Wie eine Babuschka- Puppe

■ Der nationale Konflikt Jugoslawiens tobt zur Zeit vor allem zwischen Serbien und Kroatien. Unser Korrespondent besuchte die jüngste "Autonome Republik" der Serben in Kroatien.

Wie eine Babuschka- Puppe Der nationale Konflikt Jugoslawiens tobt zur Zeit vor allem zwischen Serbien und Kroatien. Unser Korrespondent besuchte die jüngste „Autonome Republik“ der Serben in Kroatien.

Aus Knin Erich Rathfelder

Du mußt dir Jugoslawien vorstellen wie eine neue Kreation der alten Babuschka-Puppe. Nimmst du die größte runter, kommt eine kleinere hervor, darunter stecken weitere Überraschungen.“ Diesen Hinweis gab mir der Chefredakteur des slowenischen Nachrichtenamgazin 'Mladina‘, Ervin Hladnik-Milharcić, mit auf den Weg auf meine Reise nach Knin, der Hauptstadt der serbischen Enklave im Staatsgebiet der nach Unabhängigkeit strebenden Republik Kroatien. Denn das Gebiet um Knin, auf dem bei einer Thüringen vergleichbaren Größe etwa 140.000 Menschen leben, hat sich am Freitag voriger Woche als „Autonome Region Krajina“ von Kroatien unabhängig erklärt. Seit dort im August letzten Jahres die Verbindungsstraßen mit Barrikaden unterbrochen wurden und seit dort serbische Milizen patrouillieren, ist es neben dem Kosovo zum Hauptspannungsgebiet im Vielvölkerstaat aufgerückt.

Da in der Nacht zum Donnerstag auch noch zwei Bombenanschläge auf serbische Häuser im Dorf Vrbnik bei Knin gemeldet wurden, schien wieder einmal die Zündschnur für handfeste Auseinandersetzungen zwischen Serben und Kroaten gelegt.

Von Zagreb, der kroatischen Hauptstadt kommend, führt die Straße hinauf und vorbei an den berühmten Seen von Plitvicé, deren Wasser im gleißenden Sonnenlicht dieses Frühlingstages in unterschiedlichen Blau- und Grün-Färbungen zwischen den hohen Bäumen glitzert. Dieses „Welt-Naturwunder“ ist angesichts der am Horizont aufragenden, noch von Schnee bedeckten Bergen in dieser Landschaft so einzigartig nicht. Auch die weiteren 140 Kilometer bis nach Knin bergen manches Naturwunder: Die durch schroffe Tafelbrüche geprägte Bergwelt hat Formationen geschaffen, so gewaltig und farbenprächtig, wie man sie in Europa kaum vermutet. Im hier schon trockenen mediterranen Klima bilden Hartlaubgewächse ein undurchdringliches Dickicht, das nur in den Tälern durch kleine Felder und Gärten durchbrochen wird. Ein par Obstbäume, ein bißchen Wein, Schafe und Ziegen bilden die ärmliche Lebensgrundlage für die hier lebenden Menschen. Nur in dem Städtchen Knin, das, selbst in einem größeren Tal gelegen, durch die Bewässerung der Felder wie eine grüne Oase erscheint, gibt es auch Industrie: eine metallverarbeitende Fabrik mit 3.000 ArbeiterInnen.

Angesichts dieser Idylle in der Umgebung der alten Festungs- und Grenzstadt, in der einmal österreichisch-ungarische Truppen die Grenzen zum Osmanischen Reich sicherten, fällt es schwer, die politische Spannung nachzufühlen, die hier herrschen soll. Zwar räkelten sich noch nach Plitvicé kroatische Milizionäre am Straßenrand in der Sonne, und schon Kilometer vor Knin zeigten jugoslawische Flaggen, die ihren roten Stern noch in der Mitte tragen, den politischen Klimawechsel an — auch die als Straßensperren dienenden Bäume und alten Autoreifen sind nur notdürftig zur Seite geräumt. Doch in Knin selbst geht die Bevölkerung scheinbar ruhig ihren Beschäftigungen nach. Erst bei näherem Besehen wird die Spannung deutlich: In den Cafés in der Nähe des Rathauses sitzen serbische Milizionäre herum. Ihre grob gewirkten Uniformen — die erst vorletzte Woche ausgegeben wurden —, ihre offen an der Hüfte getragenen Pistolen und ihre angespannten Gesichter lassen es geraten sein, freundschaftlich aufzutreten. Im Gespräch bleiben sie Fremden gegenüber auf der Hut: Ein Serbe, der aus dem nördlichen Kroatien um Zagreb stammt, gibt immerhin an, er habe seinen Job als kroatischer Polizeibeamter aufgegeben und sei mit der ganzen Familie hierher umgezogen, um „seinem Volk zu helfen“. Der wie alle Milizionäre durchtrainierte Mann läßt keinen Zweifel aufkommen: Wenn die kroatische Miliz hier eingriffe, um die Hoheitsrechte der Republik Kroatien wiederherzustellen, käme es zum bewaffneten Kampf. Zusammen mit der schon vorher existierenden Miliz in diesem Gebiet, die 300 Mann umfaßt, können nun verstärkt durch Reservisten und Freiwillige 1.000 Mann aufgeboten werden.

