Hört auf mit dem Schwarz-Weiß-Denken!

■ Ein Interview mit dem israelischen Schriftsteller Amos Oz über Militärzensur, die israelische Linke und die Friedensbewegungen

Eric Lee: Die Militärzensur während des Krieges beunruhigt Sie — dennoch haben Sie sie gerechtfertigt.

Amos Oz: Natürlich irritiert mich die Zensur im Krieg, denn es wird mir täglich klar, daß ich die Details nicht kenne, und ich bin sehr mißtrauisch gegenüber den Nachrichten. Ich glaube nicht, daß die Israelis noch einmal zensieren, was bereits von den Amerikanern zensiert worden ist: wir hören alles, was die Franzosen, Briten und Amerikaner hören. Prinzipiell gesehen kann ich Militärzensur immer dort rechtfertigen, wo sie direkt dazu beiträgt, menschliches Leben zu retten. Die Unantastbarkeit menschlichen Lebens steht für mich über der Unantastbarkeit des freien Nachrichtenflusses. Wenn CNN die genauen Orte angibt, an denen irakische Scud-Raketen in Tel Aviv und anderswo explodiert sind und damit den Irakern hilft, ihre Zieleinstellungen zu verbessern, dann wird damit menschliches Leben direkt gefährdet, und ich würde das nicht nur in Israel zensieren, sondern überall. Ich hätte es lieber gesehen, wenn der Sender in dieser Hinsicht Selbstzensur geübt hätte.

Was denken Sie über den CNN- Reporter Peter Arnett, dessen Übertragungen aus Bagdad in den USA kontrovers gesehen wurden?

Peter Arnett ist gewissermaßen ein Gefangener des Krieges, und ich würde ihn absolut nicht kritisieren. Ich war nicht in seiner Situation und ich weiß nicht, unter welchen Bedingungen er arbeiten mußte. Die Haltung von CNN aber ist eine andere Sache: schließlich entscheiden sie, wieviel sie von ihm senden und was. Und ihre Politik würde ich an einigen Punkten kritisieren. Ich sage nicht, daß ich Zensur ausüben würde; ich würde absolut jedes Fitzelchen genuiner, unmanipulierter Information den Leuten zumuten, aber bei Kommentaren, wenn zum Beispiel gesagt wird: „Dieses Gebäude war ein ziviles“, und gleichzeitig wird ein bombardiertes Haus gezeigt, wäre ich sehr viel zurückhaltender gewesen. Die Zuschauer haben keine Möglichkeit zu verifizieren, ob dieses bestimmte Gebäude, das vielleicht aussieht wie ein ziviles Gebäude, nun wirklich nur zivilen Zwecken diente oder nicht.

Die Sender sollten sich mit Interpretationen sehr zurückhalten, wenn sie mit einer Diktatur zu tun haben, in der Propagandaministerien und der gesamte Propagandaapparat Teil des Systems sind und Desinformation nicht nur Taktik, sondern Strategie ist — was übrigens auf alle Diktaturen zutrifft. Arnett wird manipuliert, er ist nicht sehr vorsichtig, und man mißbraucht ihn. Aber CNN selbst macht nicht gerade das Beste aus dem Material, das aus Bagdad kommt.

Macht aber nicht Israel das gleiche? Schließlich haben israelische Regierungsbeamte ausländische Journalisten zu den Schauplätzen geführt, wo Scud-Raketen eingeschlagen waren, um Opfer der irakischen Aggression abfilmen zu lassen.

Ich glaube nicht, daß die Israelis eine bakteriologische Forschungsstelle je als Milchpulverfabrik ausgeben würden, so wie die Iraker es offenbar gemacht haben. Und wenn sie es täten, dann wäre es für Journalisten relativ einfach, die Wahrheit herauszufinden und die Lüge zu entlarven: Dieses Land ist eine Demokratie, der Irak ist das nicht. Wer hier die Regeln der Zensur bricht, der wird gerügt, vielleicht wird ihm der Journalistenausweis für drei Monate entzogen, und im schlimmsten Fall muß man noch eine Strafe von hundert Mark oder so zahlen. Im Irak aber und Ländern wie diesem passiert sehr viel Schlimmeres. Deshalb müssen die Kriterien der Kritik und Untersuchung von offiziellen Informationen — wie auch Falschinformationen — andere sein. Da jede Regierung in gewissen Maßen ihre Position in angenehmem Licht erscheinen lassen möchte, existiert überall ein gewisses Maß an Desinformation. Aber der Unterschied ist manchmal der zwischen Flirt und Vergewaltigung.

Ich kann die Informationen, die ich bekomme, nicht mit den tatsächlichen Fakten in Übereinstimmung bringen. Die USA haben während des Vietnamkrieges schon die Nachrichten heftig manipuliert, aber sie sind doch immer noch nur schlechte Schüler der Nazis, Bolschewiken und anderer diktatorischer Systeme. Nicht etwa, weil sie bessere Menschen wären oder wenger strikt, sondern weil ihr System wahrscheinlich — relativ gesehen — immuner ist als andere Systeme. Ich würde nicht sagen, daß in den USA zur Zeit des Vietnamkrieges der schlimmste Fall von Desinformation in der Menschheitsgeschichte stattfand — aber es war schlimm genug.

Sie sind vermutlich Israels berühmtester Schriftsteller. Ein Schriftsteller legt etwas offen und gibt es den Blicken preis. Wie ist das während eines Krieges?

