Geheimdienste scharf auf Stasi-Akten

Verfassungsschutz, BND und MAD wollen laut Wolfgang Schäuble Zugriff auf die Unterlagen/ BND will auch personenbezogene Daten/ Datenschutz-Beauftragter fürchtet „Vertrauensirritation“  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Die bundesdeutschen Geheimdienste beharren weiter auf eine Nutzung der Stasi-Unterlagen. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ließ in den letzten Tagen ein über 50seitiges Papier an die Bonner Fraktionen verbreiten, in dem die Position der verschiedenen Bundesbehörden zur Neuregelung des Umgangs mit den Stasi-Akten aufgelistet werden.

Unter dem Stichwort „Nutzungszwecke“ wird darin als „Problem“ definiert, daß dem ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Unterlagen zur Verfügung standen, die sich auf „geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht“, auf terroristische und „rechtsextremistische Besterbungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“ beziehen. Unter nachrichtendienstlichen Gesichtspunkten, heißt es, könne die Nutzung dieser Unterlagen „von erheblicher Bedeutung“ sein. Das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) bestehen Schäubles Bericht zufolge auf einer Nutzung dieser Unterlagen. Auch das Referat „Innere Sicherheit“ (IS) beim Innenministerium erklärt den Zugriff auf diese Akten für „unverzichtbar“, will dabei aber auf den Zugriff auf „Opfer- Akten“ verzichten. Das Bundesjustizministerium komplettiert die Reihe derer, die mit dem nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten illegal erworbenen Material arbeiten wollen. Kinkels Ressort plädiert dafür, die Nutzung auf die Aufklärung sogenannter „G-10-Straftaten“ zu beschränken, das heißt auf solche Fälle, in denen die Vorraussetzung für einen Eingriff in das Post- und Fernmeldegeheimnis vorliegen.

Im „Rahmen und zur Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben“ will der BND nicht nur die Sachakten aus den Stasi-Archiven loseisen, er „benötigt die Möglichkeit zur Nutzung der personenbezogenen Unterlagen“. Begehrt werden „zum Zweck der Eigensicherung“ die Unterlagen, die den BND „sowohl direkt als auch mittelbar betreffen“, Akten über die Partnerdienste des BND (insbesondere die der Nato-Staaten) und die Unterlagen der Stasi über die östlichen Geheimdienste. Einziges Zugeständnis, das die Pullacher Geheimdienstler eingehen: „Bei Abwägung der Interessenlage des BND und den der Regelung für den Sonderbeauftragten zugrundeliegenden Intentionen ist vorstellbar, daß sich die Nutzung (...) nur auf Unterlagen hauptamtlicher MfS-Angehöriger und IM (inoffizielle Mitarbeiter, d. Red.) bezieht“.

Nur der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Alfred Einwag, tritt den Wünschen der Geheimen entgegen. In seiner Stellungnahme befürchtet er „Vertrauensirritationen“ in der Bevölkerung der Neuländer: „Bei einer Gesamtabwägung tendiere ich zu der Empfehlung, die Nachrichtendienste von einer Nutzung auszuschließen.“ Für das Akteneinsichts- und Auskunftsverfahren wird eine Unterscheidung nach „Begünstigten“ und „Betroffenen“ vorgeschlagen. Ehemalige MfSler und IMs könnten danach nur Auskünfte über die eigene Person erhalten. Zur Gliederung der Stasi- Sonderbehörde sieht das Schäuble- Papier die Beibehaltung von Außenstellen in den neuen Bundesländern vor. In die Sonderbehörde, die weisungsunabhängig bleiben soll, sollen über einen Beirat Vetreter der Länder entsandt werden.

Die in der ÖTV organisierten Richter und Staatsanwälte stellten gestern „8 Thesen zum wesentlichen Inhalt eines Stasi-Aktengesetzes“ vor. Sie schließen darin „jede nachrichtendienstliche Verwendung“ der Unterlagen kategorisch aus. Deren Nutzung sei nur im Rahmen von Strafverfahren zulässig, wenn es um besonders schwere Delikte gehe. Den Stasi-Opfern stehe ein umfassendes Auskunfts- und Einsichtrecht zu, ihnen sei auch der wirkliche Namen der Personen zu nennen, die sie überwacht und ausgeforscht haben.