Die Welt des schlichten Schlagers

■ Schauderhafte Beobachtungen beim deutschen Schlager-Grand-Prix im Friedrichstadtpalast

Mitte. Der Einlaß war streng und ein Hintertürchen offen, irgendwo auf dem Weg zum Klo. Das Buffett war superklasseprima. Immer voll, obwohl doch alle im VIP-Saal des Luxushotels kräftig hinlangten. Der Promi-Auftrieb erfüllte die Norm. Und alle, die den Abend so tapfer überstanden hatten beim Schlagerdesaster im Friedrichstadtpalast, hatten sich die Häppchennähe redlich verdient.

Karl Dall stand da und grantelte über den Beschiß beim Wettbewerb. Leo Lukoschik hielt treu zum Mitveranstalter des Abends, seinem Haussender BR, und wollte gar nichts Böses sagen, obwohl es dem Megamann kräftig unter der Zunge juckte. Christoph Eichhorn posierte ohne Unterlaß mit Katharina Jakob für wirklich jedes Blitzlicht. Wolfgang Lippert schwärmte so beharrlich für RIAS-TV, als ob er einen neuen Sender sucht. Der Drang zur Tuchfühlung brach vollends durch, als Hella von Sinnen den Saal enterte. Mit Cornelia Scheel. Die Paparazzi gingen in die Knie wie bei der letzten Wallfahrt in Banneux, jedes Wort wurde zur Offenbarung. Schön, daß eine »Ur-Lesbe« (O-Ton von Sinnen) so viel hermacht heutzutage.

Dabei hatte alles so gesittet angefangen im Foyer. Da flanierten die Frauen im feinen Stoff und so viele Herren mit Fliege und Hemdkragen hoch. Mit einem Palastcocktail für 7,50 Mark auf dem Handteller. Schließlich war das Fernsehen da, mit Kamera und ganz viel Licht. Und? Der da drüben. Das Gesicht kenn' ich doch. Vom Fernsehen? Oder vom Schalter, Postamt 13. Die Probleme hatten die Schwulen nicht. Die erkennen sich immer. So viele waren da, die größte Homo-Manifestation seit dem Christopher-Street- Day 87. Kein Wunder, schließlich ist die wahre Welt des schlichten Schlagers fest in schwuler Hand. Das ist eine Behauptung. Und gilt auch für die Akteure. Nur Namen nennen darf man nicht, outing ist hierzulande noch out of order. Statt dessen darf man Lukoschik bewundern und Kerkeling und die vielen anderen im Bühnenprogramm. Die mit der Lockenpracht ganz italienisch und noch ohne Namen, weil sie erst für den Grand Prix herauskatapultiert wurden. Sie können noch nicht soviel, nicht mit der Stimme, die bibbert. Mit Gesten auf dem Sprung zum Ausdruckstanz.

Nur eine war dabei, die konnte mehr. Das hat auch der Dall gesagt, und die von Sinnen und die kundigen Kollegen im Presseschauraum. Cindy Berger. Ohne Bert. Und Nie allein hieß der Titel. Die Zunft weiß noch, was sich gehört. Aber eine Cindy Berger riß den Schlamassel nicht rum. Der Rest war schauderhaft. Stimmt, es gibt kaum etwas, worüber man so leicht herfallen kann wie über den deutschen Schlager. Aber man braucht ihn doch, nur mal so nebenher, eine Wolke Zuckerwatte fürs Gemüt. Das läßt sich doch gut machen und ist auch nicht zuviel verlangt. Ellie Weinert, Germany- Korrespondentin vom US-Fachblatt 'Billboard‘, war nicht so defätistisch wie unsereins: »Der deutsche Schlager kann sich durchaus hören lassen im europäischen Vergleich.« Hat sie gesagt.

Könnte ja sein, wenn die Münchner Schlagerlobby nur nicht wäre. Die sollen auch in diesem Jahr wieder dran gedreht haben an Sieg oder Niederlage. Munkelten die Verlierer und die, die gar nix zu verlieren hatten. Ist aber auch ein Zufall, daß der Siegel, der Eddy Barclay aus Grünwald, die Siegertruppe wieder in seinem Stall hat. So wie er schon Nicole auf den Thron hievte, und die Gruppe »Wind«, und Maxi und Chris Garden und Chris Kempers und Daniel Kovacs. All die Sieger eben, vom letzten Jahr und von so vielen Jahren davor. Da kann man in Versuchung geraten und zu Karl Dall überlaufen. »Der deutsche Schlager ist praktisch tot, wie der deutsche Kinofilm tot ist. Alles ist tot. Damit muß man sich abfinden.« Das hat der gesagt. Elmar Kraushaar