Das gleiche. Die Rolle des Schriftstellers ist an allererster Stelle die, Sprache vor Verfall, vor Stereotypen und Korruption zu bewahren. Ich bin immer der Ansicht gewesen, daß der Mißbrauch der Sprache immer und ohne Ausnahme der Beginn des Mißbrauchs von Wahrheit und am Ende von menschlichem Leben ist. Die Sprache verteidigen, das heißt aufzuschreien, wann immer Regierungen — oder auch oppositionelle Kräfte — Sprache mißbrauchen, falsche Vergleiche anstellen, Unvergleichbares miteinander vergleichbar machen.

Und dann gibt es noch eine weitere Rolle, die subtiler funktioniert. Ein Schriftsteller ist ein Mensch, der morgens seinen Kaffeee trinkt und sich dann an die Arbeit begibt, nämlich in die Haut anderer Menschen zu schlüpfen, auch in die seiner oder ihrer Feinde, auch und gerade, wenn das Leute sind mit völlig entgegengesetzten Meinungen im eigenen Land. Für mich als israelischen Schriftstelelr reicht es nicht, wenn ich in die Haut der Palästinenser schlüpfe; ich muß auch versuchen, einen israelischen „Falken“ oder religiösen Fanatiker von innen her zu beschreiben.

Und ist dies jetzt eine der Situationen, in denen ein Schriftsteller schreien muß?

Ich schreie doch schon seit Tagen. Nicht so sehr über das, was man in Israel sagt, sondern tragischer- oder ironischerweise über das, was bestimmte Teile der Friedensbewegung, besonders in Europa, von sich geben. Sachen, über die ich sehr wütend geworden bin. Wenn diese Peaceniks — manche, nicht alle — sagen, daß Kuwait ein korruptes Land war, ein Familienunternehmen, ein schmutziges Geschäft, dann stimme ich dem natürlich zu. Ich könnte sogar hinzufügen, daß Kuwait Israel gegenüber ebenso feindlich eingestellt war wie der Irak: beide befanden sich offiziell im Krieg mit Israel. Aber wenn diese Leute dann sagen, daß man aus all diesen Gründen nicht für Kuwait kämpfen soll, dann sagen sie im Prinzip nichts anderes, als daß ein „schlechtes Mädchen“ seine Vergewaltigung verdient hat. Das schlimmste aller chauvinistischen Argumente.

Eingedenk seiner Rolle als Schriftsteller schlüpft Amos Oz noch in die Haut israelischer „Falken“.

Vom Standpunkt der „Falken“ aus ist das Ergebnis sehr einfach und düster: Da die Araber gegenüber den Israelis nichts anderes kennen als „Schmeißt sie ins Meer“, würde jeder Kompromiß — jetzt spiele ich mal den advocatus diaboli —, jede Konzession, jede Ahnung von Flexibilität nur die genozidalen Tendenzen in der arabischen Welt gegenüber Israel ermutigen. Wir müssen uns also stark zeigen und dürfen keine Konzessionen machen. Daß die ganze Welt uns beschimpft, darauf scheißen wir, denn die Welt beschimpft uns soundso.

Wenn die Sirenen losgehen, und man findet sich in einem abgedichteten Zimmer mit der Gasmaske über dem Gesicht und wartet darauf, daß man wieder raus darf — denkt man dann nicht manchmal, daß die „Falken“ einfach recht haben?

Gegen die Haltung der „Falken“, daß wir keine Kompromisse eingehen und keine Konzessionen machen dürfen, verwahre ich mich dennoch. Das Recht auf Selbstbestimmung ist nicht nur ein Recht für nette Leute mit guten Manieren: es ist nicht der Preis für gutes Benehmen, keine Medaille. Wäre das der Fall, dann müßten sofort drei Viertel aller Nationen auf dieses Recht verzichten, einschließlich Kuwait, einschließlich Irak, und auch einschließlich Deutschlands und Österreichs bis ans Ende ihrer Tage. Aber da dies nicht der Fall ist, bin ich der Meinung, daß die Palästinenser am Ende ihre Selbstbestimmung kriegen müssen, egal, wie sie sich verhalten. Es gibt gar keine andere Lösung. Das Spiel heißt Überleben und nicht universelle Gerechtigkeit, nicht Verbrechen und Strafe.

Sie haben sich enttäuscht über die westliche Friedensbewegung geäußert. Aber vielleicht hat das nur damit zu tun, daß Sie vorher Illusionen hatte? Jedenfalls könnten Ihre rechten Kritiker Ihnen das vorwerfen.

Ich glaube nicht. Ich habe seit Jahren versucht, Peaceniks aus dem Ausland davon abzuhalten, mich aus den falschen Gründen zu umarmen. Aber ich will betonen, daß ich hier nicht über die Weltfriedensbewegung insgesamt rede. Es gibt verschiedene Teile, verschiedene Strömungen. Das reicht von den Pazifisten, die glauben, es sei besser, die andere Wange hinzuhalten, bis zu Peaceniks, die für den Krieg als letzte, verzweifelte Möglichkeit sind.

Die Mißverständnisse fangen mit Vietnam oder besser: mit dem Vergleich von Vietnam und dem Mittleren Osten an. Vietnam wurde zu einem Bild mit festen Bestandteilen für die Friedensbewegung in Europa und zum großen Teil auch in Nordamerika. Vietnam — das hieß soviel wie: die weißen, unterdrückerischen, kolonialen Kräfte, technologisch überlegen und reich, kommen daher, um ein armes Land der Dritten Welt auszurauben und zu zerstören, und benutzen dafür ein korruptes Marionettenregime. Das ist das Vietnam-Muster und gewissermaßen das Muster des Kolonialismus. Dieses Muster auf den arabisch-israelischen Konflikt anzuwenden, heißt, die falsche Diagnose zu stellen und damit schließlich auch das falsche Rezept vorzuschlagen.

