liefert. In seinem angestammten Herzland, im indischen Uttar Pradesh, das heißt in der Provinz um Delhi, Agra und Lakhnau, ist hingegen Hindi offizielle Amtssprache. Die über 20 Millionen Urdusprecher müssen hier darum kämpfen, daß ihren Kindern die elementare Schulbildung in Urdu ermöglicht wird; in einer Sprache, die zwischen 1500 und 1700 an den Höfen der Moghule ihre Blüte erlebte und fortan für Muslime, teilweise auch die städtische Hindubevölkerung die indische Kultursprache schlechthin war.

Am Dienstag las im Haus der Kulturen der 1943 in Indien geborene und nun in London lebende Lyriker Iftikhar Arif, dessen Gedicht »Ein Aspekt« wir dem von Christina Oesterheld herausgegebenen und soeben im Verlag Das Arabische Buch erschienen Sammelband entnehmen, der ebenfalls den Goethe zitierenden Titel »Gesteht's! Die Dichter des Orients sind größer...« trägt.

Heute um 19.30 Uhr stellen sich der 1930 in Pakistan geborene und in Delhi lebende Prosa-Autor Surendra Prakash und der 1935 im pakistanischen Lahore geborene und heute als Arzt dort lebende Autor Enver Sajjad vor. Dazu gibt es Rezitationen von Peggy Lukac und ein Tabla-Solo nach Volkstanzmotiven. Der Eintritt ist frei.Simone Lenz