Gewandhaus-Orchester jetzt voll unter RWE-Strom

Konzernkonzerte zwischen Engagement und Eigenwerbung/ Aus Finanznot sammelt Kurt Masur für sein Gewandhaus Geld bei Westsponsoren  ■ Aus Leipzig Bernd Müllender

Mit heruntergezogenen Mundwinkeln und geschlossenen Augen lauscht marmorn der junge Beethoven dem Treiben im Foyer des Leipziger Gewandhauses. Würdevoll haben sich zu des Komponisten Füßen gut hundert Menschen zu einer Feierstunde versammelt. Im weltberühmten Musentempel ist die Rede von Dankbarkeit, von Ehre, Freude, von fruchtbaren Prozessen und unschätzbaren Diensten für das Vaterland. Kein Zweifel also: Es geht um Geld.

Auf dem Podium begrüßte Prof.Kurt Masur, alerter Orchesterchef des Musikhauses und Gallionsfigur im Hintergrund bei den Leipziger Novemberrevolten 1989, einen, wie er sagte, „energievollen Partner“: den Vorstandsvorsitzenden des Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerkes (RWE), Franz Josef Schmitt, samt Gefolge aus Essen. Versammelt hatte man sich, um einen gemeinsamen Sponsorenvertrag zu unterzeichnen. Das RWE, einer der Stromgiganten im deutschen Westen und — dem Stromvertrag mit der Ex-DDR sei Dank — jetzt auch Mutterhaus der neuen Westsächsischen Energie AG (WESAG), wird das Gewandhaus in Zukunft mit rund 100.000 Mark im Jahr unterstützen. 50.000 gab es gleich als Soforthilfe, 10.000 für einen Nachwuchspreis und der Rest fließt in eine neu konzipierte Jazz-Reihe, immerhin eine, so das RWE, „revolutionäre Geschichte im sonst so betulichen Gewandhaus“.

Revolutionär im Wortsinne ist Kultursponsoring allerdings längst nicht mehr. Es ist ein mittlerweile gewöhnliches Verhalten liquider Unternehmen zwischen Engagement und Eigenwerbung. Und auch 100.000 Mark sind nicht eben die Menge für einen Konzern mit 50 Milliarden Jahresumsatz — das entspricht im übrigen, wenn diese vergleichende Milchmädchen-Rechnung erlaubt ist, der Jahresspende eines taz-Einheitslohnabhängigen von knapp fünf Pfennigen. Die RWE- Gewandhaus-Connection ist jedoch — nicht nur, weil sie die erste große zwischen Ost und West ist — durchaus bemerkenswert wegen diverser pikanter Hintergründe.

Da ist das RWE selbst, nicht eben neutral im Raum Leipzig. „WESAG plündert Kunden aus“ und „Energiegesellschaften langen kräftig hin“ hieß es zuletzt verbittert in Leipziger Lokalzeitungen. Oder: Für die warme Stube würden „eiskalte Rechnungen präsentiert“. Die Energiepreise haben sich in den Ostländern binnen Jahresfrist verdreifacht — nichts wurde bislang vergleichbar so teuer. Und darum ist die Bevölkerung nicht eben gut zu sprechen auf die neuen Stromer, weshalb die Essener wiederum „mit mittelfristiger kultureller Förderung langfristig eine höhere Akzeptanz bei der Bevölkerung“ zu erreichen trachten.

Und da sind die Kommunen, die vielerorts noch keine Einigung mit den Stromriesen darüber gefunden haben, wer welchen Anteil bei den noch zu konstituierenden Stadtwerken bekommt; und ob die Städte und Gemeinden nur Konzessionsabgaben zugebilligt bekommen oder an den Einnahmen prozentual beteiligt werden. RWE-Chef Schmitt meinte, bei den Verhandlungen sei „verhaltener Optimismus“ spürbar. Das heißt im Klartext: Krach im Gebälk und keine Einigung in Sicht. Die Klage des saarländischen Wirtschaftsministers gegen den Stromvertrag nannte Schmitt denn gleich eine „ideologisch orientierte Attacke“. Unter einem 51-Prozent-Anteil für die Weststromler ginge nichts — „das ist nunmal so im Einigungsvertrag geregelt und nicht korrigierbar“.

