Konservativer Modernist

Robert Vorhoelzer und die Münchner Postbauschule/ Eine Ausstellung im Frankfurter Postmuseum  ■ Von Jörg Rheinländer

Ein großer Monitor steht am Beginn der Ausstellung. Nein, sagt die junge Frau auf dem Bildschirm, das Gebäude gefalle ihr ganz und gar nicht. Das sei so eckig, irgendwie. Der Mittdreißiger mit dem Schnauzer wird deutlicher. „Was, die Post da?“, fragt er stirnrunzelnd, so als könne er nicht glauben, daß jemand diesen Bau auf der anderen Straßenseite auch nur eines Blickes würdigt: „Die ist posthäßlich.“

Dabei ist die Fassade des Postamtes am Münchner Goetheplatz beinahe klassisch geschichtet: Das Sockelgeschloß des Funktionsbereiches mit den filigranen Stahlfenstern und den glatten Natursteinen, darüber der dreistöckige Wohnbereich mit der leicht variierten Rhythmisierung und der Betonung der Horizontalen. Den Abschluß bilden die liegenden Fenster des Dachgeschosses und die offene Traufrinne, deren scharfe Kante einen harten Schnitt setzt zwischen Gebautem und Ungebautem.

Die um die abgerundete Ecke laufenden Fensterbänder der beiden unteren Geschosse sorgen für die räumliche Kommunikation zu den Hauptverkehrsstraßen. Zur Hofseite hin nimmt das Gebäude die Form des Platzes mit einem eleganten Fassadenschwung auf: Symbol auch der fortschreitenden Dynamisierung des großstädtischen Verkehrs in den zwanziger Jahren.

Fast 60 Jahre alt ist die Post am Goetheplatz, und noch immer reagieren die meisten allergisch auf den zurückhaltenden Modernismus dieser Architektur. München: Das ist die Residenz, Schloß Nymphenburg, die Marienkirche, Maximilianstraße, Neues Rathaus. Die wenigen Bauten der Moderne aber sind den Bewohnern der Stadt bis heute ein Greuel. Wenn sie sie wahrnehmen.

Die Berliner Hufeisensiedlung Britz von Bruno Taut und Martin Wagner, die Frankfurter Römerstadt des Ernst May oder die Werkbundsiedlung in Stuttgart-Weißenhof: Die Inkunabeln der Architetkur der zwanziger Jahre werden weit weg von München errichtet. In der Stadt des „Brez'nbarock“ mögen die Bürger sich nicht anfreunden mit den nüchternen Zweckbauten. „Kümmerliche Nacktheit“, „Postkiste“: noch die freundlichsten Attribute für die äußerlich schmucklosen Bauwerke. Die ganz andere visuelle Ästhetik der konstruktiven Details und der Farbgestaltung bleiben unverstanden.

Daß die Moderne schließlich doch an einigen Stellen einbricht in die Phalanx des manierierten Historismus, hat zwei Gründe. Der eine ist das Ergebnis einer besonderen Rechtskonstruktion. 1920 wird die bis dahin eigenständige Bayerische Staatspost in die Reichspost integriert. Als Zugeständnis darf sie eine eigene Bauabteilung einrichten: Die Reichspost finanziert, die Bayern planen in eigener Regie.

Der andere Grund heißt Robert Vorhoelzer. In der Zeit von 1920 bis 1930 ist er Hochbaureferent der Postdirektion München. Unter seiner Ägide entstehen die prominentesten Postbauten am Goetheplatz, am Harras und in der Tegernseer Landstraße, die sich in ihrer kompromißlosen Modernität mit den Vorbildern des Neuen Bauens problemlos messen können.

Gleichzeitig planen Vorhoelzer und seine Mitarbeiter die Quadratur des Kreises: Die Landpostämter im Bayerischen als Zusammenspiel von regionaler Eigenheit und internationalem Stil. Die „Postbauschule“ adaptiert die Vorstellungen der Heimatschutzbewegung, deren konservativ-reaktionäre Leitsätze sie zu modifizieren sucht.

Den in der Nazizeit in einem heimattümelnden Formalismus gipfelnden Vorstellungen setzen sie in ihren „Grundzügen der Baupolitik der Post“ von 1927 das „Eingehen auf die Gegebenheiten des Ortes, des Klimas, der Landschaft und des Volkscharakters“ entgegen. Schon die Wortwahl zeigt, wie schwer sich die Postarchikteten tun bei der Abgrenzung gegen die nur „ängstliche Anklammerung an die ortsübliche Bauweise“.

Nicht zuletzt deswegen steht Vorhoelzer zeitlebens zwischen den Fronten: von den einen als „Modernist“ verschrieen, von den anderen als nur erneuernder Traditionalist nicht immer ernst genommen. Vorhoelzer ist kein Ernst May, kein Hannes Meyer, die verstehen ihre Arbeit immer auch als politische im linken Spektrum.

Der politisch konservative Vorhoelzer, Weltkrieg-I-Freiwilliger, Mitglied des Landsturms gegen die Roten Räte in München, sieht sich 1933 plötzlich als „Baubolschewist“ angeprangert. Noch im gleichen Jahr wird er auf Betreiben von Münchner Nazis — es heißt, es seien auch seine persönlichen Feinde — seines Lehrstuhls an der Technischen Hochschule enthoben. Prominente Nazis treten für ihn ein. Vorhoelzer sieht keinen Grund, sich von der Unterstützung Rudolf Heß' zu distanzieren. Im Gegenteil: Er trifft ihn persönlich — und ist von ihm begeistert. Trotzdem bleibt es bei der Relegation. 1939 geht er als Gastprofessor nach Istanbul. Zwei Jahre später verdächtigt man ihn als Nazispion: Als die Deutschen ihren Einmarsch in Griechenland beginnen, bestellt Vorhoelzer Luftaufnahmen von Istanbul. Die braucht er angeblich für seine Lehrtätigkeit. Zurück in Deutschland, wird Vorhoelzer zur Wehrmacht eingezogen.