Zuallererst einmal: Der israelisch-arabische Konflikt ist kein kolonialer Konflikt. Die Israelis kamen, zunächst einmal, nicht nach Palästina, um es zu kolonisieren. Da gab's auch in diesem Teil der Welt nichts weiter zu kolonisieren. Nach den Kriterien des kolonialen Interesses ist das zionistische Unternehmen und die Schaffung Israels eines der schlechtesten Geschäfte, das die Welt je gesehen hat. Es gibt in diesem Land keine natürlichen Ressourcen. Die Juden haben in dieses Land vermutlich millionenmal mehr eingeführt als ausgeführt. Außerdem gab es ganz zu Anfang nicht die Intention, die arabische Bevölkerung des Landes zu verletzen, auszubeuten oder gar zu vertreiben. Es gab anfangs den Willen, das Land miteinander zu teilen und sich tatsächlich auch nur in unbevölkerten Gebieten niederzulassen. Die israelische Besetzung der Westbank und Gazas, die meiner Meinung nach eine Katastrophe für beide Seiten war, ergab sich aus einem gerechtfertigten Verteidigungskrieg. 1967 wurde Israel unmittelbar mit Vernichtung bedroht: Die arabische Koalition erklärte ganz offiziell, daß sie diesen Krieg mit der Absicht führe, die Existenz Israels — und der Israelis — auszulöschen. Der Krieg, dessen Resultat die Besetzung der Westbank und Gazas war — und ich forderte seit je den Rückzug Israels aus diesen Gebieten — war kein Akt des Expansionismus oder der Aggression. Man hatte nicht etwa ein Auge auf die Ölfelder der Westbank oder das Uran des Gazastreifens geworfen ...

Die palästinensische Nation auf der anderen Seite — und dies ist der Schlüssel zum Verständnis — war, zumindest bis vor zwei Jahren, nicht im mindesten mit dem Vietcong oder der algerischen FLN oder irgendeiner anderen Befreiungsbewegung zu vergleichen. Man kämpfte nicht für die Befreiung des palästinensischen Volkes, sondern für die Befreiung der Juden vom Joch des Zionismus und für die Vereinigung des Mittleren Ostens unter einem arabisch-islamischen Regime, unter dem die ethnische und religiöse Minderheit der Juden angeblich prächtig gedeihen würde. Das ist etwa so, als ob der Vietcong geschworen hätte, nicht eher die Waffen zu streichen, als bis Philadelphia, Chicago, New York und Los Angeles vom Joch des Kapitalismus befreit wären. Oder als ob die FLN nicht eher den Kampf hätte aufgeben wollen, als bis sie nach Paris einmarschiert wäre und die Franzosen vom Joch des Katholizismus befreit habe.

Sie sehen, daß die PLO in dieser Hinsicht unter den Befreiungsbewegungen eine Ausnahme darstellte. Während also die Peaceniks in Europa und den USA meinten, die USA kämpfe den falschen Krieg gegen den falschen Feind und aus falschen Gründen und habe sich deshalb sofort und unter allen Umständen aus Vietnam zurückzuziehen, hat dagegen in der israelischen Friedensbewegung nie jemand behauptet, daß der Krieg hier grundlos und um nichts geführt wurde, oder daß der Feind nicht real sei. Es gab hier nie die Auffassung, daß Israel sich unilateral aus der Westbank und aus dem Gaza zurückzuziehen habe — und schon gar nicht um jeden Preis. Deshalb kämpfe ich ja schon seit Ewigkeiten gegen die falschen Umarmungen der Peaceniks in Europa und den USA, die die PLO für den Vietcong halten und Israel für die USA und die israelische Friedensbewegung für ein Äquivalent oder Kind der Peaceniks der sechziger Jahre.

Und warum werden Sie von so vielen Menschen im Ausland mißverstanden?

Ich denke, daß das mit einigen der resistentesten Klischees und Stereotypen bei Teilen der Linken zu tun hat. Zum ersten gibt es da schon mal das Bauchgefühl, daß kein Land der Dritten Welt im Unrecht sen kann. Dort wird gelitten, und Opfer können per definitionem nicht im Unrecht sein. Das ist eine sehr sentimentale, christliche Auffassung: Der, der am Kreuz geblutet hat, muß durch seine Leiden erhöht sein. Ich habe noch nie im Leben eine linke, pazifistische Demonstration gegen irgendetwas gesehen, das von der Regierung eines Dritte-Welt-Landes angerichtet worden ist. Wenn ich Unrecht habe, beweisen Sie mir das Gegenteil!

