Ikarus ist aufgeschlagen und endgültig tot

■ Seit Monaten schon wurde die Entscheidung erwartet, nun ist es da, das endgültige Aus für das "technologische Wunderwerk" vom Rhein, den Brüter von Kalkar. Freude, aber auch Bitterkeit...

Ikarus ist aufgeschlagen — und endgültig tot Seit Monaten schon wurde die Entscheidung erwartet, nun ist es da, das endgültige Aus für das „technologische Wunderwerk“ vom Rhein, den Brüter von Kalkar. Freude, aber auch Bitterkeit nach 20 Jahren harter Auseinandersetzung beherrschten nach der Bankrotterklärung von Forschungsminister Riesenhuber die Gefühle alter AKW-Gegner.

Bauer Maas ist erleichtert. Zwanzig Jahre, nachdem der Kampf um den Brüter begann, ist für ihn vor allem wichtig, „daß wir schließlich doch noch gewonnen haben“. Während Forschungsminister Heinz Riesenhuber in Bonn gerade das endgültige Aus für den Brüter in Kalkar im Detail begründet, ist die erste Reaktion des berühmtesten Anti-Atom- Landwirts Josef Maas eindeutig: „Ich freue mich sehr darüber, vor allem für die Bevölkerung der näheren Umgebung“. Er selbst gehört nicht mehr dazu, vor Jahren war er entnervt von den Auseinandersetzungen nach Ostwestfalen geflüchtet. Wehmut komme bei ihm trotzdem nicht auf; vor Ort in Kalkar, so der knorrige Landmann, gab es ja noch die Bürgerinitiative, die weitergekämpft habe, als er weggezogen sei.

Auf den Weiden von Bauer Maas hatten sich neben den Kühen auch immer wieder die Demonstranten versammelt — und der Bauer hatte schon Anfang der siebziger Jahre gegen des technologische Monstrum geklagt. „Meine Familie und ich haben den Kampf nur stellvertretend geführt.“ Das sei aber kein besonderes Verdienst, sagt der Landwirt, der Haus und Hof verlor. Es hätten damals noch zwölf andere potentielle Kläger bereitgestanden. „Aber es konnte ja nur einer klagen.“

Auch Gerda Degen, der längst pensionierten „Tigerin von Kalkar“, ist die Erleichterung anzumerken. Schließlich habe sie „zig Jahre seit 1971 damit zugebracht, den Brüter zu bekämpfen“. Es klingt aber auch Bitterkeit mit, wenn die alte Dame sagt: „Wir nehmen es gerne so entgegen und verzichten auf Gerechtigkeit.“ Soviel Schlimmes sei passiert, und viel besser, wenn das jetzt nicht in die Öffentlichkeit kommt. Es sei zum Beispiel eine „ungeheure Ungerechtigkeit“ gewesen, wie damals die Verfahren verschleppt wurden, um die Kläger zu entmutigen.

Wenn man mit einem Dampfer der Weißen Flotte vom Ruhrgebiet nach Holland den Rhein entlangschippert, steht das Monstrum Brüter seit zehn Jahren unverrückbar da, als Betonmonument der siebziger Jahre. Alte Menschen auf den Ausflugsdampfern fragen ihre jungen Begleiter immer wieder nach dem grauen Sieben-Milliarden-Ding, das sich vom Schiff gegen den niederrheinischen Himmel abhebt. Rundherum mit Wassergräben bewehrt und mit Nato-Draht umzäumt, erinnert das Techno-Fossil an eine mittelalterliche Trutzburg, von denen es eine Reihe am Niederrhein gibt.

Im Koma lag das Brüterprojekt spätestens seit 1985. Nach 14 Jahren und 17 Teilerrichtungsgenehmigungen waren der NRW-Landesregierung so große Zweifel an dem Brüter gekommen, daß sie vor der 18. und abschließenden Teilerrichtungsgenehmigung nun besonders genau hinzuschauen begann. Der Unfall in Tschernobyl ein Jahr später tat ein Übriges, um dem Brüter politisch waidwund zu machen.

