Hinter dem Chaossteckt Methode

Montagsdemos gegen die Politik der Treuhand und für Arbeitsplätze in zahlreichen ostdeutschen Städten wie Eisenhüttenstadt, Dresden, Jena, Chemnitz, Magdeburg und Berlin angekündigt  ■ Aus Erfurt René Radix

Wir schreiben den 1.März 1990. Die Regierung Modrow liegt in den letzten Zügen. Auf Antrag der Bürgerbewegung verabschiedet die Volkskammer das Treuhand-Gesetz. Die Anstalt, so wollten es die Abgeordneten, sollte die Anteilsrechte der Bevölkerung an dem durch sie geschaffenen Eigentum sichern. Gut ein Jahr demonstrieren die Ostdeutschen zu Tausenden gegen die arbeitsplatzvernichtende Politik der Treuhand und ihrer Bonner Kolonialherren.

Die Stimmung ist auf einem Siedepunkt angelangt, meint ein Thüringer Gewerkschafter. Allein am Donnerstag vergangener Woche standen über 100.000 Menschen auf dem Erfurter Domplatz [siehe taz, 23.03., Seite 6], die besagte Politik nicht länger ertragen wollen. Die Losungen für den 1.Mai könnten nicht besser sein als die von Erfurt: „Wir sind das Volk“; „Ostermarsch nach Bonn“; „Wahlbetrüger zurücktreten“; „Treuhand, der Tod ist Dein Beruf“; „Wir brauchen Arbeit, Bananen und Kohl haben wir jetzt genug“; „Weg mit der Treuhand und allen, die an unserer Verarmung verdienen“; „Kein Vertrauen in die Politiker“; „Außen Kohl und innen hohl“; „Vereint, verarscht, verarmt“. Die gegenwärtige Situation kommt nicht von ungefähr: Schon bald nach Verabschiedung des besagten Gesetzes über die Treuhand war der ursprüngliche Auftrag der Anstalt bereits vergessen. Die Zeichen standen auf Privatisierung. Das Wort „Sanierung“ verkümmerte zu bloßen Lippenbekenntnissen der gesamtdeutschen Wendepolitiker. Heute hat sich die Treuhand — allein der Immobilienbesitz wird auf 125 bis 250 Milliarden Mark geschätzt — zur meistgehaßten Behörde in den neuen Bundesländern aufgeschwungen. Privatisiert, liquidiert, abgewickelt: Hintern den neuerlichen Bestsellern deutschen Sprachschatzes verbergen sich Hunderttausende Einzelschicksale. Mit 1,2 Millionen Arbeitslosen bei 1,8 Millionen Beschäftigten rechnen die Thüringer Gewerkschaften im Sommer, so ihr Landesbevollmächtigter Wolfgang Erler.

Als „Verkaufsagentur und Schlachthof“ bezeichnete IG-Metall-Chef Steinkühler die Treuhand. In der Nähe einer kriminellen Vereinigung sehen sie Gewerkschafter vor Ort. Abwicklung der Abwicklungsanstalt fordern gar einzelne Freidemokraten — wenn auch mit anderer Interessenlage. Beispiele für die sinnlose Betriebszerstörung gibt es genug. Da macht das Bundesland Thüringen keine Ausnahme.

Seit zwei Wochen haben die ArbeiterInnen der Ermic ihren Betrieb symbolisch besetzt. 8.000 Menschen beschäftigte seinerzeit der Musterbetrieb der Mikroelektronik. Heute sind es noch 6.700. Über die Hälfte sind auf null Stunden Kurzarbeit gesetzt. Am 14. Januar hatte die Geschäftsführung des ehemaligen Vorzeigeunternehmens in Zusammenarbeit mit westdeutschen Unternehmensberatern der Treuhand ein Sanierungskonzept vorgelegt. 129 Millionen Mark hätte die Sanierung gekostet, 2.735 ArbeitnehmerInnen ihren Arbeitsplatz behalten. „Wir könnten ab 1993 schwarze Zahlen schreiben, aber die Anstalt ist nicht bereit, die Subventionen bereitzustellen“, erbost sich Betriebsrat Siegfried Rudolf (35).

