Das Wirtschaftsdesaster der UdSSR trifft Vietnam hart

Die finanzielle Unterstützung und der Handel zu Freundschaftspreisen sind Anfang des Jahres weggefallen/ Hanoi umwirbt ausländische Kapitalisten  ■ Von Larry Jagan

Ho-Chi-Minh-Stadt/Hanoi (taz/ dpa/afp) — Vu Khoan, stellvertretender Außenminister Vietnams, hat in dieser Woche eine Wende in der Außenwirtschaftspolitik seines Landes angekündigt. Vietnam habe angesichts der Veränderungen in Osteuropa und der zunehmenden Schwierigkeiten in der Sowjetunion „keine andere Wahl“, als sich wirtschaftlich stärker auf Asien und andere nichtkommunistische Länder zu konzentrieren, sagte Vu Khoan. Der Handel mit Japan, zur Zeit der zweitwichtigste Handelspartner Vietnams nach der Sowjetunion, steige rasch, ebenso der mit Singapur, Thailand, und Hongkong.

Wie ernst die Lage ist, schildert ein Bericht von Radio Hanoi: Vietnam hat danach jährlich aus der UdSSR zu Freundschaftspreisen, die in Rubeln gezahlt wurden, drei Millionen Tonnen Treibstoff, 2,5 Millionen Tonnen Düngemittel sowie 400.000 Tonnen Eisen und Stahl bezogen. Jetzt muß es diese Güter zu Weltmarktpreisen kaufen und die Rechnungen in harter Währung begleichen. Zudem sind Abkommen über den Export von Textilien, Kleidung und Schuhen nach Osteuropa und die Sowjetunion im vergangenen Jahr um mindestens 60 Prozent zurückgegangen und werden möglicherweise in den nächsten zwei Jahren völlig wegfallen.

Um sich neue Handelsmöglichkeiten zu schaffen, lädt das kommunistische Land jetzt häufig Geschäftsleute aus dem kapitalistischen Ausland ein und wirbt um Investoren. So fand in Ho-Chi-Minh-Stadt, ehemals Saigon, kürzlich ein gemeinsames Forum vom staatlichen Komitee für Kooperation und UN- Organisationen statt. 200 lokale Projekte, von der Herstellung von Gummistiefeln bis hin zum Bau einer Erdölraffinerie, boten sich dort für Joint- ventures an. Das kleinste Projekt umfaßt 240.000 US-Dollar zur Herstellung von Spitzenvorhängen in der nördlichen Hafenstadt Haiphong. Das größte Vorhaben ist die Errichtung einer Aluminium-Hütte und eines Wasserkraftwerks in Zentralvietnam, Kostenpunkt: 1,2 Milliarden Dollar.

Auf dem Forum bekräftigte der vietnamesische Vizepremier Vo Van Kiet, Vietnam werde an seiner liberalen Wirtschaftspolitik festhalten, mit der 1986 begonnen wurde. „Nur über einen Wandel von der zentralisierten Wirtschaft hin zu einem Marktsystem können wir eine Entwicklung Vietnams erreichen“, betete er das Einmaleins des Kapitalismus nach.

Obwohl Geschäftsleute aus Australien, Europa und den USA gekommen waren, interessierten sich doch vor allem asiatische Geschäftsleute für Vietnam als Markt. Seit 1987, als Vietnam die von allen sozialistischen Ländern liberalsten Investitionsgesetze für ausländische Unternehmen verabschiedete, sind über 200 Vorhaben im Wert von mehr als 1,5 Milliarden Dollar genehmigt worden. Ein Großteil dieser ausländischen Investitionen ist von europäischen und asiatischen Unternehmen getätigt worden — die auch und vor allem an der Erforschung und Erschließung der großen Öl- und Gas-Lagerstätten vor den Küsten interessiert sind.

Daneben gibt es jedoch auch andere Arten von ausländischen Investitionen. Vor allem in Ho-Chi- Minh-Stadt beteiligen sich Händler aus Südkorea, Hongkong, Thailand und Indonesien sowie Übersee-Vietnamesen an Kleinbetrieben. Welches Ausmaß diese Aktivitäten erreicht haben, kann die Regierung nicht einmal schätzen, sagt Nguyen Thien Thuan von der Staatlichen Plankommission.

In dem Bemühen, ausländisches Geld ins Land zu locken, hat die Regierung im vergangenen Jahr die erste exportorientierte Produktionszone in den Außenbezirken von Ho- Chi-Minh-Stadt eröffnet. Die Stadtverwaltung hofft, daß das Kapital dazu beitragen wird, die auf fast vier Millionen Dollar geschätzten Kosten für die Entwicklung der Infrastruktur zu decken. 40 ausländische Delegationen aus Japan, Südkorea, Thailand, Hongkong, Indoniesien, Italien und Frankreich haben seit September 1990 die Zone besucht.

Vietnam braucht jedoch auch und vor allem kurzfristigere Lösungen. Nach Angaben von Vu Khoan ist nämlich auch ein Handelsabkommen, das Anfang des Jahres zwischen der UdSSR und Vietnam abgeschlossen wurde, wegen der desolaten Verhältnisse in der Sowjetunion noch nicht umgesetzt worden. Vietnam rechne trotzdem fest mit den Lieferungen von Öl und anderen für Vietnam wichtigen Produkten, wie zum Beispiel Baumwolle, aus der Sowjetunion.

„Der Verkauf unserer Exporte an nichtkommunistische Staaten ist nicht leicht“, sagt Nguyen Tien Thuan von der staatlichen Plankommission; „wir haben uns zu lange vorwiegend darum gekümmert, unsere Märkte in der kommunistischen Welt zu erhalten. Nun müssen wir, wenn wir überleben wollen, an die ganze Welt verkaufen, mit deren Handelspraktiken wir nicht vertraut sind.“

Erschwerend kommt hinzu, daß die USA weiter auf den Wirtschaftssanktionen gegen das kommunistische Vietnam beharren. Diese Politik hält andere potentielle Auslandsinvestoren, wie zum Beispiel Japan, vor größeren Investitionen zurück. Dicht bleiben zudem die Geldhähne von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Hinzu kommt Vietnams chronischer Devisenmangel.

Um kurzfristig den Importbedarf trotz aller Schwierigkeiten decken zu können, schaut sich Vietnam dringend nach Barter-Abkommen um. Ein indonesischer Regierungsbeamter sagte in privatem Gespräch, daß seine Regierung während eines offiziellen Staatsbesuchs im vergangenen Jahr von Vietnam darum angegangen worden sei, indonesischen Dünger gegen vietnamesischen Reis, Sojabohnen, Mais und Kohle zu tauschen.

Große Erleichterung hat in dieser Situation die Entscheidung der Europäischen Gemeinschaft ausgelöst, normale Beziehungen zu Hanoi herstellen zu wollen. Beamte des Wirtschaftsministeriums hoffen vor allem auf Hilfe aus Italien, Frankreich und Deutschland. Darin mischt sich auch die Erwartung, daß Bonn die guten Beziehungen der DDR übernehmen und die Entwicklungshilfeprojekte fortsetzen wird.