Aber auch bei den potentiellen Betreibern war der Brüter seit Anfang der achtziger Jahre ein eher unbeliebtes Kind. Die beteiligten Holländer und Belgier hörten schon 1983 auf, weiter zu zahlen. Die milliardenschwere Beton- und Stahlfestung am Rhein beschäftigten nurmehr Verwaltungen und Gerichte. Die Erkenntnis, daß der Brüter unabhängig von Sicherheitsproblemen auch politisch nicht durchsetzbar sein würde, sickerte nun endlich auch bei der regierenden Koalition in Bonn durch. Otto Graf Lambsdorff, Atombefürworter von Gottes Gnaden, aber auch Freund unverblümter Worte, nannte den Brüter schon im Vorjahr „einen toten Vogel“. Für 250.000 Mark am Tag, 315 Millionen in den vergangenen Jahren, wurde das Brut-Tier warmgehalten. Knapp 200 Leute arbeiteten bis zum Schluß noch in Kalkar. In den Hochzeiten waren es über 3.000 gewesen.

Während der Koalitionsverhandlungen Anfang 1991 wurde klar, daß nun das letzte Stündchen für den Brüter geschlagen haben würde. Noch bevor überhaupt der Koalitionsvertrag stand, trafen sich in Bonn die übriggebliebenen Betreiber RWE, Badenwerk und PreussenElektra mit dem Hersteller Siemens und der Bundesregierung. Noch zweimal, Ende Januar und Mitte dieser Woche, versammelte sich die Trauergemeinde. Dem „toten Vogel“ sollte eine angemessene Beerdigung ausgerichtet werden. Gestern war es dann soweit. Forschungsminister Riesenhuber verkündete das Ergebnis der Beratungen: „Es kann nicht mehr erwartet werden, daß das vom Land Nordrhein-Westfalen durchzuführende Genehmigungsverfahren für den SNR 300 (Brüter) in Kalkar mit Erfolg abgeschlossen wird.“ Die lebensverlängernden Geräte werden abgeschaltet, der Brüter ist tot. Es gibt kein Geld mehr für den laufenden Betrieb und die Inbetriebnahmen. Zwar liege die Verantwortung für den Tod des Projekts bei der Landesregierung Nordrhein-Westfalen, dennoch betonte Riesenhuber: „Es gibt keine Rechtsgrundlage für Regressionsforderungen.“

Damit haben sich die Genehmigungsbeamten in Nordrhein-Westfalen mit ihrer Linie durchgesetzt. Riesenhuber gestand seine Niederlage ein, als er von einer falschen und schlechten Entwicklung sprach, die er aber akzeptieren müsse. Noch vor Tagen hatte die Bonner CDU Nordrhein-Westfalen Regreßforderungen angedroht, weil sie den Brüter zu Tode geprüft hätten. Im zuständigen NRW-Wirtschaftsministerium hieß es dagegen immer, es werde nach Recht und Gesetz geprüft. Und wie zur Bestätigung von Riesenhuber teilte das Ministerium auch jetzt noch einmal mit, daß „auf absehbare Zeit“ keine Genehmigung hätte erfolgen können.

Während die Pappeln in Kalkar- Hönnepel ihre Köpfe in eine strahlenfreie Zukunft richten, die Windmühlen von sorglosen Jugendgruppen bestaunt werden und die Wochenendler aus dem Ruhrgebiet weiter ungestört die Rheinufer stromauf und stromab zum Campen nutzen, ist die Zukunft des Geländes selbst jetzt ungeklärt. In den benachbarten Kreisstädten unkt man, daß das „Ding“ ohnehin nur als Monument einer verblichenen Epoche tauge. Die nordrhein-westfälischen Grünen fordern ein „Industriemuseum für technologischen Größenwahn“, doch der Forschungsminister bleibt konservativ: Kraftwerk ist Kraftwerk, befand er in Bonn, und deshalb soll die „letzte mögliche Nutzung, die mir zu Ohren gekommen ist“, angestrebt werden. Möglichst bald soll Öl in einem Spitzenlastkraftwerk Kalkar verfeuert werden.

Großindustrie gibt es in der Gegend am Niederrhein nicht. In Emmerich, 15 Kilometer stromabwärts, existiert eine Margarinefabrik, und links des Rheins gibt es Molkereien, Käsereien und Zuckerrübenfabriken. Die Menschen leben hier von der Landwirtschaft und vom Tourismus. Ein Museum täte dem sicher besser als ein Spitzenlastkraftwerk. Kalkar selbst glänzt mit einer alten Kirche mit Holzschnitzereien und einem wunderschönen Marktplatz. In der düsteren Burg Moyland, wenige Kilometer entfernt, soll ein Beuys- Museum entstehen. Ob da ein Museum nicht vielleicht doch besser paßt, Herr Minister? Hermann-Josef Tenhagen