Die Treuhand hat inzwischen ihr eigenes Konzept vorgelegt. Ganze 600 Arbeitsplätze werden bei ihrer Variante gesichert. 1.200 Beschäftigte sollen in ausgelagerten Betriebsteilen arbeiten, doch das ist vorerst Zukunftsmusik. „Wenn alle entlassen werden sollten, wird der Betrieb richtig besetzt“, droht das Besetzerkomitee.

Bei der Graf von Henneberg GmbH, einem Porzellanbetrieb aus Ilmenau, sieht es ähnlich aus: Das Sanierungskonzept für den Betrieb fand bei Rohwedders Mannschaft zunächst Anklang, doch den notwendigen Investitionskredit wollte die Behörde dafür nicht lockermachen.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang noch einmal an den „Fall“ der Wartburg-Werke in Eisenach. Ohne Geschäftsführung und Betriebsrat verständigt zu haben, beschloß die Treuhand, am 31. Januar das Aus für den Eisenacher Traditionsbetrieb. Massive Proteste der AWEler schoben das Ende für das Werk nur um drei Monate hinaus. Bald werden 4.000 Beschäftigte und 35.000 aus der Zulieferindustrie für immer nach Hause gehen. Dabei hatte die Geschäftsleitung ein Gutachten der Commerzbank in der Tasche, demzufolge der Betrieb bis zum Beginn der Opel-Produktion im nächsten Jahr hätte überleben können...

Die „einsamen Entscheidungen“ der Treuhandanstalt am Berliner Alexanderplatz scheinen die Regel zu sein: So hatte die Geschäftsführung des Hochfrequenzwerkes Meuselwitz einen Konkursantrag gestellt, die Treuhand Gera wollte jedoch den Betrieb weiterführen. Aber die Allgewaltigen vom Alex hoben die Entscheidung der Geraer auf. Seit vergangenen Montag herrscht nun der Liquidator über das Schicksal der 300 Beschäftigten.

Drittes Beispiel: Schon im vergangenen Sommer stand das Sanierungskonzept für die „Erfurter Gaststätten GmbH“. Die Geschäftsführung hätte 1.200 der 1.700 Beschäftigten halten können. Es gab auch Investoren für die großen Objekte. Die Berliner winkten ab. Die Treuhand bestellte Geschäftsführer Littmann als Liquidator des eigenen Betriebes. Jetzt werden erst einmal die kleinen Kneipen verpachtet, jedoch nur für zwei Jahre. Und die Pächter müssen die Sozialpläne erfüllen. Ein heikler Punkt, mit dem sich die Anstalt möglicherweise wäschekörbevoll Prozesse an Land ziehen könnte, für die Pächter winkt bereits heute das (fast) sichere Aus. Die Treuhand ist im Abkassieren Weltmeister, Verpflichtungen haben sie gar nicht gern. Thermoplast Schwarzhausen, Elektro- und Kunststoffe Gotha, Arnstadt Kristall, Knopffabrik Frankenhausen: „Ich könnte die Liste der Verweigerungshaltung beliebig fortsetzen“, seufzt die Gewerkschafterin Hildegard Seidler. Obwohl die Regierung de Maiziére die Bereitstellung der Mittel für Sozialpläne per Gesetz festschrieb, stellt sich die treuhänderische Behörde stur. Was aus den großen Gaststätten wird, weiß derzeit niemand zu sagen. „Jeder hat hier panische Angst“, meint die Betriebsrätin Eva-Maria Schulz vom Erfurter „Hotel Stadt Moskau“. Auch der „Lebensmittel-Handel Elm“ in Erfurt bekam nie eine Chance, sich zu profilieren. Die Treuhand „entflechtet“, schafft aber in Wirklichkeit viel größere Monopole. Bodo Ramelow von der HBV- Thüringen: „Hinter dem scheinbaren Chaos steckt Methode. Hier werden zur Zeit riesige Handelsmonopole zusammengeschweißt.“ Frei nach der Devise: die Filetstücke für Edeka und Rewe, die Brosamen für die Ossis. Die werden dann wohl relativ schnell ins Gras beißen müssen. So machten bei Läden mit Verkaufsflächen unter 100 Quadratmetern zu Dreivierteln die Ossis das Rennen, bei über 100 war es genau umgekehrt...