Die Verpackungskünstler von Bonn

Heute debattiert der Bundesrat über die von Umweltminister Töpfer vorgelegte Verordnung zur Eindämmung der Verpackungsflut/ SPD-Länder, Bayern und Hessen verlangen Verschärfung des immer weiter verwässerten Regelwerks  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) — Die Köpfe der Ministerialen rauchen, Beamtenrunden absolvieren Marathonsitzungen und verabschieden Latten von Änderungswünschen, Wirtschafts- und Umweltminister vereinbaren Extratreffen: Wenn der Auftrieb um die im Hause des Bonner Umweltministers Klaus Töpfer ausgeheckte Verordnung zur Eindämmung der Müllflut — „Verpackungsverordnung — Verpack VO“ — sich irgendwie positiv auf die Qualität des Regelwerks niederschlägt, dann müßte am Ende ein wahres Wunderding dabei herauskommen.

Doch es sieht nicht danach aus. Wenn sich der Bundesrat auf seiner heutigen Sitzung dem Tagesordnungspunkt Nummer 35 zuwendet, dann liegt auf dem Tisch nicht nur ein in den vergangenen Wochen auf Druck der Industrie heftig verwässerter Entwurf, sondern auch ein stattliches Bündel von insgesamt 49 Änderungsempfehlungen der verschiedenen Unterausschüsse der Länderkammer.

Streit ist also angesagt. Der verspricht insbesondere deshalb einen aufregenden Verlauf, weil sich die Länderregierungen bei ihren Vorstellungen über Mehrweg- und Einwegflaschen, Kunststoffverpackungen und Müllrecycling oder Müllverbrennung nicht zwanglos entlang der Parteizugehörigkeit einsortieren. So will die bayerische Staatsregierung der Töpferschen Verordnung nur nach bestimmten Verschärfungen zum Beispiel bei den Mindestquoten für Mehrwegflaschen zustimmen. Unter der Führung des neuen Öko-Zampanos Peter Gauweiler (CSU) stimmten die Bayern im Umweltausschuß der Länderkammer gleich mehrfach mit den SPD-regierten Ländern gegen den Töpfer-Entwurf. Ähnliches wird von den Vertretern der scheidenden hessischen CDU-Regierung vermeldet. Um die Verwirrung komplett zu machen, stehen sich an diversen Knackpunkten der traditionell industriefreundliche Wirtschaftsausschuß und der Umweltausschuß der Länderkammer ziemlich unversöhnlich gegenüber. Gauweilers Sprecher Günter Graß erklärte forsch gegenüber der taz, sein Chef werde sich auf „keine Mauscheleien“ mit anderen Ländern mehr einlassen, nicht mal „um den Preis einer Niederlage im Bundesrat“. Ein zusätzliches Klärungsgespräch der CDU/CSU-Umweltminister war dennoch für gestern anberaumt.

Im Hause Töpfer beobachten die verantwortlichen Verpackungskünstler das Ländertreiben mittlerweile mit einer Mischung aus Resignation und Verwirrung: „Nicht ganz durchsichtig“ sei gegenwärtig, wer überhaupt was vertrete. Viel politisches Schattenboxen sei wohl auch im Spiel angesichts einer Bevölkerung, die die Müllawine mittlerweile als eines der zentralen Umweltprobleme der Republik erlebt. Wenn das schöne Regelwerk noch eine Weile „zerredet“ werde, müsse man „den Eindruck gewinnen, daß das mit dem Müllnotstand so schlimm doch nicht sein kann“, lästert ein leitender Ministerialer.

Doch es geht weniger um mutwilliges Zerreden als darum, der vor Jahresfrist mit hohen Erwartungen gestarteten Initiative nicht auch noch die letzten Zähne zu ziehen. So besteht der Umweltausschuß der Länderkammer darauf, daß bestimmte ökologisch bedenkliche Verpackungen entsprechend gekennzeichnet werden. Auch „Stoffverbote“, wie sie kürzlich auch der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen unmißverständlich gefordert habe, seien grundsätzlich „unumgänglich“. Außerdem will die Mehrheit im Umweltausschuß bei Einwegverpackungen eine stärkere Verpflichtung zum Recycling (Fachjargon: „stoffliche Verwertung“) festgeschrieben wissen. Nur so könne „erreicht werden, daß Verpackungen nicht mehr auf den Markt kommen, bei denen weder eine Wiederbefüllung noch eine stoffliche Verwertung möglich ist“.

Eine Mehrheit des Umweltausschusses verlangt — mit eng begrenzten Ausnahmen —, daß künftig die besonders umstrittenen Kunststoffverpackungen nur noch auf den Markt kommen, „wenn sie wiederverwendbar oder zur stofflichen Verwertung geeignet sind“. Der Gesundheitsausschuß fordert zusätzlich eine Kennzeichnungspflicht für Verpackungen aus Kunststoff und ein PVC-Verbot. Der allgegenwärtige Stoff verursache „zahlreiche, ernste Umweltprobleme“ und sei ohne große Mühe durch andere Kunststoffe wie Polyäthylen ersetzbar, die weit weniger die Umwelt belasten.

