Aus den tiefsten Seelen des Reviers

Große Gefühle bei dramatischen Volksopern an der Ruhr: Bochum bändigt Dortmund glücklich mit 2:2, der MSV Duisburg die Schalker Pflichterfüller unglücklich mit 1:1  ■ Tief im Westen: Ch. Biermann

Als Michael Rzehaczek in der dritten Minute der Nachspielzeit den 2:2-Ausgleich des VfL Bochum gegen Borussia Dortmund schoß, war es deutlich zu hören. Genauso wie am Abend zuvor, als Ewald Lienen wenige Sekunden vor der Halbzeitpause den Ausgleich für den MSV Duisburg gegen Schalke schoß. Der Jubel war anders. Er kam aus tiefster Seele, schüttelte die Körper ganz und wollte nicht mehr aufhören. Torerfolge in Revierderbys sind anders. Sie sind Momente des Triumphs, in Spielen, in denen es um mehr als nur um Sieg oder Niederlage, Punktestände und Tabellenplätze geht. Die Revierderbys sind die großen Volksopern an der Ruhr mit großen Gefühlen — Liebe und Haß.

Am Wochenende gab es das in gleich doppelter Dosis mit zudem ähnlichen Vorzeichen. Die Kleinen gegen die Großen, die Zählebigen gegen die Klotzigen, die am Ort Beliebten gegen die weitspannenden Popularitätsmaschinen. Und es war in beiden Fällen begeisternd, dramatisch, teilweise sogar frenetisch.

Der MSV Duisburg und der VfL Bochum verkörpern im Ruhrgebiet eher das Prinzip unerschütterlicher Duldsamkeit, die mühsam im Schatten von Schalke 04 und Borussia Dortmund gedeiht. Dem MSV scheint dabei aber kaum etwas zu gelingen, was man durchaus als Wunder bezeichnen kann. Mit einer Reihe von Spielern, die ihre Zeit eigentlich schon hatten, einigen, die nie eine zu erwarten hatten und zuletzt denen, die noch auf ihre warten, sind sie — wohl auch zur eigenen Überraschung — auf dem Weg in die Bundesliga. Der mehrfach gescheiterte Michael Tönnies ist Torschützenkönig der 2. Liga. Ausgemusterte Bundesligakicker wie Ewald Lienen und Lothar Woelk spielen groß auf, während fleißige Durchschnittskicker wie Franz-Josef Steininger oder Dirk Bremser auf einmal den Himmel sehen.

Wundersam eigenwillig nahm sich das aus neben der geölten Erfolgsmaschine von Schalke 04, die fast ausnahmslos aus Erstligaspielern besteht und sich mit Radmilo Mihajlovic seit kurzem den bestbezahlten Fußballspieler der Bundesrepublik leistet. Für Schalke ist der Aufstieg Pflicht, für den MSV ein Traum. Und man sah auch, daß die einen um den Traum kämpften und die anderen ihre Pflicht erfüllten. Im seit Tagen ausverkauften Wedaustadion reichten die aufopferungsvollen Bemühungen des MSV schließlich nicht, Schalke auszuhebeln. Und es wirkte wie ein unappetitliches Lob von oben herab, als Schalkes neuer Trainer Aleksanda Ristic den MSV hinterher als bestes Team der 2. Liga bezeichnete.

Borussia Dortmunds Trainer Horst Köppel zeigte nach dem Spiel in Bochum schon mehr Gespür für den richtigen Ton. Obwohl der BVB zur Halbzeit mit 2:0 geführt hatte und der Ausgleichstreffer erst in der letzten Minute fiel, sprach er von einem glücklichen Punktgewinn. Und tatsächlich hatte die beste Auswärtsmannschaft der Bundesliga beim kleinen Nachbarn im Ruhrstadion eine Menge Glück. Oft genug verlor die Abwehr des BVB die Übersicht und durfte sich bei Teddy de Beer im Tor und der Blackout-lastigen Sturmreihe des VfL bedanken, daß sie an diesem Nachmittag nicht verloren.

Trotz ihrer ausgezeichneten Erfolge bei Auswärtsspielen merkte man Borussia auch in Bochum an, daß die Mannschaft in dieser Saison noch nicht weiß, wer sie ist. Gute Momente wechselten sich mit merkwürdigen Ausfällen ab, spielerische Sicherheit mit kopfloser Hektik. Der VfL wußte dagegen, was er wollte und konnte, auch wenn das nicht immer spielerische Extraklasse war. Sie verstanden die Idee des Revierderbys besser, rannten bis zum Wadenkrampf, wühlten und rackerten besessen, um schließlich doch noch mit dem Ausgleich belohnt zu werden.

Das dürfte besonders den Vorstand des VfL Bochum erleichtert haben. So hatten diese Herren zumindest einmal einen Nachmittag lang Ruhe. Seit ihrer haarsträubenden Informationspolitik beim Verkauf von Thorsten Legat und der Erklärung von Trainer Reinhard Saftig, seinen Vertrag beim VfL nicht zu verlängern, ist es nämlich mit der Duldsamkeit der VfL-Fans vorbei.

Ihr Stillhalten am Samstag war mehr eine Geste dem Derby gegenüber. Für 90 Minuten ging es schließlich um Wichtigeres als die Zukunft des Vereins, nämlich um einen Sieg gegen den BVB. Die Dramaturgie des Spiels ließ das Unentschieden wie einen Sieg erscheinen, die Gefühle schwappten beim großen Finale noch einmal hoch und Herbert Grönemeyer ertönte aus dem Stadionlautsprecher: „Tief im Westen...“

Schalke 04: Lehmann — Güttler — Schacht, Prus — Luginger, Müller, Schlipper (75. Mademann), Borodjuk, Flad — Mihajlovic, Zechel (63. Kroninger)

Zuschauer: 30.600

Tore: 0:1 Borodjuk (13.), 1:1 Lienen (43.)

Bochum: Wessels — Kempe — Oswald, Reekers — Rzehaczek, Herrmann, Nehl, Heinemann, Legat — Helmig (46. Peschel/76. Milde),Kohn

Dortmund: de Beer — Helmer — Kutowski, Schulz — Karl, Breitzke (62. Quallo), Zorc (35. Franck), Rummenigge, Poschner — Driller, Povlsen

Zuschauer: 32.000

Tore: 0:1 Zorc (31. Foulelfmeter), 0:2 Breitzke (41.), 1:2 Peschel (51.), 2:2 Rzehaczek (90.)

Duisburg: Macherey — Notthoff — Puszamszies, Struckmann, Tarnat (82. Kober), Bremser, Woelk, Steininger, Lienen — Schmidt, Tönnies