UNO: Apokalyptische Zustände im Irak

UNO-Beauftragter berichtet nach Besuch im Irak von katastrophalen Zuständen/ Infrastruktur ist völlig zerstört/ Das Land wurde praktisch in einen vorindustriellen Zustand zurückgebomt/ Zur Vermeidung von Seuchen und Hungersnöten müßte Embargo schnellstens teilweise aufgehoben werden  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Schnelle und wirksame Hilfe für die irakische Bevölkerung ist nur möglich, wenn der UNO-Sicherheitsrat so bald wie möglich die Sanktionen gegen den Irak lockert — und zwar nicht nur bezüglich Nahrungsmittellieferungen. Zu dieser Einschätzung kommen das UNO-Katastrophenhilfswerk UNDRO in Genf und der Sonderbeauftragte von Generalsekretär Perez de Cuellar, Martti Ahtisaari, in seinem gestern in New York vorgelegten Bericht.

Der österreichische UNDRO-Delegierte Meyerhofer, der sich zusammen mit anderen Vertretern des Katastrophenhilfswerks vom 10. bis 20.März in den Städten Bagdad, Mossul und anderern Regionen des Iraks aufhielt, gab in Genf gestern einen erschütternden Lagebericht. Die Infrastruktur des Landes, wo 72 Prozent der Bevölkerung in den Städten leben und dessen „Mechanisierungsgrad und Energieabhängigkeit sehr hoch“ ist, sei „total zerstört“. Der Irak sei „zurück in die vorindustrielle Ära zurückgebombt“ worden, erklärte Meyerhofer. Die Wasserversorgung funktioniere „fast überhaupt nicht mehr“. Selbst im modernen Al-Raschid-Hotel, in dem die UNDRO-Delegierten während ihres Bagdader Aufenthaltes wohnten, habe es „nur zwei Stunden pro Tag“ kaltes Wasser gegeben. Die Telefonversorgung funktioniere außer in einem kleinen Ort im ganzen Lande nicht mehr. In der Vier-Millionen- Stadt werde das Wasser zumeist unaufbereitet aus dem Tigris entnommen, in den zugleich sämtliche Fäkalien flössen. Nur aufgrund der noch kühlen Temperaturen sei es noch nicht zum Ausbruch von Seuchen gekommen. Damit muß nach Einschätzung von UNDRO aber „in den nächsten Tagen und Wochen“ gerechnet werden, wenn die Temperaturen auf bis zu 50 Grad Celsius ansteigen. Besonders dramatisch sei die Lage schon heute für „gesellschaftlich schwache Bevölkerungsgruppen“ wie Alte, Kranke und Kinder, so Meyerhofer.

Meyerhofer erklärte, lediglich verstärkte Medikamenten- und Nahrungsmittellieferungen reichten nicht aus, um die Lage zu verbessern bzw. den Ausbruch von Seuchen und Hungersnöten im großen Umfang zu verhindern. Die „zu fast hundert Prozent“ zerstörte Energieversorgung des Landes müsse „zumindest bis zu einem bestimmten Minimum wiederhergestellt werden“, damit das Transportwesen, die Wasserversorgung, die Versorgung von Kranken in den Hospitälern und die Bewirtschaftung der Felder so schnell wie möglich wieder in Gang kämen, erklärte der UNDRO-Delegierte. Dazu bedürfe es der Lieferung unter anderem von Öl sowie von Ersatzteilen für zerstörte Wasserpumpen.

Der Irak, der bis zur Invasion Kuwaits am 2. August letzten Jahres in seiner Nahrungsmittelversorgung „zu 70 Prozent von Importen abhängig“ gewesen sei, habe seit Beginn der Golfkrise „um 60 Prozent mehr angepflanzt“. Die Ernte sei wegen der steigenden Temperaturen und des Wassermangels „akut gefährdet“. Meyerhofer wollte sich nicht konkret dazu äußern, wieviel zusätzliches UNO-Personal notwendig wäre, um nach einer Lockerung der Sanktionen durch den Sicherheitsrat zusätzliche Lieferungen und deren Verteilung im Lande zu überwachen und zu verhindern, daß weiter unter das Embargo fallende Produkte wie z.B. militärisch nutzbare Güter in den Irak gelangen. Dies könne erst nach einem entsprechenden Beschluß des Sicherheitsrates festgelegt werden.

Zu weitgehend identischen Einschätzungen und Empfehlungen wie die UNDRO kommt der UNO-Sonderbeauftragte Ahtissari in seinem in New York vorgelegten Bericht. 90 Prozent der irakischen Industriearbeiter seien derzeit „zur Untätigkeit verurteilt“, schreibt Ahtissari, und hätten ab Ende März kein Einkommen mehr. Selbst die nicht unter die bisherigen Embargobestimmungen fallenden Medikamente könnten „nur mit größten Schwierigkeiten und mit erheblichen Verzögerungen“ an ihre Bestimmungsorte gebracht werden. Die von Ahtissari für notwendig gehaltenen Maßnahmen sind bislang nur in einem indischen Entwurf für eine Waffenstillstandsresolution vorgesehen.