piwik no script img

Den Junkies bleibt bald nur noch die Straße

■ MitarbeiterInnen des einzigen Berliner Drogen-Szeneladens STRASS haben geschlossen gekündigt/ Stirbt das Projekt, verlieren Junkies auch einzige unbürokratische medizinische Betreuung/ Berlins Landesdrogenbeauftragter will vermitteln

Berlin. Hunderte von Junkies und Drogenabhängigen werden vorraussichtlich ab Mitte des Jahres in Berlin keine Anlaufstelle mehr haben, wo sie ohne Vorbedingungen Zuflucht finden können. Die acht MitarbeiterInnen des einzigen Berliner Szeneladens STRASS, bekannt als suchtbegleitendes, extrem niedrigschwelliges Projekt für Heroin- und Ersatzdrogenabhängige, haben zum 30. Juni dieses Jahres geschlossen gekündigt. »Dann fixe ich wieder«, meinte einer der Besucher, der sich mit Hilfe von STRASS seit geraumer Zeit mit der Ersatzdroge Methadon behandeln läßt und im Rahmen einer Vollversammlung diese Woche von der Kündigung erfuhr. Ein anderer: »Ich laß' mich nicht einfach so abschieben, was können wir tun?«

Mit dem bevorstehenden Ende von STRASS spitzt sich ein Konflikt dramatisch zu, der schon seit langem zwischen den MitarbeiterInnen und dem Betreiber des Projekts schwelt. Dieser Betreiber ist der Verein »Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige«, dem auch der Drogennotdienst angehört. Die »soziale Isolation und gesundheitliche Verwahrlosung vieler Drogenabhängiger« sowie die Erkenntnis einiger Mitarbeiter im Drogennotdienst, daß »das bestehende Beratungs- und Therapiesystem nur einen Teil der Drogenabhängigen erreicht«, haben vor knapp zwei Jahren dazu geführt, ein alternatives Hilfsangebot zu entwickeln. Mit der Eröffnung von STRASS im April letzten Jahres wurde erstmals auch mit offizieller Unterstützung ein bislang unkonventioneller Weg eingeschlagen: »Wir wollen die Leute dort abholen, wo sie stehen«, ist ein beliebtes Schlagwort der STRASS-Leute, die zudem alle auch als Streetworker arbeiten. Wer in den Laden kommt, kann mit den MitarbeiterInnen reden, sich nach Beratungsstellen erkundigen oder um eine Therapie mit der Ersatzdroge Methadon bitten — er oder sie kann aber auch nach einer erfrischenden Dusche und einer Tasse heißen Kaffees einfach wieder gehen. Auch für die medizinische Betreuung der meist stark verelendeten Junkies ist gesorgt — bei STRASS arbeitet Berlins einzige Ärztin, die für Heroinsüchtige ohne alle Formalitäten zu erreichen ist. Prinzipiell soll der Laden allen Drogenabhängigen zugängig sein — Grundlage ist also nicht Therapie und Drogenfreiheit um jeden Preis. Die einzigen Regeln, an die sich die BesucherInnen halten müssen: Keine Gewalt und kein Drogengebrauch im Laden.

Finanziell getragen wird STRASS hauptsächlich von der Bundesregierung: Vier der acht Stellen kommen aus dem sogenannten Booster-Programm zur Unterstützung niedrigschwelliger Angebote, zwei weitere aus dem Bonner Aids-Hilfe- Topf. Die restlichen zwei Stellen wurden vom Drogennotdienst an das Projekt abgegeben. Doch der fordert nun eine Stelle zurück. Darüber hinaus sehen sich die MitarbeiterInnen, denen es im Laufe ihrer Arbeit gelungen ist, 34 Abhängige von der Nadel weg zu kriegen und sich statt dessen unter ärztlicher Kontrolle mit Methadon behandeln zu lassen, massiven Vorwürfen ausgesetzt: Sie verkämen zu einem reinem Substitutionsladen. Michael Hoffmann-Bayer, Leiter des Drogennotdienstes und Vorsitzender des Vereins forderte die MitarbeiterInnen deshalb auf, ihre »Methadonfälle« sukzessive abzubauen und darüber hinaus eine Hausordnung einzuführen, die bei Regelverletzungen klare Sanktionen vorsieht. In die Empörung der MitarbeiterInnen über diese Anordnungen schlug eine weitere Hiobsbotschaft ein wie eine Bombe: Die beiden Stellen aus dem Aids-Hilfe- Topf werden ab dem 30. 6. von der Bundesregierung nicht mehr finanziert und sollen in den Landeshaushalt überführt werden — aufgrund der angespannten Finanzlage Berlins ist das jedoch so gut wie aussichtslos.

»Mit nur noch fünf Leuten reduziert sich unsere Arbeit aufs Kaffee ausschenken«, erläuterte Bernd Meinke den auf der Vollversammlung anwesenden Junkies und MethadongebraucherInnen die gemeinsame Kündigung aller MitarbeiterInnen. Sowohl die Arbeit auf der Straße wie auch das Angebot einer suchtbegleitenden Lebenshilfe seien dann nicht mehr möglich. Für die Betroffenen hätte das Ende von STRASS herbe Folgen. Und das nicht nur, weil sie STRASS als Anlaufstelle verlieren — STRASS hatte im Laufe seiner Arbeit auch eine starke Anbindung vieler Krankenhäuser erreicht. Auf der Straße lebende Fixer müssen sich wegen akuter Infektionen immer wieder in stationäre Behandlung begeben und werden dann in dieser Zeit mit Methadon behandelt. Wurden die Junkies früher danach einfach wieder auf die Straße gesetzt, können sie heute meist so lange in der Klinik bleiben, bis STRASS für sie einen weiterbehandelnden Arzt gefunden hat.

Mittlerweile hat sich der Landesdrogenbeauftragte Wolfgang Penkert, dem »an dem Erhalt von STRASS sehr gelegen ist«, als Vermittler in den Konflikt eingeschaltet. In den nächsten Tagen soll eine gemeinsame Sitzung mit dem Vereinsvorsitzenden und den STRASS-Leuten stattfinden. Bis dahin, so die Vereinbarung, will und soll sich keiner der Beteiligten in der Öffentlichkeit äußern. Die Junkies greifen in der Zwischenzeit schon mal zur Selbsthilfe — und sammeln Unterschriften fü den Erhalt von STRASS. maz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen