Holt die Lappen rein!

Der Krieg am Golf ist seit mehr als einem Monat zu Ende. In New York verhandelt längst der UNO- Sicherheitsrat über einen Waffenstillstand, über den Wolken kreisen inzwischen die Diplomaten auf der Suche nach einer Friedensordnung — nur in Berlin, der Weltstadt, der wollenden — hat man, scheint's vielerorts, davon noch nichts mitgekriegt. Da baumeln an zahllosen Fenstern unbeirrt die zu unansehnlich-grauen Lappen verkommenen weißen Tücher, die Zeichen des stummen Protestes gegen den Wahnsinn am Golf, der zu einem Dritten Weltkrieg zu werden drohte.

Doch diese weißen Tücher — hatte man sich nicht täglich über jedes Neue gefreut? — haben sich als leere Symbole desavouriert. Wären sie ihren Eigentümern nicht gleichgültig geworden, sie würden nun nicht noch wochenlang unbeachtet herumflattern. Einmal rausgehängt, hatten sie offenbar schon ihre Bedeutung verloren. Ob Krieg oder Frieden — egal! Die grauen Dinger baumeln nun mal. Man hat sie — ganz einfach — vergessen. So ist das halt mit der Ernsthaftigkeit des Widerstands und mit dem »echt ganz Betroffensein«. Außerdem, der nächste Krieg kommt ja bestimmt und präventiv kann man ja die Lappen draußen lassen, irgendeine Schweinerei, gegen die die grauen Fetzen gut sein könnten, passiert garantiert irgendwo auf der Welt. Spätestens wenn sich die Laken bei der Frühjahrsbepflanzung der Blumenkästen als hinderlich erweisen, wird man dann zu der Einschätzung kommen, daß die Kriegsgefahr nunmehr gebannt und es genug des Protestes ist. Bis dahin fungieren die unansehnlichen Dinger immerhin als Meßgeräte für den Dreckgehalt der Berliner Luft. Na bitte! Vera Gaserow