Die Quelle des Bösen ist immer der weiße, technisch fortgeschrittene, kolonisierende Westen, einschließlich Israel. Man kann ihnen bis in alle Ewigkeit in die Ohren brüllen, daß der Irak ein sehr viel reicheres Land ist als Israel; er ist nicht nur reicher als Israel, sondern auch als Dänemark und Schweden, was das Bruttosozialprodukt betrifft. Aber nach den Klischees im Denken eines Teils der Linken ist der arme Irak, Teil der armen Welt, von der reichen Welt angegriffen worden — von Syrien, Ägypten und Israel. Diese sentimentale und stereotype Auffassung von der Dritten Welt ist grenzenlos — und mir zutiefst zuwider. Alle Klischees sind gefährlich, die der Linken sowohl wie die der Rechten. Fast ist das ein umgekehrter Rassismus. In dem Sinne: diese Leute sind unterdrückt worden — was kann man anderes von ihnen erwarten? Gewalt ist für sie etwas Selbstverständliches. Immer wieder sagen westliche Intellektuelle zu mir, oft im gleichen Atemzug: „Aber du mußt das verstehen, die Palästinenser sind unterdrückt und verfolgt worden; da ist es nur natürlich, daß sie mit Gewalt antworten. Die Juden dagegen haben den Holocaust erlebt, wie können sie so gewaltttäig sein?“ Eine solche Aussage verdient nicht nur gänzlich den Ruf der Doppelzüngigkeit, sie wurzelt außerdem in dieser sehr christlichen Auffassung, daß das Opfer und nicht etwa der Mörder durch das Geschehen erhöht wird oder erhöht werden sollte. Als ob die Opfer der Gaskammern mit moralischer Säuberungsflüssigkeit besprüht worden wären. Wurden sie aber nicht. Es war Zyklon-B. Und nach dem Holocaust wurden einige Juden zugänglicher, offener und sensibler gegenüber dem Leiden anderer, und andere wurden unversöhnlicher, wütender und mißtrauischer. Beide Reaktionen sind Reaktionen von Menschen. Sie mögen nicht gleichermaßen menschlich sein, aber sie sind die Reaktionen von Menschen.

Haltungen wie diese sind beispielhaft für die israelische Linke, für die Sie ein mächtiger Sprecher sind. Sie unterscheiden sich jedoch bereits im Ton erheblich von dem, was Linke in anderen Teilen der Welt sagen. Warum scheint die israelische Linke so viel härter und illusionsloser als die Linke in Europa und den USA?

Weil wir nicht die Unerfreulichkeit unserer Eltern als Eltern, nicht ihre Doppelmoral als prägend erlebten. Wir hatten den Tod als Gegenüber. Todesdrohungen. Als prägende Erfahrung ist das etwas ziemlich anderes. Wenn dir als erstes in deiner Jugend die Doppelmoral deiner Eltern, Lehrer, des Präsidenten und der ganzen Gesellschaft begegnet, dann ist das eine Sache. Aber wenn dir das begegnet, was uns Israelis passiert, nämlich — wie Salman Rushdie es jetzt erlebt hat — ein Todesurteil, das einer ganzen Nation gilt, den Israelis, ausgesprochen von islamischen und arabischen Politikern, dann sieht das Leben ziemlich anders aus. Man empfindet zwar auch seine Eltern, den Präsidenten, die Regierung und die Gesellschaft als ziemlich unangenehm — so empfinden wir israelischen Linken auch —, aber der Stellenwert ist ein anderer.

Und was wird jetzt aus dem Dialog zwischen den israelischen Linken und moderaten Palästinensern, der in den letzten Jahren so verheißungsvoll begonnen hatte?

Der ist jetzt erst einmal eingefroren. Auf der praktischen Ebene schon deshalb, weil die Palästinenser auf der Westbank und in Gaza Ausgangssperre haben. Aber es gibt noch wesentlichere Gründe. Die Entscheidung der palästinensischen Führung, Saddam Hussein zu unterstützen, hat unter den israelischen „Tauben“ großen Zorn ausgelöst. Das war nicht nur eine dumme Entscheidung, sie ist auch moralisch falsch. Und sie wirft den Dialog zum Ausgangspunkt zurück. Direkt vor dem Ausbruch des Golfkrieges waren nach Meinungsumfragen 43 Prozent aller Israelis nicht nur für einen Dialog mit der PLO, sondern auch für die Zwei-Staaten-Lösung. Und diese Zahlen stiegen. Wir waren also nicht so weit vom Ziel entfernt — kein Resultat der Intifada, sondern der Entscheidung der PLO von 1989, Israel indirekt anzuerkennen. Das ist jetzt alles den Bach runtergegangen, denn durch die Unterstützung von Saddam Hussein ist die palästinensische Führung zu ihrem Nein zu Israel zurückgekehrt.

Es gibt keinen Kompromiß, auch nicht im Kopf der friedlichsten „Tauben“, zwischen Existenz und Vernichtung. Wir können der PLO nicht anbieten: „Okay, Israel soll nur montags, mittwochs und freitags existieren.“ Das geht nicht. Langfristig gesehen bin ich weiter optimistisch, denn ich denke, daß es keine Alternative zum Dialog zwischen Israelis und Palästinensern gibt, auf beiden Seiten. Ich glaube, daß wir miteinander reden müssen, einfach, weil es keine andere Lösung gibt. Wir können nicht, wie die Franzosen in Algerien und die Holländer in Indonesien, nach Hause gehen, so ein Zuhause haben wir nicht. Und auch sie können nirgendwo anders hingehen, weil Palästina ihre Heimat ist, so wie Holland die Heimat der Holländer ist. Also werden wir bleiben, und sie werden bleiben. Das heißt: wir müssen etwas tun.

Ist es möglich, daß jetzt die israelische Rechte Amos Oz aus den falschen Gründen umarmt, so wie es vorher die westlichen Pazifisten gemacht haben?

