: Kindergerippe
■ Sam Shepards „Vergrabenes Kind“ in Bhv
Großvater Dodge ist ein zynischer Alter, der mit losem Mundwerk deftige Sprüche verteilt, seine Frau Halie ist eine plappernde Nervensäge mit dem Hang zu gespreizten, tragi-komischen Gesten. Ihr Sohn Tilden scheint einen Tick zu haben, sein jüngerer Bruder Bradley hat ein Bein verloren und ist ein rauher, bösartiger Lügner. „Alles nette, rechtschaffende Leute“, sagt der scheinheilige Pastor von dieser amerikanischen Farmers-Familie, als unerwartet Tildens Sohn Vince mit Freundin Shelly zu Besuch kommt und die Familie im Zustand der Zersetzung vorfindet. Was liegt näher als seine Vermutung: „Ihr habt alle ein Geheimnis.“ Sie haben tatsächlich eins. Es wird im dritten Akt gelüftet. Aus der „guteingesessenen Familie mit erwachsenen Kindern und einer Farm“ war eine Hölle geworden, nachdem die Mutter mit einem der Söhne ein Kind gezeugt hatte, das im Maisfeld umgebracht und vergraben wurde. Zum Guten Schluß trägt Tilden mit erdverklebten Armen das ausgegrabene Kindergerippe zur plappernden Mutter.
Der Schriftsteller und Schauspieler Sam Shepard hat mit „Vergrabenes Kind“ (Buried Child) ein drittklassiges Stück geschrieben, und das Bremerhavener Stadttheater kann es nicht retten. Daß das Drama um eine Familie mit Leiche im Keller nach der deutschsprachigen Erstaufführung 1980 in Zürich erst jetzt zur „Deutschen Erstaufführung“ (Stadttheater) gebracht wurde, kann angesichts der dünnen Handlung nicht verwundern. Shepards offensichtlich schnell geschriebene Mischung aus Strindberg und Hitchcock mit dem ausgegrabenen Kind als Schlußpointe hat den Charme eines faden Gymnasiasten-Ulks. Gast-Regisseurin Astid Windorf gelang es zum Teil, die DarstellerInnen zu konzentriertem Zusammenspiel anzuregen. Klaus-Jürgen Pawöhner als Tilden ist die Überraschung des Abends, er gibt dem kindisch verlorenen Mann Verhalten ohne große Überzeichnung, während Michael Thalheimer als Vince und Martina Eckrich als Shelly ihre Figuren schemenhaft grau typisieren. Alles in allem: Das Multitalent Sam Shepard hat ein Stück geschrieben, das in den USA 1978 den Publitzer-Preis erhielt und 1991 auf einer deutschen Bühne blaß und verbraucht wirkt. Hans Happel
Sam Shepard, „Vergrabenes Kind, Stadthteater Bremerhaven, Gr. Haus, weitere Aufführungen: 23.3., 4., 9., 12. und 18.4.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen