„Alter“ Häftling und „neue“ Justiz Die Mühlen mahlen langsam

Während die meisten Ex-DDR-Bürger unter den Kosten der Einheit stöhnen, wartet eine Minderheit noch immer auf ihre Chance zum Neubeginn/ Frank Knüppel nur ein Beispiel rigider DDR-Strafjustiz  ■ Von Michael Kleim

Berlin (taz) — Die kriminelle Karriere von Frank Knüppel (29) ist so unspektakulär wie banal, seine Biographie geprägt von gewaltsamen Konfliktlösungen wie von der rigiden DDR-Zwangsjustiz. Als Jugendlicher war er Ringer, bis er wegen Disziplinschwierigkeiten aus der Mannschaft flog. Bei einem Streit nutzte er die gelernten Griffe aus. Der ersten Verurteilung folgten im Laufe der Zeit weitere fünf, jedesmal wegen „einfacher Gewaltdelikte“. Einmal verprügelte er zwei Polizisten, die die gesetzlich mögliche Hausdurchsuchung (Entlassungsauflage) regelmäßig nach 22 Uhr starteten, ein andermal schlug er auf seine Freundin und deren Liebhaber ein usw. usf.

So summierte sich sein Urteil im September 1989 (nach Berechnung der durch Amnestie ursprünglich ausgesetzten Reststrafe und einem Aufschlag nach Rückfallparagraph 44 StGB der DDR) zu der sinnlos überhöhten Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren. Wie gesagt, Frank steckte in einer typischen DDR-Strafvollzugslaufbahn.

Dann kam die „Wende“, mit ihr die Knastrevolten, Dachbesteigungen, Aktenüberprüfungen, Amnestien allerorts. Das Interesse der Öffentlichkeit für die Unpersonen hinter den schwedischen Gardinen war groß. Damals bekam Frank Knüppel vom Cottbusser Bezirksstaatsanwalt die Zusage, Ende 1990 entlassen zu werden. Nach seiner Verlegung in die JVA (Justizvollzugsanstalt) Bützow, Mecklenburg-Vorpommern, (bedingt durch die Länderneustrukturierung), erhielt er Hafturlaub, um die Sachlage seiner vorzeitigen Entlassung zu klären. Dies geschah im November 1990. Aber Frank Knüppel erreichte nichts; kompetente Personen konnte er nicht antreffen — für jene Zeit keine Seltenheit. Am letzten Tag seines Urlaubs sicherten ihm örtliche Polizeikräfte zu, Kontakt mit der JVA Bützow aufzunehmen und eine Verlängerung seines Freiganges zu erwirken, bis er in Ruhe seine Angelegenheit in Ordnung gebracht habe. Doch mitten in der Nacht erschien ein Überfallkommando, um den vermeintlichen Flüchtling abzuholen. Und der ergreift nun tatsächlich die Flucht. „Ich hatte persönlich Angst und nur noch das Gefühl, total verschaukelt zu werden. Säße ich erst mal wieder im Knast, würde sich gar nichts mehr bewegen. Dabei wollte ich mich nur um das kümmern, was mir bereits versprochen wurde, die Chance zum Neuanfang.“

Frank nahm deshalb in Berlin Kontakt zum Krisenhaus der Caritas und zum Arbeitskreis Strafvollzug und Resozialisierung vom Bündnis90 auf. Er bat um Hilfe. Im Krisenhaus nutzte er als erstes eine gesprächs- und soziotherapeutische Begleitung durch Wolfgang Herdzin, den Leiter dieser Beratungsstelle. Herdzin meint dazu: „Nach Aufarbeitung seiner physischen und psychischen Erschöpfung stand das themenzentrierte therapeutische Gespräch zu lebensgeschichtlichen Bezügen im Vordergrund. Herr Knüppel zeigte eine ausgeprägte Motivationsbereitschaft, um an ihm wichtigen Fragen und Problemen zu arbeiten. [...] Aus psychosozialer Sicht setzte ich mich für eine schnelle Entlassung und eine von uns begleitete Integration in die Gesellschaft ein.“

Gleichzeitig mühten sich Herdzin und der Strafvollzugsarbeitskreis vom Bündnis 90 um eine rasche strafrechtliche Klärung. Sie setzten sich bei den Justizorganen für eine Realisierung der gemachten Zusagen ein. Da Frank Knüppel ebenfalls ein Opfer rigider Strafvollzugspraxis in der DDR ist und aus eigenem Antrieb eine Aufarbeitung seiner Biographie und seine Integration in die Gesellschaft betreibt, sollte ihm diese Chance keinesfalls verbaut werden. Auch für das gesellschaftliche Zusammenleben ist es weitaus hilfreicher, einen solchen Menschen dahingehend zu bestärken, Konfliktlösung zu lernen und den Faktor Gewalt zu überwinden, als ihn um jeden Preis in Gewahrsam zu halten, wo er durch Isolation und Knastatmosphäre in alte Verhaltensmuster getrieben wird.

Doch der Versuch, diesen Fall schnell und unbürokratisch zu beenden, scheiterte. Der Generalstaatsanwalt des Landes Mecklenburg- Vorpommern, Prechtel, machte deutlich, daß eine vorzeitige Entlassung bzw. ein Gnadenerlaß erst möglich sind, wenn der Strafgefangene wieder inhaftiert ist. Am 17. Februar 1991 meldete sich Frank Knüppel wieder im Knast. Seine Angelegenheit wurde inzwischen dem Justizminister des Landes übergeben. Und Frank wartet.

Aber die Mühlen der neuen Justiz mahlen langsam, zu langsam für manche Menschen, viel zu langsam, um die einst verlorene Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen. Und Frank Knüppel ist kein Einzelfall.