Träume am Klo

■ »DEUTSCH in einem anderen LAND« mit Peter Brasch in der Freien Volksbühne

Die Freie Volksbühne widmet sich augenblicklich mit zwei zeitgenössischen Stücken dem mit der Wiedervereinigung neu aufgelegten deutschen Nationalismus. Neben Heiner Müllers Germania — Tod in Berlin wird Achternbuschs Auf verlorenem Posten gespielt, eine Inszenierung, in der der Schriftsteller Peter Brasch Regie führte. Ihm gab die Freie Volksbühne im Rahmen der sich als literarische Ergänzung zum Spielplan verstehenden Veranstaltungsreihe Deutsch in einem anderen Land am Mittwoch abend Gelegenheit, seine eigene schriftstellerische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit vorzutragen. Programm dieser Lesungsreihe, in der zuvor schon Stefan Heym, Rainer Kirsch oder Stephan Hermlin auftraten, ist es, Spuren einer eigenständigen Literaturgeschichte der DDR zu sammeln.

Brasch begann seine Lesung mit Aufzeichnungen zu Karl-Marx- Stadt, wo er drei Jahre lang gelebt hat. Der sächsischen Kleinstadt prognostiziert er im Stil flotter Sponti- Reflexion (»weiß der Bundesgeier«) die nach wie vor öde Zukunft eines »real vegetierenden Sozialismus«. Erkenntnisse, die auch ohne die triste Häme des Autors kaum jemandem entgangen sind.

Daran schlossen sich Texte aus dem gerade im Aufbau-Verlag erschienenen Band rückblenden an morgen an. Braschs Stilprinzip ist es hier, bekannte Klischees des DDR- Alltags spaßig zu wiederholen. Dabei kommen Sätze heraus wie: »Die Kellner kommen und gehen. Wir bleiben.« Mal sind es fade intellektuelle Diskussionen, die er in szenenhaften Skizzen zu karikieren versucht, häufiger Saufgeschichten »zwischen Hacke-Peter und Curry- Wurst«, die mit Visionen enden wie: »auf den Klos blühen die Träume«.

Mit diesen Textproben glaubt der Autor seine gesellschaftlichen Bedingungen adäquat rekonstruiert zu haben und wendete sich seiner eigentlichen dichterischen Profession zu: dem Fabulieren.

In der Geschichte vom Musiker Couperin, dessen Cembalo-Kompositionen zur Zeit des Absolutismus zur schlichten Unterhaltungsmusik verkommen, über deren Darbietung er mitsamt den Zuhörern einschläft, bestätigt sich zunächst die Irrelevanz von Kunst scheinbar für jedes Gesellschaftssystem. Der schlafende Musikus aber beginnt zu träumen und Brasch ergreift mit ihm die Gelegenheit, eine Flucht aus den Grenzen des Wirklichen zu imaginieren.

Auch wo diese Flucht scheitert, zur entlarvenden Karikatur institutioneller Machtverhältnisse wird, versteht Brasch seine Texte als Ausdruck einer künstlerischen Gegenwelt. Auf diese, so führte er in dem anschließenden Gespräch mit Rüdiger Mangel aus, käme es ihm mehr an, als um eine politische Wirksamkeit von Literatur, an die er im Stil von Friedrich Wolfs »Kunst ist Waffe« nicht mehr glauben möchte.

Als Alternative phantasiert er dazu eine Kurzgeschichte, in der er zusammen mit seiner tierischen, bei Grass abgekupferten Kopfgeburt »Ernst Wille« in »den unendlichen Weiten des kleinen Landes DDR verschwindet«. Braschs Protagonisten begeben sich in eine radikale Andersheit, mit der ihr Autor der Protesthaltung bedeutender Literaten, vor allem Hölderlin und Kleist entsprechen will. Dazu aber bedient er sich ausgerechnet einer Metaphorik, die aus dem nationalistisch-militaristischen Mißbrauch von Literatur nur allzu bekannt ist — beim Verlassen der ignoranten Großstadt steckt sich sein Protagonist die Gedichte Hölderlins in den Tornister wie vor ihm die Frontkämpfer der Weltkriege. Großspurig heißt es im vorgelesen Text: »Es gibt keine Wunde mehr, die mir und dem Tier geschlagen werden könnte.« Solche Selbstsicherheit trügt nicht zum erstenmal. Thomas Schröder