Mehr als der Tod, weniger als Hoffnung

■ Premiere von Samuel Becketts „Warten auf Godot“ im Schauspielhaus

Wladimir (li) und Estragon, Seit an SeitFoto: J.Landsberg

Anfang der fünfziger Jahre als Revolution allen bisherigen Theaters gefeiert, Ende der Sechziger als Revolutionsverhinderungsstück entlarvt, hat WARTEN AUF GODOT diesen März gleich auf drei deutschsprachigen Bühnen Premiere. So sind es doch die letzten Wahrheiten, die sich halten, und seien sie so trostlos wie die der beiden Protagonisten Wladimir und Estragon?

Bei einem derart instinktsicheren Stückeschreiber, der auf detaillierte Regieanweisungen wert legt, sollte man meinen, ist kaum etwas falsch zu machen. In Bremen hielt sich der Regisseur Hans-Ulrich Becker wortgetreu an das Original und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß der hiesige Godot mit Zwang zur Lustigkeit nichts am Hut hat. Natürlich bietet Beckett schier unerschöpflichen Tiefsinn. Aber ein

stens vermittelte er auch die damals nicht wohlfeile Erkenntnis, daß der moderne Pessimismus am bestürzendsten wirkt, wo er noch komisch agiert. Die „Erniedrigung“ der Klassiker bis zur Alltäglichkeit, die Regisseure wie Zadek probierten, verlagert Beckett direkt ins Stück: In seinem Strudel gehen sie unter und tauchen, Angstlust und Heiterkeitsverzweiflung provozierend, wieder auf. Aber Becketts theatralisches Thema ist nicht bloß die Anti-Utopie. Die Rätsel des Dichters sind feinsinniger und schwieriger, weil sie nach Knoblauch stinken, nach Schweißfüßen und Sperma. Irgendwas ist da immer ganz körperlich-konkret. In „Godot“ begegnen wir zwei Landstreichern, die auf jemand warten, der ihnen weiterhelfen könnte, oder ein Obdach hätte für die Nacht und was zu essen. Aber der Kerl kommt nicht.

Von daher nicht recht erklärlich, daß Wladimir (Andreas Grothgar) nun oberlehrerhafte Züge angenommen hat. Zudem ist es Estragon, der sich, mit Hinweis auf seine Lumpen, augenzwinkernd als Dichter einführt. Und den Intellektuellenpart mimt unabweislich Lucky, der Knecht, mit seinen Tanz-und Denkverrenkungen. Mehr kreatürlich kommt Gogo daher, aber auch er durchweg zerknirscht: Zwei Schmerzensmänner, denen das Feuer beinah ausgegangen scheint.

Das Hauptproblem der Inszenierung scheint mir die Stilisierung — ist das Ganze nicht etwas clean geraten? Der spielerische Witz realistischer Unterschichtdialoge gerät gegenüber dem Schwergewicht der Aussichtslosigkeitstiraden recht weit ins Hintertreffen. Konsequenterweise fröstelt es die beiden Klagebrüder — insbesondere Didi — andauernd . So erreichen Wladimir und Estragon ihre Zärtlichkeitsform Didi und Gogo selten. Sie stolpern oder taumeln oder stehen einfach rum im bedeutungsschwangeren leeren Raum. Das Bühnenbild (Alexander Müller- Elmau) mit seinem monumentalen Baumklotz verfestigt das Gemälde. Die zarte Blüte über Nacht am Stamm dann wieder eine schön-absonderliche Überraschung. Dem Pandämonium ist die Banalität abhanden gekommen, und die artifizielle Überhöhung macht den Schrecken nur weniger schrecklich. Bei Beckett soll er sein „Wie es ist“. (Warum Gogo partout im Emsland wandern will, und was, zum Teufel, beide ständig in die Nähe von Oldenburg treibt, bleibt zum Glück auch weiterhin völlig unklar.)

Das alles stimmt so auch wieder nicht. Pozzo (John-Siegfried Mehnert) und Lucky (Hubert Schlemmer), dieses Zitat einer Herr-Knecht-Beziehung, fällt in einer Pose ein, die es genau trifft. In seiner Unterdrücker-Geste wie als blinder hilflos-Herrscher wirkt Pozzo schauderhaft gemein. Und richtig ist, wenn mit dem erniedrigten Lucky gar kein Mitleid aufkommt. Auch sein gequälter Netztanz und seine noch viel gequältere Denkakrobatik funktionieren in der Kälte ihres Rituals.

Im zweiten Akt gewinnen auch Gogo und Didi an Fahrt bei ihrem Spiel mit der Langeweile gegen die Langeweile. Die poetischen Passagen gelingen am besten. Da teilt sich etwas von der Zärtlichkeit zwischen beiden mit — jenem Kontrapunkt des Sich-Anwiderns und Aneinander-Vorbeiquatschens. Beides sollte zum Totlachen sein — führt hier aber direkt zum (glaubhaften) Wunsch, sich aufzuhängen. Dem Baumklotz wiederum fehlen dafür die Äste - vielleicht sitzt da die Pointe? Wenn Didi, kurz vor Stückesschluß, die Intellektuellenbrille abnimmt, und sagt, ich kann nicht mehr, dann glaubt man ihm, bis zur Identifikation. Das ist schon was, obwohl sich fragen läßt, ob Beckett sowas denn im Sinne hatte — Identifikation? Oder ob ihn die Abneigung gegen dergleichen nicht mit seinem Widersacher Brecht verbindet?

Der Beifall tat Zustimmung kund. Vereinzelt Bravo-Rufe. Einige ältere Leute schienen ratlos, die Jüngeren eher angetan. Und stadtbekannte Spötter zeigten sich beinah ehrfürchtig beeindruckt. Konstanze Radziwill