10.000 Stahlkocher protestieren in Riesa

 ■ Aus Dresden Delef Krell

Sie werden am 17. April zur Treuhand nach Berlin fahren, die Stahlarbeiter aus Riesa, Großenhain und Zeithain und Gröditz. Zehntausend Stahlarbeiter hatten am Dienstag auf einer Demonstration in Riesa ein regionales Strukturkonzept gefordert. Aus Protest gegen die schleppenden Tarifverhandlungen legten sie vorübergehend ihre Arbeit nieder. Mehr als die Hälfte der 50.000 Einwohner Riesas leben vom Stahl. Ohne Stahl, warnten die Demonstranten, stirbt die Region.

Seit einem halben Jahr sitzt die Berliner Treuhand auf dem Strukturkonzept der Stahl- und Walzwerke Riesa AG. Jetzt ist die Geduld der Beschäftigten am Ende. Auch die Unternehmungsverwaltung, wie Arbeitsdirektor Emmerlich der taz erklärte, steht hinter den Forderungen der Stahlwerker nach Sicherung ihrer Arbeitsplätze.

Im Oktober hatte der Vorstand in der Treuhand ein mit der Mannesmann AG erarbeitetes Strukturkonzept vorgelegt, am 21. Januar eine Neufassung nachgereicht. Doch erst seit einer Woche zeigt der Mammutdirigent der ostdeutschen Wirtschaft Reaktion. Inzwischen arbeiten 6.000 von 9.000 Stahlarbeitern kurz oder gar nicht. Von Glück können sie reden, daß Mannesmann nach wie vor interessiert ist, in die Rohr GmbH Zeithain einzusteigen, einen Betrieb mit 1.900 Arbeitsplätzen. Das Riesaer Stahl- und Walzwerk sieht wenigstens bis 1993 Chancen für die Stahlformgießerei, doch auch hier sehen die Auftragsbücher nicht mehr so gut aus wie im Herbst.

Auch die Belegschaft der sächsischen Edelstahlwerke GmbH in Freital folgte dem Aufruf der IG Metall und legte gestern für eine Stunde die Arbeit nieder. Neben den gewerkschaftlichen Tarifforderungen war wieder scharfe Kritik an der Treuhand angesagt. Betriebsratsvorsitzender Peter Welzel berichtet von 21 Arbeitsgruppen, die seit Dezember in einem gemeinsamen Ausschuß des Edelstahlwerkes und der Thyssen AG an einem Sanierungskonzept feilen. Nächste Woche läßt sich nun endlich die Berliner Treuhand zu einem Gespräch mit Thyssen und den Freitalern herab. Von 4.020 Stahlwerkern müssen bis Jahresende 900 gehen. „Wir haben mit der Unternehmensleitung ein Sozialpaket vereinbart“, erklärt der Betriebsrat. Noch reichen die Umschulungsplätze nicht für alle zu entlassenden Stahlwerker. Doch die nun endlich in Gang kommenden Gespräche zwischen dem Investor auf der Wartebank und der Über-Leitung in Berlin entscheiden über die Zukunft von 3.100 Menschen. Peter Welzel beschreibt die Stimmung beim Warnstreik als „sehr gereizt“.

Weitere Warnstreiks gab es gestern in der Maxhütte Unterwellenborn in Thüringen, im Stahl- und Walzwerk Brandenburg, in Eisenhüttenstadt und in Henningsdorf.

Bei den Tarifverhandlungen für die rund 80.000 Beschäftigten der Eisen- und Stahlindustrie in den fünf neuen Ländern fordert die IG Metall eine Angleichung der Einkommen an das Tarifniveau von Nordrhein- Westfalen bis zum 1. April 1993. Bereits vom 1. April 1991 an sollen die Löhne und Gehälter auf 65 Prozent des Westniveaus steigen.

Der gewerkschaftlichen Forderung nach einem Programm „Arbeit für Sachsen“ kam gestern im sächsischen Landtag die SPD-Fraktion entgegen, als sie ihr Wirtschaftsprogramm vorstellte und so auf die wiederholt kritisierte, konzeptionslose Arbeit des Wirtschafts- und Arbeitsministeriums antwortete. Zwar fand Staatssekretär Münch wenig Neues an diesem Papier, er zählte lieber auf, wie viele Investoren ein Spielbein auf sächsisches Territorium setzen wollen. Doch bei den künftigen gewerkschaftlichen Aktionen nicht nur in der Stahlindustrie dürften die sozialdemokratischen Vorstellungen für „organisierten Umbau statt drastischen Abbau“ eher Gehöhr finden als pauschaler Optimismus, daß der Standort Sachsen für Investoren immer attraktiver werde.

Auch FDP-Wirtschaftssprecher Hielscher konnte es in der Landtagsdebatte zur Arbeitsmarktsituation kaum fassen, daß es immer noch Mitglieder der Exekutive gebe, die blind dem freien Spiel der Marktkräfte vertrauen.