In dieser Phase, wo man auch noch um Verständnis für die geplanten neuen AKW in Stendal und Greifswald ringen muß, lag eine werbende milde Gabe sehr nahe, was Schmitt gar als „eine Ehre für die RWE-Energie AG“ bezeichnete. Zumal es auch schon Sponsorenkonkurrenz gibt. Die Deutsche Bank hat bereits 300.000 Mark für einen neuen Manager des Gewandhauses zugesagt („Wir hängen das aber nicht so an die große Glocke“ — Pressestelle); und darüberhinaus verhandeln die Gewandhäusler, so war am Rande zu hören, bereits mit weiteren Wirtschafts-Westgrößen.

Im SED-Staat kannte das Gewandhaus keine Geldprobleme. Die Wohlklänge erfreuten auch die Genossen und Genossinnen und gaben dem Staat ein wenig der seltenen internationalen Reputation. Daß es der eloquente und allseits hochgeschätzte Kapellmeister Kurt Masur aber heute nötig hat, sich bei Konzernriesen wie dem RWE anzubiedern („Mein Vater war Elektro-Ingenieur, und jetzt bin ich in der gleichen Branche gelandet“ — Applaus — fachkundige Antwort Schmitt: „Elektriker sind tolle Kerle“ — erneut Applaus), ist wohl nur durch die riesige akute Not zu erklären. Ohne Unterstützung, so steht zu befürchten, wechseln die Musiker dahin, wo sie ein Vielfaches verdienen könnten. „Aber bis jetzt hält unsere große Familie“, sagt Masur stolz, „noch kein einziger ist gegangen und wir arbeiten derzeit auf einem überwältigenden Niveau.“ Sein Wunsch: daß die RWE-Gaben Katalysatorfunktion haben können und seine Musik auf dem Rückweg als „Hefe der Kultur im Westen Deutschlands aufgehen möge wie früher bei uns“.

Die Privatwirtschaft kommt auch deshalb so ungeniert zum Zuge, weil aus Bonn so wenig Geld fließt und, so Masur, „uns stattdessen die Bürokratie säckeweise übergestülpt wird, bis sie uns erdrosselt“. Allen Ernstes hatte Bonn — von Masur um Hilfe für seinen 35-Millionen-Etat gebeten, den die Stadt Leipzig als Trägerin nicht mehr finanzieren kann — ein Notstandsprogramm vorgeschlagen mit Kurzarbeit. Ob die Musiker dann nur noch jede zweite Note spielen sollten, fragte Chefdramaturg Bernd Pachnicke zurück. Und Masur seinerseits schrieb dem Bundeskanzler einen, wie er sagte, derart scharf formulierten Brief, für den ihn, wäre er veröffentlicht worden, jeder fragen würde, ob der Herr Masur denn nun ein Terrorist geworden sei. Ob der Kanzler das in seiner Antwort ähnlich eingeschätzt hatte, mochte Masur jedoch nicht sagen.

Kein Zweifel, das Gewandhaus freut sich lieber über die neuen Business-Partner, als sich über bornierte Bonner Bürokraten zu grämen. Pachnicke erkennt in den neuen Sponsoren sogar den Brückenschlag in die Gründerzeit des 18. Jahrhunderts: „Das alte Prinzip“ des Gewandhauses sei nämlich schon immer „die fruchtbare gedankliche Verbindung von Wirtschaft und Kultur gewesen“. Im Jahre 1743 hatten nämlich 16 sächsische Tuchfabrikanten die Schnauze voll vom immerneuen tristen Geldscheffeln. Sie kauften sich jeder einen armen Musiker, die fortan mit Konzertantem die Gönnerohren umschmeichelten. Aus diesem Zirkel entstand dann später das Gewandhausorchester.

„Kaufmannskonzerte“ hießen damals die Musikabende der Tuchmacherzünftler. Heute müßten die Darbietungen nur zeitgemäßer benannt werden: etwa Konzernkonzerte. Wie das der marmorne Ludwig van finden würde, wissen wir nicht. Wohl aber, was RWE-Bob Schmitt dazu sagt: „Wie zu den Anfängen des Orchesters ist es heute wieder geboten, daß Kaufmannschaft und Musiker zusammenstehen. Wir möchten unseren bescheidenen Beitrag dazu leisten.“