Das werden sie schnell wieder bleiben lassen, denn ich werde nicht eine Sekunde von der Zwei-Staaten- Lösung abrücken und nicht von der Forderung eines unabhängigen palästinensischen Staates in Westbank und Gaza; davon wird mich nichts abbringen. Wenn die Rechte mich dann noch weiter umarmt, dann muß das mit einer großen Veränderung innerhalb der Rechten zusammenhängen, und daß die zustandekommt, dabei will ich gerne behilflich sein. Ich kriege ab und zu Briefe von Leuten, die auf Grund von Mißinformation meine wirkliche Position nie recht verstanden haben; die schreiben jetzt oder rufen mich an, um mir zu gratulieren, meistens mit dem Zusatz: „Und wir hatten gedacht, Sie seien auf Seiten der Araber.“ Aber solche Vereinfachungen existieren überall. Was immer ich auch sage oder tue, irgendjemand ist immer da, der das alles mißversteht oder mißinterpretiert. Ich bin wahrscheinlich jetzt im Westen von einigen Peaceniks als Kriegstreiber hingestellt wurden. Das Lustige ist, daß es wirklich egal ist, ob man absolut bei seinen Prinzipien bleibt und versucht, stringent zu argumentieren: für A oder B ist das, was man tut, eben dennoch eine Enttäuschung.

Die Menschen im Westen sind entsetzt, wenn sie von den Ungerechtigkeiten gegenüber den Palästinensern hören, zum Beispiel jetzt die totale Ausgangssperre während der Kriegshandlungen.

Natürlich, auch ich bin darüber entsetzt. Und ich werde nicht versuchen, es zu rechtfertigen, denn Mißhandlung ist Mißhandlung, ob gegenüber Freund oder Feind. Wenn Sie allerdings wollen, daß ich es Ihnen erkläre, dann ist das etwas anderes. Ich habe wenig Lust, es zu erklären, weil das sofort wieder als Rechtfertigung aufgefaßt wird. Aber gut, ich werde es Ihnen erklären, wenn Sie mir garantieren, daß sie im Druck genügend hervorheben werden, daß ich hier etwas erkläre, nicht aber rechtfertige.

Keine einzige Nation hat einen besonders guten Ruf, was die Wahrung der Bürgerrechte angeht — in Zeiten, in denen sie einen todernsten Krieg gegen einen todernsten Feind führt. Die Briten verfrachteten im Zweiten Weltkrieg Deutsche, die sich in ihrem Land aufhielten, auf Schiffe und schickten sie nach Australien. Darunter waren Juden, die vor Hitler geflohen waren. Die USA hatten Lager in Kalifornien. Wessen Hände sind in Kriegszeiten sauber, wenn es um die Bürgerrechte von ethnischen Minderheiten geht, die gewissermaßen per Abstammung zum „Feind“ gehören? Ich wiederhole: Dies ist keine Rechtfertigung, lediglich eine Beobachtung.

Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, ob ich die Ausgangssperre billige oder nicht, und zwar weil ich nicht weiß, was die Alternative sein könnte. Ich bin dafür nicht genügend gut informiert, eher desinformiert. Wenn ich glauben muß, daß die Ausgangssperre die einzige Alternative zu massenhaftem Mord ist, dann bin ich ganz und gar dafür. Wenn jedoch andererseits die Ausgangssperre nur dazu dienen soll, es der Militäradministration in Westbank und Gaza einfacher zu machen, dann bin ich sehr entschieden dagegen.

Ihre Kritik der „Friedensfamilie“ in Europa und den USA reflektiert Ihre Enttäuschung über sie. Was möchten Sie ihr raten?

Es gibt da einen Unterschied zwischen den Peaceniks in den USA und in Deutschland. Zu denen in den USA möchte ich nur sagen — und ich halte mich deshalb zurück, weil sie schließlich eingezogen werden könnten zum Kampf auf Leben und Tod —: „Versucht nicht, Saddam Hussein und anderen Extremisten in die Hände zu arbeiten.“ Den europäischen und ganz besonders den deutschen Peaceniks würde ich sagen: „Wenn eure Haltung früher dominiert hätte, dann hätte Deutschland die ganze Welt erobert.“ Hört auf mit dem Schwarz-Weiß-Denken; fragt nicht immer nach den „Guten“ und den „Bösen“. Glaubt doch bitte nicht immer, daß bei jedem Konflikt die Europäer oder die, die aussehen wie Europäer, die Bösen sind, und wer aussieht oder klingt wie Dritte Welt, nur das Opfer sein kann. Ich erinnere daran, daß der Irak nicht arm ist und Israel nicht reich.

Die Dritte Welt ist eine Ansammlung, in der heute einige der übelsten Regierungen der Welt an der Macht sind. Worauf ich dränge, ist, Verantwortung zu zeigen, und manchmal ist Verantwortung eine ziemlich komplizierte Sache, eine komplizierte Abwägung vieler Faktoren. Verantwortung heißt, sich mit den Einzelheiten zu beschäftigen. Zum Beispiel, daß man sagen kann: die Israelis sind schrecklich in bezug auf A, B und C, und die Araber sind fürchterlich in bezug auf D, E und F. Es ist nicht immer ein Entweder-Oder. Verantwortung heißt auch, daß es zwischen den Extremen der christlichen Auffassung, die andere Wange hinzuhalten, und der Wildwest- Rambo-Haltung auch noch den vorsichtigen und verantwortlichen Gebrauch des Militärs gibt — wenn es unvermeidlich ist. Und dabei darf es nur um Leben und Freiheit gehen, um nichts anderes.

uns also stark zeigen und dürfen keine Konzessionen machen. Daß die ganze Welt uns beschimpft, darauf scheißen wir, denn die Welt beschimpft uns soundso.

Wenn die Sirenen losgehen, und man findet sich in einem abgedichteten Zimmer mit der Gasmaske über dem Gesicht und wartet darauf, daß man wieder raus darf — denkt man dann nicht manchmal, daß die „Falken“ einfach recht haben?