Von 1945 an wieder ordentlicher Professor an der TH München, holt ihn seine türkische Vergangenheit 1947 ein. Die US-Militärregierung für Bayern klagt Vorhoelzer an, für die Nazis gearbeitet zu haben. Gerichtsverwertbare Beweise lassen sich nicht auftreiben, doch trotz des Freispruchs kann Vorhoelzers Rolle in der Nazizeit nicht geklärt werden. Bis zu seiner Emeritierung 1952 bleibt er in München.

Bei aller Widersprüchlichkeit seiner Vita: Die Architektur Vorhoelzers ist die einzig qualitätvolle der Moderne in München. Zu Unrecht ist sein Werk heute fast vergessen.

„Alle Architektur ist nur Hintergrund für den Menschen“: Vorhoelzers Maxime will nicht passen zu den Vorwürfen, die man ihm in der Zeit nach 1933 macht. Seine Projekte jedenfalls lösen sich nie von dieser Vorgabe.

Die Funktion des Postamtes als zentraler Ort der Kommunikation bestimmt die Form des Bauens. Die Schalterhallen sind die architektonische Einlösung eines demokratischen Anspruchs: hell, publikumsfreundlich möbliert, übersichtlich bis ins Detail. Von der Typographie der Schaltertafeln bis hin zu Schreibpulten und Briefkästen: ein architektonisches Gesamtkunstwerk.

Verschwunden sind die ehrfurchteinflößenden Verschläge des wilhelminischen Obrigkeitsstaates, die noch dem Käufer von Postwertzeichen signalisierten, daß er Untertan zu sein hatte. Bis heute kann man die lichte Freundlichkeit dieser Architektur spüren, selbst wenn bei Umbauten die gläsernen Schalter Vorhoelzers den kugelsicheren Zellen der neuen Post weichen mußten.

Wenn die Menschen andere sind, muß auch der Hintergrund sich ändern. Der Typus Landpostamt folgt den gleichen Prinzipien demokratischen Bauens. Doch das äußere Erscheinungsbild stellt eben jenen Kompromiß dar, den die Postbauschule auf ihre Fahnen geschrieben hat: einfache kubische Baukörper und eine barock anmutende, horizontale Fassadengliederung, glatte Oberflächen und landschaftstypische Proportionen. Die reduzierte Form, das knappe, fast karge Zitat lassen bis zu Beginn der dreißiger Jahre eine völlig neue Architektur auch in der Provinz entstehen — von wenigen Ausnahmen abgesehen.

2.600 Wohnungen baut die Post in den zwanziger Jahren in Bayern. Neben ganzen Siedlungen werden in Kombination mit Amtsgebäuden Wohnkomplexe errichtet. Die Landpostämter bieten Wohnraum für das Personal. „Licht, Luft, Sonne“ verlangt Vorhoelzer — eine Forderung, die die Parallelen zu den Größen des Neuen Bauens augenfällig macht.

Die größte von Vorhoelzer geplante Siedlung entsteht in der Münchner Arnulfstraße. Sie unterscheidet sich in Anspruch und Ausführung kaum von genossenschaftlichen Bauprojekten in Frankfurt oder Berlin. Auf relativ kleinem Grundriß soll den Mietern höchstmöglicher Komfort zu erschwinglichen Preisen garantiert werden. Gasdurchlauferhitzer und Warmwasserheizung gehören dazu ebenso wie die „Münchner Küche“. Sechs Quadratmeter, alle Installationen und Schränke mit minimalem Aufwand zu erreichen, von der „guten Stube“ abgetrennt durch eine Wand aus Glas und Holz: Deutlich läßt die Konstruktion regionalen Bezug zur traditionellen Wohnküche erkennen.

In der Ausstellung ist ein Modell in Originalgröße zu sehen: einer der Gründe dafür, daß das Publikum mit mehr als nur einer vagen Vorstellung nach Hause geht. Überhaupt: In dieser Ausstellung sprechen die Exponate. Die wenigen, konzentrierten Erläuterungen genügen völlig. Eine Vielzahl von Modellen macht die Prinzipien der „Postbauschule“ sichtbar, die Fotos der Umbaumaßnahmen auf dem Land leuchten mit ihrer Vorher-Nachher-Optik unmittelbar ein. Die Dokumente zu Vorhoelzers Leben machen seine Person so transparent, wie das in einer Ausstellung möglich ist. Besonders bei dieser Person.

Die Münchner lieben Vorhoelzer auch nach dem Krieg nicht. In der Zeit des „Rama dama“ macht der „Spezialkommissar für den Wiederaufbau“ die interessantesten Vorschläge für die Rekonstruktion des zerstörten Schwabing zwischen Universität und Oberwiesenfeld. Der konservative OB Karl Scharnagel lehnt die richtungweisenden Ideen Vorhoelzers mit ihrer Trennung von Fahrzeug- und Fußgängerverkehr ab. Münchnerisch bauen ist alles. Nur nicht modern.

Die Ausstellung im Deutschen Postmuseum in Frankfurt dauert bis zum 1. Mai. Der Katalog kostet 48 DM.