Kein Strom für die Ewigkeit aus Kalkar

■ Der SNR-300: Chronologie eines technologischen Niedergangs — und explodierender Kosten

Die Geschichte des Schnellen Brüters ist für seine Verfechter die einer ununterbrochenen Folge technischer und wirtschaftlicher Enttäuschungen. Versprochen wurde einst eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle für die Menschheit, ein „Perpetuum mobile“, das aus vergleichsweise winzigen Mengen des Kernbrennstoffs Uran Strom für die Ewigkeit produziert. Nicht- spaltbares Uran-238 sollte während des Betriebs im sogenannten Brutmantel des Reaktorkerns in den Spaltstoff Plutonium-239 verwandelt werden und dann — nach der Wiederaufarbeitung — wiederum als Brennstoff dienen. Doch der zu Beginn der Atomenergie-Euphorie in den sechziger Jahren befürchtete Uranmangel blieb aus. Das Hauptargument für die Entwicklung einer neuen Reaktorlinie über die konventionellen, mit spaltbarem, „angereichertem“ Uran-235 betriebenen Druck- und Siedewasserreaktoren hinaus war dahin. Aus dem Prototyp-Reaktor wurde im Jargon der Betreiber und der sie stützenden Politiker ein Forschungsreaktor. Strom sollte er am Ende nur noch liefern, um die erwarteten Betriebskosten zu begrenzen. Wäre die Kettenreaktion in Gang gesetzt worden, hätte das Monstrum — nach dem Einbau eines entsprechend modifizierten Reaktorkerns — nicht mal mehr gebrütet, sprich: mehr Brennstoff produziert, als er verbraucht.

Ab 1957/58: Erste Arbeiten an der Bruttechnologie im Kernforschungszentrum in Karlsruhe (KFK).

1965: Der Projektleiter der Brüter-Gruppe im KFK, Häfele, veranschlagt die Kosten für einen 300-Megawatt-Brutreaktor auf 350 Mio. Mark.

1966: Das Bonner Forschungsministerium bewilligt Gelder für den vom KFK und Siemens/Interatom geplanten Brutreaktor.

1972: Bundesregierung beschließt Förderung der Brütertechnologie; der Auftrag zum Bau des SNR-300 geht an die Schnell-Brüter-Kernkraftgesellschaft (SBK), eine Tochter des Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerks, der Preussen Elektra, des Badenwerks und der belgisch-niederländischen Partner. Erste Teilgenehmigung im Dezember. Kostenvoranschlag jetzt: 1.535 Milliarden.

1973: Erster Spatenstich im April am Tag nach Ostern.

1975: Im April überrascht Bundesforschungsminister Matthöfer (SPD) die Öffentlichkeit mit einem neuen Kostenvoranschlag: 2.280 Milliarden. Bei der größten von zahllosen Demonstrationen protestieren am 24. September 70.000 bis 80.000 gegen den Brüter. Größtes Polizeiaufgebot, das je gegen eine Anti-AKW-Demo aufgeboten wurde.

1978: Neuer Kostenvoranschlag im März: 3,2 Milliarden. Im September tritt NRW-Wirtschaftsminister Riemer (FDP) mit der Idee an die Öffentlichkeit, in dem Reaktor Plutonium umzuwandeln: „Plutoniumbrenner“. Im Dezember stimmt das Bundesverfassungsgericht dem Bau des Brüters grundsätzlich zu, wenige Tage später beschließt der Bundestag mit den Stimmen der sozialliberalen Koalition die Baufortsetzung mit „Inbetriebnahmevorbehalt“.

1980: Neuer Kostenvoranschlag im Oktober: 5,0 Milliarden.

1982: Der nächste Kostenvoranschlag im September: 6,5 Milliarden. Im Dezember beschließt die Regierung Kohl/Genscher nach dem Bonner Machtwechsel Fertigstellung und Inbetriebnahme des Brüters.

1983: Unmittelbar nach der Bundestagswahl im März erklärt der letzte SPD-Forschungsminister Andreas von Bülow den Brüter zum technologischen Ladenhüter. Zuvor hatte er ihn kräftig gefördert.

1985: Zwei Tage vor der Landtagswahl schickt NRW-Ministerpräsident Rau (in Erwartung des Einzugs der Grünen in den Landtag) einen Brief an Bundeskanzler Kohl, in dem er die „Sinnhaftigkeit“ des Brüters bezweifelt. Fraktionschef Farthmann will das „Höllenfeuer“ nicht entfachen. Im Oktober erteilt NRW-Wirtschaftsminister Jochimsen (SPD) die 17. Teilgenehmigung; es sollte die letzte bleiben.

1986: Hersteller Interatom erklärt den SNR-300 für betriebsbereit.

1987: Jochimsen verweigert die Genehmigung zur Einlagerung der Brennelemente, die in Hanau bereitliegen. Argument: Die Katastrophe von Tschernobyl mache neue Sicherheitsgutachten notwendig. Herstellerunterlagen u.a. über zahlreiche Projektänderungen liegen nicht vor.

1988: Bonner Haushaltsausschuß bewilligt „Wartekosten“ von 35 Millionen Mark pro Jahr. Gleiche Beträge tragen Hersteller und Betreiber in spe.

1990: Im Mai verliert Nordrhein-Westfalen gegen Bundesumweltminister Töpfer vor dem BVG in Karlsruhe: Die Neubewertung des umstrittensten Reaktors der Atomwirtschaft im Lichte von Tschernobyl fällt ins Wasser.

1991: Bundesforschungsminister Riesenhuber verkündet das Aus für den Brüter. Kostenpunkt (Forschungsgelder exklusive): 7,5 Milliarden. Gerd Rosenkranz