Gegen die Haltung der „Falken“, daß wir keine Kompromisse eingehen und keine Konzessionen machen dürfen, verwahre ich mich dennoch. Das Recht auf Selbstbestimmung ist nicht nur ein Recht für nette Leute mit guten Manieren: es ist nicht der Preis für gutes Benehmen, keine Medaille. Wäre das der Fall, dann müßten sofort drei Viertel aller Nationen auf dieses Recht verzichten, einschließlich Kuwait, einschließlich Irak, und auch einschließlich Deutschlands und Österreichs bis ans Ende ihrer Tage. Aber da dies nicht der Fall ist, bin ich der Meinung, daß die Palästinenser am Ende ihre Selbstbestimmung kriegen müssen, egal, wie sie sich verhalten. Es gibt gar keine andere Lösung. Das Spiel heißt Überleben und nicht universelle Gerechtigkeit, nicht Verbrechen und Strafe.

Sie haben sich enttäuscht über die westliche Friedensbewegung geäußert. Aber vielleicht hat das nur damit zu tun, daß Sie vorher Illusionen hatte? Jedenfalls könnten Ihre rechten Kritiker Ihnen das vorwerfen.

Ich glaube nicht. Ich habe seit Jahren versucht, Peaceniks aus dem Ausland davon abzuhalten, mich aus den falschen Gründen zu umarmen. Aber ich will betonen, daß ich hier nicht über die Weltfriedensbewegung insgesamt rede. Es gibt verschiedene Teile, verschiedene Strömungen. Das reicht von den Pazifisten, die glauben, es sei besser, die andere Wange hinzuhalten, bis zu Peaceniks, die für den Krieg als letzte, verzweifelte Möglichkeit sind.

Die Mißverständnisse fangen mit Vietnam oder besser: mit dem Vergleich von Vietnam und dem Mittleren Osten an. Vietnam wurde zu einem Bild mit festen Bestandteilen für die Friedensbewegung in Europa und zum großen Teil auch in Nordamerika. Vietnam — das hieß soviel wie: die weißen, unterdrückerischen, kolonialen Kräfte, technologisch überlegen und reich, kommen daher, um ein armes Land der Dritten Welt auszurauben und zu zerstören, und benutzen dafür ein korruptes Marionettenregime. Das ist das Vietnam-Muster und gewissermaßen das Muster des Kolonialismus. Dieses Muster auf den arabisch-israelischen Konflikt anzuwenden, heißt, die falsche Diagnose zu stellen und damit schließlich auch das falsche Rezept vorzuschlagen.

Zuallererst einmal: Der israelisch-arabische Konflikt ist kein kolonialer Konflikt. Die Israelis kamen, zunächst einmal, nicht nach Palästina, um es zu kolonisieren. Da gab's auch in diesem Teil der Welt nichts weiter zu kolonisieren. Nach den Kriterien des kolonialen Interesses ist das zionistische Unternehmen und die Schaffung Israels eines der schlechtesten Geschäfte, das die Welt je gesehen hat. Es gibt in diesem Land keine natürlichen Ressourcen. Die Juden haben in dieses Land vermutlich millionenmal mehr eingeführt als ausgeführt. Außerdem gab es ganz zu Anfang nicht die Intention, die arabische Bevölkerung des Landes zu verletzen, auszubeuten oder gar zu vertreiben. Es gab anfangs den Willen, das Land miteinander zu teilen und sich tatsächlich auch nur in unbevölkerten Gebieten niederzulassen. Die israelische Besetzung der Westbank und Gazas, die meiner Meinung nach eine Katastrophe für beide Seiten war, ergab sich aus einem gerechtfertigten Verteidigungskrieg. 1967 wurde Israel unmittelbar mit Vernichtung bedroht: Die arabische Koalition erklärte ganz offiziell, daß sie diesen Krieg mit der Absicht führe, die Existenz Israels — und der Israelis — auszulöschen. Der Krieg, dessen Resultat die Besetzung der Westbank und Gazas war — und ich forderte seit je den Rückzug Israels aus diesen Gebieten — war kein Akt des Expansionismus oder der Aggression. Man hatte nicht etwa ein Auge auf die Ölfelder der Westbank oder das Uran des Gazastreifens geworfen ...

Die palästinensische Nation auf der anderen Seite — und dies ist der Schlüssel zum Verständnis — war, zumindest bis vor zwei Jahren, nicht im mindesten mit dem Vietcong oder der algerischen FLN oder irgendeiner anderen Befreiungsbewegung zu vergleichen. Man kämpfte nicht für die Befreiung des palästinensischen Volkes, sondern für die Befreiung der Juden vom Joch des Zionismus und für die Vereinigung des Mittleren Ostens unter einem arabisch-islamischen Regime, unter dem die ethnische und religiöse Minderheit der Juden angeblich prächtig gedeihen würde. Das ist etwa so, als ob der Vietcong geschworen hätte, nicht eher die Waffen zu streichen, als bis Philadelphia, Chicago, New York und Los Angeles vom Joch des Kapitalismus befreit wären. Oder als ob die FLN nicht eher den Kampf hätte aufgeben wollen, als bis sie nach Paris einmarschiert wäre und die Franzosen vom Joch des Katholizismus befreit habe.

