Es bleibt eine Mauer im geteilten Park

■ Der innere Teil des Schloßparks Niederschönhausen, einst für SED-Gäste reserviert, öffnete am Samstag seine Tore

Pankow. Geschichte und Geschichten wiederholen sich. Plötzlich stehen sie wieder vor einem alten Preußenschloß, die »Langen Kerls«, die Leibgarde von Friedrich Wilhelm I. An ihrer Mindestgröße von 1,90 Meter muß man ganz schön hoch hinaufschauen, um in die unbewegten Gesichter unter den Helmen zu sehen. Grenadiersuniformen glänzen in blaurot und weiß. Die Gewehre sind geschultert, doch ihre Mündungen sind heute mit roten Rosen verstopft.

Die den strömenden BesucherInnen gereichten Blümchen sind eine Morgengabe der Mannen und Frauen um den Pankower Bezirksbürgermeister Harald Lüderitz (SPD). Der hatte sich seit einem dreiviertel Jahr schließlich erfolgreich darum bemüht, den Park um das preußische Renaissance-Schlößchen Niederschönhausen und das neuere SED-Gästehaus wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Über 40 Jahre lang war der innere Teil des Parks, von einer ebenso hohen wie häßlichen Mauer abgeschirmt, ein Reservat für die hohen Tiere der SED gewesen.

Nun stehen die Langen Kerls vor der Plattenfassade des Gästehauses und üben Salutieren bevor der Bezirksbürgermeister und Umweltsenator Volker Hassemer eintreffen. Die beschauen sich noch, genauso wie das strömende Volk, den einstmals verbotenen Park, in dem heute zur Feier des Tages allerlei Musikantengrüppchen fiedeln. »Erst das Gewehr, dann das Bein vorschieben!«, belehrt der »Kommandant« seine Garde in den Uniformen von 1716. Ein Schrei: »Aua!« Der ungeübte Soldat beklagt sich über einen Splitter des Holzgewehrs in seinem Daumen. »Und knallt nicht so doll mit dem Kolben auf den Boden! Der Bürgermeister kommt! Grenadiere präsentiert das Ge-we-ehr!«

Es sind die Geschichten der Präsentation und der Abschirmung, die sich in Niederschönhausen wiederholen. Im Jahre 1375 erstmals als »Herrensitz Schönhausen« erwähnt, wurde das Anwesen 1691 an den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. verkauft. Im Geheimen trafen sich dort verschiedene Herren, um seine Krönung zum König von Preußen zu beraten. Auf der Rückkehr von jener Krönung in Königsberg nach Berlin nahm der nunmehr zu Friedrich I. Avancierte hier Quartier und ließ das Gut anschließend zu einem respektablen Sommersitz ausbauen.

Wilhelm Pieck hat das später wohl zu würdigen gewußt. Auf seiner Rückkehr von der Krönung zum ersten Präsidenten der DDR ließ sich auch er sich dort nieder. Beschirmt von der Mauer durch den Park, genoß er von 1949 bis 1960 das königliche Ambiente barocker Decken und geschnitzter Spiegelrahmen mitten im Arbeiter- und Bauernstaat.

Ob Pieck wohl wußte, daß er das köstliche Interieur zwei Damen zu verdanken hatte? Zwei Preußenkönige nutzten das Schloß als Damen- Abschiebe-Anstalt. Friedrich der Große verbannte seine ungeliebte Gattin Elisabeth Christine dorthin, und im 19.Jahrhundert verbrachte auch die Ehefrau und spätere Witwe von Friedrich Wilhelm III. hier einsame Stunden.

Aber es waren nicht nur Männer, die im Schloßpark vom Volk ferngehalten wurden. Nachdem der neue Plattenbau zum Gästehaus der SED umfunktioniert wurde, drehte nicht nur Fidel Castro auf den lauschigen Parkwegen seine Joggingrunden, sondern flanierte auch das Ehepaar Ceausescu unter alten Eichen. Als letzte Gäste erholten sich dort Michael und Raissa Gorbatschow im Oktober 1989 von der Jubelparade zum 40.Jahrestag der DDR.

Doch auch danach, als die Mauer durch Berlin längst gefallen war, blieb die Mauer im geteilten Park bestehen. Ein informeller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zog nun hier ein: Czerni konnte schließlich reklamieren, daß er zum DDR- Ministerpräsidenten gewählt worden war. Und kaum war er weg vom Fenster, standen die neuen Machthaber aus Bonn vor der Tür: Am Tag der deutschen Vereinigung ging der Besitz in die Hände der Oberfinanzdirektion über. Die wiederum möchte das Anwesen möglichen Gästen des Herrn Bundespräsidenten reserviert wissen.

Es bedurfte einiger Verhandlungen seitens der Pankower SPD, um die Geschichte der Abschirmung kurzzeitig zu durchbrechen und die Parkmauer wenigstens für das vergangene und das kommende Wochenende an Ostern zu öffnen. »Die Mauer muß weg«, fordert die SPD. »Sie soll durch einen Zaun ersetzt werden«, antwortet milde lächelnd ein Vertreter der Oberfinanzdirektion. »Der Park muß offen bleiben«, verlangen Spaziergänger, die sich das verbotene Terrain gerade erst wieder erobert haben. »Vielleicht wird es demnächst Konzerte im Schloß geben«, läßt sich der Finanzvertreter abringen.

Und auch die Grenadiere bestehen auf ihrer Tradition der Abschirmung. Ob sie denn inzwischen auch Frauen in ihrem Potsdamer »Traditionsverein Lange Kerls« aufnehmen würden? Da lacht der Kommandant etwas zu vulgär auf: »Das ist ein Männerverein, und das soll er auch bleiben.« Ute Scheub