Die „Autonome Region Krajina“, wie die Serben ihr Gebiet jetzt nennen, hat die gesamte Verwaltung nach den neuen Bedürfnissen umgestellt. Der Anteil der Steuern, der eigentlich der Republik Kroatien gehört, bleibt in der Region. Dagegen wird der Zentrale in Belgrad, die von der Republik Kroatien andererseits finanziell geschnitten wird, ihr Anteil überwiesen. Das ist selbstverständlich eine offene Kampfansage an den kroatischen Staat. In den Behörden hört man nur noch auf ein Kommando. Und das kommt von Milan Babić, dem „starken Mann“ und Bürgermeister Knins, der sich an dem besagten Freitag letzter Woche selbst zum Präsidenten des Autonomen Gebiets bestimmte. Der ehemalige Zahnarzt — ein etwas teigiger Enddreißiger —, der seit letztem Jahr als Chef der örtlichen Sektion der eher antikommunistisch ausgerichteten Partei der Serben in Kroatien (SDS) fungiert, läßt sich aber nicht daran hindern, mit dem Kommunisten und Präsidenten Serbiens, Milošević, enge Kontakte anzubahnen. Es gibt inzwischen keinen Zweifel mehr daran, daß es Babić war, der die Serben in Knin politisch auf die Linie Belgrads brachte (siehe Interview), was der Führung der serbischen Partei in Kroatien oftmals zuwiderlief. Durch seinen Einfluß auf Knin ist es Milošević nämlich gelungen, die politische Konfrontation mit der kroatischen Führung in Gestalt von Franjo Tudjman zu verschärfen. Nicht zufällig wurde die Unabhängigkeit von „Krajina“ einen Tag nach dem - mittlerweile wieder revidierten - Rücktritt des Serben Jović vom Amt des Vorsitzenden des Staatspräsidiums bekanntgebeben. Nach dem Scheitern der Strategie, das Militär für die großserbischen Interessen marschieren zu lassen, wurde Kroatien in Knin der Fehdehandschuh hingeworfen. Die Serben in Knin sind damit zum politischen Spielball „übergeordneter“ politischer Interessen geworden.

Sind aber alle Serben der Region mit dieser Strategie einverstanden? Durch Obstgärten schlängelt sich der Weg in das zwei Kilometer entfernte Dorf Vrbnik. In der Nacht detonierten hier die beiden Bomben. An den betroffenen Häusern ist nicht viel zu sehen, vor allem die Balkone sind in Mitleidenschaft gezogen. Trotz dieses Anschlags, der viel Aufregungen für die Dörfler brachte, bleiben die Meinungen über Babić und dessen Politik geteilt. Ein ehemaliger Lehrer bezweifelt freimütig die offizielle These, Kroaten wären die Attentäter gewesen. Interesse an der Verschärfung der Konflikte hätten auch andere. „Langsam regt sich Widerstand gegen Babić, vor allem bei kleinen Geschäftsleuten und der örtlichen Intelligenz, weil diese nationalistische Politik die Wirtschaft noch mehr unterhöhlt.“ Wer will denn jetzt noch in dem Touristenort Plitvicé in den Tourismus investieren, bei dieser Unsicherheit? Sogar manche kleinen Krämer seien schon ärgerlich geworden. „Was wir brauchen ist Ruhe und Reformen für die Wirtschaft.“ Doch noch hat sich diese Fronde nicht offen gegen Babić organisiert.

In südöstlicher Richtung Knins führt die Straße über einen Paß in ein trockenes Hochtal. Auf der Paßhöhe ist sie mit Steinhaufen abgesperrt. Auf den Felsen prangt der rote Stern, doch sind keine Milizonäre zu sehen. Hinter der Biegung taucht ein mit kroatischen Fahnen überbordendes Dorf auf. Auch die neue „Autonome Region“ hat also ihre Minderheitenprobleme. Rund 10 Prozent der Bevölkerung sind nämlich Kroaten. „Wollt ihr jetzt in Kijevo (so heißt das Dorf) die Unabhängigkeit von Kin ausrufen?“ Die Besucher der Dorfkneipe schmunzeln. Die serbische Miliz habe sich seit Tagen nicht mehr sehen lassen. „Vielleicht beruhigt sich doch alles wieder.“ Und draußen fügt eine alte Frau hinzu: „Was geht denn schief in unserem Land? Vielleicht haben alle auf ihre Weise recht, und das ist das Problem.“ Die Rednerin, fällt mir ein, ist eigentlich die kleinste Babuschka in Jugoslawien: Sie ist Serbin im kroatischen Dorf Kijevo in der serbischen Autonomen Region Krajina in der Republik Kroatien in der Republik Jugoslawien. Ervin hat in einem Punkt nicht recht behalten: Jugoslawien gleicht zwar einer Babuschka, aber immer noch des alten Typs.