Die anderen stanken weiter

Betty Mahmoodys Erfolgsbericht „Nicht ohne meine Tochter“  ■ Von Susanne Enderwitz

Betty Mahmoodys Buch Nicht ohne meine Tochter hat einen beispiellosen Erfolg. 1987 erschien die deutsche Erstveröffentlichung, und inzwischen liegt die 36. Taschenbuchauflage vor. Worum geht es bei diesem Tatsachenbericht, was vermittelt er, und warum verkauft er sich so gut?

In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre heiratet eine Amerikanerin namens Betty in Houston ihren Traummann. Sayyed Bozorg Mahmoody stammt aus einer reichen iranischen Familie, hat in Amerika Medizin studiert und praktiziert dort als gutverdienender Anästhesist. Das Ehepaar verfügt über soziales Prestige („Moody stellte ein Mädchen ein“), der Ehemann beweist täglich seine Liebe („Moody überschüttete mich mit Blumen“), und die Ehefrau bleibt unbehelligt von lästigen Anpassungsleistungen („Moody war durch und durch amerikanisiert“). Als im Iran die Unruhen beginnen, die später zum Sturz des Schah und zur Errichtung der Islamischen Republik führen, gerät Mahmoody jedoch in eine Krise. Er identifiziert sich mit der religiösen Bewegung, leidet unter dem wachsenden Antiiranismus und gerät zudem in berufliche Schwierigkeiten. Die Krise greift auf die Ehe über, und allmählich muß Betty Mahmoody befürchten, ihr Mann könne die gemeinsame Tochter nach dem Iran entführen. 1984 tritt sie die Flucht nach vorne an und willigt in einen Familienbesuch in Teheran ein, um ihre Verpflichtungen der angeheirateten Familie gegenüber ein für allemal abzugelten; aber stattdessen bewahrheiten sich ihre schlimmsten Befürchtungen. Von den Gesetzen des Landes gedeckt, fängt Mahmoody Frau und Tochter zu prügeln an, hält sie im Haus fest und verweigert ihnen die Rückkehr, bis ihnen schließlich nach anderthalb Jahren die Flucht in die Türkei gelingt.

Betty Mahmoodys ganze Existenz in Teheran kreist um den Fluchtgedanken, und ihre gesamte Wahrnehmung steht in seinem Bann. Nur so läßt sich erklären, warum ihr trotz des engen Zusammenlebens mit Mahmoodys strenggläubiger Familie Dinge entgegen, die zum Grundbestand des Schiismus gehören. Obgleich seit dem 16. Jahrhundert die meisten Iraner Schiiten sind, nennt sie die Schia eine Sekte. Bei einer Pilgerfahrt nach Meschad fällt ihr nicht auf, daß sich dort das Grab des Imam Reza befindet. Stattdessen vermutet sie dieses Grab im Irak, was ihre Unkenntnis der wichtigsten schiitischen Kultstätten zeigt.

Das alles ist kein Bildungsproblem, sondern ein Indiz für Betty Mahmoodys begrenzte Aufnahmebereitschaft, die durch massive Vorurteile noch weiter eingeschränkt wird. Sie erkennt einzig und allein Amerika an, und zwar weniger im Sinn eines amerikanischen Nationalismus als in Form eines gläubigen Amerikanismus, an dem sie ihre Umgebung mißt. Über Abtrünnige vom Amerikanismus wie ihre amerikanische Feundin Ellen, die sich den Verhältnissen im Iran angepaßt hat, äußert sie fassungslos: „Wie konnte eine Amerikanerin — oder überhaupt irgend jemand — den Iran den USA vorziehen?“ Mit Konvertiten zum Amerikanismus wie ihren iranischen Freundinnen Chamsey und Zaree, die den größten Teil des Jahres in den USA verbringen, ist sie hingegen zufrieden: „Ein ganz neuer Kreis wunderbarer, liebenswerter Menschen, denen ein zivilisiertes Leben am Herzen lag, die ungeachtet ihrer Ursprünge eher amerikanisch als iranisch waren.“