Sie sehen, daß die PLO in dieser Hinsicht unter den Befreiungsbewegungen eine Ausnahme darstellte. Während also die Peaceniks in Europa und den USA meinten, die USA kämpfe den falschen Krieg gegen den falschen Feind und aus falschen Gründen und habe sich deshalb sofort und unter allen Umständen aus Vietnam zurückzuziehen, hat dagegen in der israelischen Friedensbewegung nie jemand behauptet, daß der Krieg hier grundlos und um nichts geführt wurde, oder daß der Feind nicht real sei. Es gab hier nie die Auffassung, daß Israel sich unilateral aus der Westbank und aus dem Gaza zurückzuziehen habe — und schon gar nicht um jeden Preis. Deshalb kämpfe ich ja schon seit Ewigkeiten gegen die falschen Umarmungen der Peaceniks in Europa und den USA, die die PLO für den Vietcong halten und Israel für die USA und die israelische Friedensbewegung für ein Äquivalent oder Kind der Peaceniks der sechziger Jahre.

Und warum werden Sie von so vielen Menschen im Ausland mißverstanden?

Ich denke, daß das mit einigen der resistentesten Klischees und Stereotypen bei Teilen der Linken zu tun hat. Zum ersten gibt es da schon mal das Bauchgefühl, daß kein Land der Dritten Welt im Unrecht sen kann. Dort wird gelitten, und Opfer können per definitionem nicht im Unrecht sein. Das ist eine sehr sentimentale, christliche Auffassung: Der, der am Kreuz geblutet hat, muß durch seine Leiden erhöht sein. Ich habe noch nie im Leben eine linke, pazifistische Demonstration gegen irgendetwas gesehen, das von der Regierung eines Dritte-Welt-Landes angerichtet worden ist. Wenn ich Unrecht habe, beweisen Sie mir das Gegenteil!

Die Quelle des Bösen ist immer der weiße, technisch fortgeschrittene, kolonisierende Westen, einschließlich Israel. Man kann ihnen bis in alle Ewigkeit in die Ohren brüllen, daß der Irak ein sehr viel reicheres Land ist als Israel; er ist nicht nur reicher als Israel, sondern auch als Dänemark und Schweden, was das Bruttosozialprodukt betrifft. Aber nach den Klischees im Denken eines Teils der Linken ist der arme Irak, Teil der armen Welt, von der reichen Welt angegriffen worden — von Syrien, Ägypten und Israel. Diese sentimentale und stereotype Auffassung von der Dritten Welt ist grenzenlos — und mir zutiefst zuwider. Alle Klischees sind gefährlich, die der Linken sowohl wie die der Rechten. Fast ist das ein umgekehrter Rassismus. In dem Sinne: diese Leute sind unterdrückt worden — was kann man anderes von ihnen erwarten? Gewalt ist für sie etwas Selbstverständliches. Immer wieder sagen westliche Intellektuelle zu mir, oft im gleichen Atemzug: „Aber du mußt das verstehen, die Palästinenser sind unterdrückt und verfolgt worden; da ist es nur natürlich, daß sie mit Gewalt antworten. Die Juden dagegen haben den Holocaust erlebt, wie können sie so gewaltttäig sein?“ Eine solche Aussage verdient nicht nur gänzlich den Ruf der Doppelzüngigkeit, sie wurzelt außerdem in dieser sehr christlichen Auffassung, daß das Opfer und nicht etwa der Mörder durch das Geschehen erhöht wird oder erhöht werden sollte. Als ob die Opfer der Gaskammern mit moralischer Säuberungsflüssigkeit besprüht worden wären. Wurden sie aber nicht. Es war Zyklon-B. Und nach dem Holocaust wurden einige Juden zugänglicher, offener und sensibler gegenüber dem Leiden anderer, und andere wurden unversöhnlicher, wütender und mißtrauischer. Beide Reaktionen sind Reaktionen von Menschen. Sie mögen nicht gleichermaßen menschlich sein, aber sie sind die Reaktionen von Menschen.

Haltungen wie diese sind beispielhaft für die israelische Linke, für die Sie ein mächtiger Sprecher sind. Sie unterscheiden sich jedoch bereits im Ton erheblich von dem, was Linke in anderen Teilen der Welt sagen. Warum scheint die israelische Linke so viel härter und illusionsloser als die Linke in Europa und den USA?

Weil wir nicht die Unerfreulichkeit unserer Eltern als Eltern, nicht ihre Doppelmoral als prägend erlebten. Wir hatten den Tod als Gegenüber. Todesdrohungen. Als prägende Erfahrung ist das etwas ziemlich anderes. Wenn dir als erstes in deiner Jugend die Doppelmoral deiner Eltern, Lehrer, des Präsidenten und der ganzen Gesellschaft begegnet, dann ist das eine Sache. Aber wenn dir das begegnet, was uns Israelis passiert, nämlich — wie Salman Rushdie es jetzt erlebt hat — ein Todesurteil, das einer ganzen Nation gilt, den Israelis, ausgesprochen von islamischen und arabischen Politikern, dann sieht das Leben ziemlich anders aus. Man empfindet zwar auch seine Eltern, den Präsidenten, die Regierung und die Gesellschaft als ziemlich unangenehm — so empfinden wir israelischen Linken auch —, aber der Stellenwert ist ein anderer.

Und was wird jetzt aus dem Dialog zwischen den israelischen Linken und moderaten Palästinensern, der in den letzten Jahren so verheißungsvoll begonnen hatte?