Die geplante Rücknahmepflicht für Verpackungen muß sich nach Auffassung des Umweltausschusses auch auf den Versandhandel erstrecken. Quelle und Otto zum Beispiel sollten „gebrauchte Verpackungen ohne Kosten für den Endverbraucher zurücknehmen“. Außerdem sollen Hersteller und Handel generell verpflichtet werden, nicht nur den Verpackungsmüll aus den Haushalten ihres Einzugsgebietes zurückzunehmen, sondern auch den aus Kasernen, Krankenhäusern, Behörden und Gewerbebetrieben.

Die zahlreichen Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Umweltministerium und der Bundesratsmehrheit (in diesem Fall stimmten Bayern und Hessen mit den SPD- regierten Ländern) schienen in den vergangenen Tagen an der Frage der Mehrwegflaschen zu kulminieren: Nach Töpfers Verordnungsentwurf braucht der Handel auf Einweg-Getränkeverpackungen (also zum Beispiel Bierdosen und Einwegflaschen) weiterhin kein Pfand zu erheben, wenn erstens die Wirtschaft ihr privates Rücknahmesystem bereitstellt und zweitens „der Anteil für Mehrwegverpackungen dieser Getränke insgesamt nicht unter 72 Prozent sinkt“. Bei Milch soll dieser Anteil gar nur bei 17 Prozent liegen. Der Ländermehrheit ist das zuwenig. Sie will statt dessen eine gesplittete Mindestmarge für Mehrwegflaschen: 90 Prozent bei Bier und Mineralwasser, 80 bei Cola und Limo, 35 bei Fruchtsäften, 50 bei Wein und schließlich ebenfalls nur 17 Prozent bei Milch. Außerdem soll der Anteil der Mehrwegverpackungen im Zwei-Jahres- Rhythmus „mit dem Ziel der Anhebung“ überprüft werden. Gauweilers Abgesandte wollten gar ein generelles Verbot der umweltschädlichen Getränkedosen festschreiben, scheiterten mit diesem Ansinnen allerdings schon in den Ausschüssen. Die nun geplanten Mehrweg-Quoten, argumentiert der Bundesrats- Umweltausschuß, habe die Bundesregierung schließlich seinerzeit mit der Wirtschaft abgestimmt, woraufhin diese allerdings „keine Aktivitäten unternommen“ habe, sie auch zu erreichen. Im Gegenteil: Die Entwicklung beim Mehrweganteil gehe in die „entgegengesetzte Richtung“, was eine „verbindliche Zielfestlegung“ erzwinge.

Die Müllfachleute im Umweltministerium argumentieren gegen die gesplittete Quote der Länder mit dem EG-Recht. Verzögerungen seien vorprogrammiert, wenn die Länder den „Glaubenskrieg“ weitertrieben. Das EG-Land Dänemark allerdings hatte bereits vor Jahren Einwegbehälter für Bier und Sprudel völlig verboten und sich mit diesem Beschluß 1988 auch vor dem Europäischen Gerichtshof durchgesetzt.

Der aktuelle Bund-Länder- Streit hat eine zusätzliche pikante Facette: Die meisten der nun mühsam wieder in Änderungsanträge gegossenen Wünsche des Bundesrats-Umweltausschusses waren nämlich unter den Ländern noch vor wenigen Wochen nahezu unumstritten. Damals drohte also ein Frontalangriff auf Töpfers Verordnung. Erst im Februar kippten offenbar unter dem Druck der Wirtschaft die Mehrheiten. Mit der knappen Mehrheit der unionsregierten Länder schwenkte der Bundesrat nahezu vollständig auf die Bonner Regierungslinie ein. Ähnliches könnte in der heutigen Sitzung noch einmal — und diesmal endgültig — passieren: Schon der Wirtschaftsausschuß widersprach in fast allen wesentlichen Punkten den Änderungsvorstellungen der Kollegen vom Öko-Ausschuß. Mit einem Entschließungsantrag soll zudem das Bundesratsplenum, so wünscht es sich jedenfalls der Wirtschaftsausschuß, dem bedrohten Handel an der Verpackungsfront demonstrativ der Rücken gestärkt werden. Insbesondere die Mittelständler sähen sich durch die Verordnung mit „unverhältnismäßigen Belastungen“ konfrontiert, heißt es da. Folgerichtig könne die Verordnung nur in der von Töpfer vorgelegten handzahmen Fassung „akzeptiert werden“. Es ist zu befürchten, daß die Länder-Ministerpräsidenten am Ende doch lieber den Ökonomen folgen als den Ökologen.

Die Verpackungsindustrie scheint unterdessen von dem Bonner Gerangel gänzlich unberührt: 650 Unternehmen der Branche fragte der Logistiker Professor Rolf Jansen von der Uni Dortmund nach ihrer Perspektive. Keiner von ihnen glaubt, daß die Nachfrage nach seinen Produkten abnimmt.