Daß unter dieser Bedingung die weitaus größte Anzahl der Iraner auf Betty Mahmoody einen schlechten Eindruck machen, liegt auf der Hand. Während sie im Rahmen ihres Berichtes über ihre persönliche Leidensgeschichte anscheinend nur Beobachtungen wiedergibt, suggeriert sie in Wirklicheit ein vorgefertigtes Bild von den Iranern. Iraner sind stumpfsinnig: „Madschid war das einzige wirklich sympathische Mitglied von Ameh Bozorgs Haushalt, der einzige mit einem Funken Leben in den Augen.“ Iraner sind unartikuliert: „Augenblicklich war Moody in einer Menge von (...) Menschen eingeschlossen, die an seinem Anzug zerrten und vor Begeisterung heulten. Mehr als hundert Verwandte drängten sich um uns und kreischten, schrien ...“ Iraner sind unsauber: „Sie und der Rest ihrer Sippe zogen Tag für Tag die gleichen schmutzigen Kleider an (...) ,Ihr könnt nicht jeden Tag duschen‘, sagten sie (...) Der Streit ging unentschieden aus. Wir duschten weiter täglich. Ameh Bozorg und ihre Familie stanken weiter.“

Am reinsten tritt für Betty Mahmoody der iranische Nationalcharakter jedoch beim Essen hervor, an jener Scheidelinie also, die schon den mittelalterlichen Manierenbüchern zufolge (östlich wie westlich des Mittelmeeres) die Zivilisierten von den Rohen trennt: „Die Iraner saßen im Schneidersitz auf dem Boden (...) und stürzten sich auf das Mahl wie eine Herde wilder Tiere in verzweifelter Gier auf ihr Fressen (...) Innerhalb von Sekunden war überall Essen. Es wurde wahllos in die plappernden Münder geschaufelt, kleine Stückchen wurden überall auf die (...) Teppiche gespuckt oder tropften wieder in die Servierschüsseln zurück.“ Solche Passagen kann man nicht mehr mit einer voreingenommenen Wahrnehmung entschuldigen, sie sind offener Rassismus.

Die häufigen Ekelszenen dieser Art widersprechen nicht nur kraß meinen eigenen Erfahrungen im Mittleren Osten, sie widersprechen ebenso kraß den Vorschriften des Islam, an die sich Mahmoodys Familie angeblich über Maß und Ziel hinaus hält. Daß diese Leute vor Schmutz starren, ihre Nahrungsmittel wahllos mit Käfern und Würmern verzehren und ihre Kleinkinder gleichgültig auf die Teppiche pinkeln lassen sollen, wirkt schon angesichts der strengen Reinlichkeits- und Reinheitsgebote der Religion ungereimt. Man erhält den Eindruck, als werde der Propagandakrieg, der in den USA während der Geiselaffäre gegen den Iran (allerdings auch umgekehrt) geführt wurde, nur auf die Ebene des Persönlichen verlagert.

Dabei nimmt der professionelle Journalist, der Betty Mahmoodys Bericht in seine jetzige Form brachte, jede nur denkbare Rücksicht auf das Bedürfnis der Leser nach Authentizität. Die Heldin gibt auch Kritischeren einen Anhaltspunkt zur Identifikation, indem sie als Mutter wie eine Löwin um ihr Kind kämpft, sich als Frau gegen eine von Männern dominierte Gesellschaft stemmt und als Angehörige der westlichen Zivilisation sogar durch engstirnigen Fundamentalismus nicht kleinzukriegen ist. Den Erfolg dieser geschickten Manipulation beschreibt die „Autonome Iranische Frauenbewegung im Ausland e.V.“ resigniert: „Versuche, eine Gegenöffentlichkeit zu dem rassistischen Inhalt dieses Buches zu mobilisieren, schlugen selbst im linken Spektrum fehl.“

Betty Mahmoody: Nicht ohne meine Tochter; Bastei Lübbe Verlag; 543 Seiten; 16,80 DM;

im April erscheint Berndt Schulz: Die Betty Mahmoody Story. Das Buch — der Film — die Frau zum Filmstart am 11. April; 12,80 DM.