Der ist jetzt erst einmal eingefroren. Auf der praktischen Ebene schon deshalb, weil die Palästinenser auf der Westbank und in Gaza Ausgangssperre haben. Aber es gibt noch wesentlichere Gründe. Die Entscheidung der palästinensischen Führung, Saddam Hussein zu unterstützen, hat unter den israelischen „Tauben“ großen Zorn ausgelöst. Das war nicht nur eine dumme Entscheidung, sie ist auch moralisch falsch. Und sie wirft den Dialog zum Ausgangspunkt zurück. Direkt vor dem Ausbruch des Golfkrieges waren nach Meinungsumfragen 43 Prozent aller Israelis nicht nur für einen Dialog mit der PLO, sondern auch für die Zwei-Staaten-Lösung. Und diese Zahlen stiegen. Wir waren also nicht so weit vom Ziel entfernt — kein Resultat der Intifada, sondern der Entscheidung der PLO von 1989, Israel indirekt anzuerkennen. Das ist jetzt alles den Bach runtergegangen, denn durch die Unterstützung von Saddam Hussein ist die palästinensische Führung zu ihrem Nein zu Israel zurückgekehrt.

Es gibt keinen Kompromiß, auch nicht im Kopf der friedlichsten „Tauben“, zwischen Existenz und Vernichtung. Wir können der PLO nicht anbieten: „Okay, Israel soll nur montags, mittwochs und freitags existieren.“ Das geht nicht. Langfristig gesehen bin ich weiter optimistisch, denn ich denke, daß es keine Alternative zum Dialog zwischen Israelis und Palästinensern gibt, auf beiden Seiten. Ich glaube, daß wir miteinander reden müssen, einfach, weil es keine andere Lösung gibt. Wir können nicht, wie die Franzosen in Algerien und die Holländer in Indonesien, nach Hause gehen, so ein Zuhause haben wir nicht. Und auch sie können nirgendwo anders hingehen, weil Palästina ihre Heimat ist, so wie Holland die Heimat der Holländer ist. Also werden wir bleiben, und sie werden bleiben. Das heißt: wir müssen etwas tun.

Ist es möglich, daß jetzt die israelische Rechte Amos Oz aus den falschen Gründen umarmt, so wie es vorher die westlichen Pazifisten gemacht haben?

Das werden sie schnell wieder bleiben lassen, denn ich werde nicht eine Sekunde von der Zwei-Staaten- Lösung abrücken und nicht von der Forderung eines unabhängigen palästinensischen Staates in Westbank und Gaza; davon wird mich nichts abbringen. Wenn die Rechte mich dann noch weiter umarmt, dann muß das mit einer großen Veränderung innerhalb der Rechten zusammenhängen, und daß die zustandekommt, dabei will ich gerne behilflich sein. Ich kriege ab und zu Briefe von Leuten, die auf Grund von Mißinformation meine wirkliche Position nie recht verstanden haben; die schreiben jetzt oder rufen mich an, um mir zu gratulieren, meistens mit dem Zusatz: „Und wir hatten gedacht, Sie seien auf Seiten der Araber.“ Aber solche Vereinfachungen existieren überall. Was immer ich auch sage oder tue, irgendjemand ist immer da, der das alles mißversteht oder mißinterpretiert. Ich bin wahrscheinlich jetzt im Westen von einigen Peaceniks als Kriegstreiber hingestellt wurden. Das Lustige ist, daß es wirklich egal ist, ob man absolut bei seinen Prinzipien bleibt und versucht, stringent zu argumentieren: für A oder B ist das, was man tut, eben dennoch eine Enttäuschung.

Die Menschen im Westen sind entsetzt, wenn sie von den Ungerechtigkeiten gegenüber den Palästinensern hören, zum Beispiel jetzt die totale Ausgangssperre während der Kriegshandlungen.

Natürlich, auch ich bin darüber entsetzt. Und ich werde nicht versuchen, es zu rechtfertigen, denn Mißhandlung ist Mißhandlung, ob gegenüber Freund oder Feind. Wenn Sie allerdings wollen, daß ich es Ihnen erkläre, dann ist das etwas anderes. Ich habe wenig Lust, es zu erklären, weil das sofort wieder als Rechtfertigung aufgefaßt wird. Aber gut, ich werde es Ihnen erklären, wenn Sie mir garantieren, daß sie im Druck genügend hervorheben werden, daß ich hier etwas erkläre, nicht aber rechtfertige.

Keine einzige Nation hat einen besonders guten Ruf, was die Wahrung der Bürgerrechte angeht — in Zeiten, in denen sie einen todernsten Krieg gegen einen todernsten Feind führt. Die Briten verfrachteten im Zweiten Weltkrieg Deutsche, die sich in ihrem Land aufhielten, auf Schiffe und schickten sie nach Australien. Darunter waren Juden, die vor Hitler geflohen waren. Die USA hatten Lager in Kalifornien. Wessen Hände sind in Kriegszeiten sauber, wenn es um die Bürgerrechte von ethnischen Minderheiten geht, die gewissermaßen per Abstammung zum „Feind“ gehören? Ich wiederhole: Dies ist keine Rechtfertigung, lediglich eine Beobachtung.

Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, ob ich die Ausgangssperre billige oder nicht, und zwar weil ich nicht weiß, was die Alternative sein könnte. Ich bin dafür nicht genügend gut informiert, eher desinformiert. Wenn ich glauben muß, daß die Ausgangssperre die einzige Alternative zu massenhaftem Mord is

Eric Lee, der als Journalist in Israel lebt, führte dieses Interview mit dem israelischen Schriftsteller Amos Oz (deutsche Übersetzungen im Suhrkamp-Taschenbuch: Im Lande Israel, Mein Michael, Der perfekte Frieden) am 15. Februar in Arad, Israel. Das Gespräch wurde von der taz leicht gekürzt.