: ZWISCHEN DEN RILLEN VONELISABETHELEONOREBAUER
Nach zwei Partien Billard verkaufte er sein Pferd, dann ließ er schwarzen Kaffee bringen, rauchte „eine herrliche Pfeiffe toback“ und machte sich daran, den letzten Satz des Konzerts für Freund Stadler zu instrumentieren. Wenige Wochen später war Mozart tot. Das Klarinettenkonzert KV 622 — einziges dieser Art — war sein letztes Konzert überhaupt.
Letzte Werke, letzte Worte, letzter Hand: der Markt ist zum Brechen mozartsatt. Über dreißig Aufnahmen vom Klarinettenkonzert gibt's derzeit zu kaufen, nur Sabine Meyer hat noch gefehlt. Jetzt hat auch sie ihr KV 622 bei EMI abgeliefert — und natürlich ist was Besonderes daran. Es handelt sich erstens, wie die Firma rühmt, um eine Einspielung mit extra „langer Reifezeit“, was, nehmen wir mal an, soviel heißt wie: ein guter Jahrgang, ein edler Tropfen. Zweitens spielt Meyer das Konzert endlich „historisch korrekt“ — nämlich, ganz wie Mozarts Freund Anton Stadler, auf einer „Bassett-Klarinette“. Dies geheimnisvolle Instrument, früher „Mozart-Klarinette“ genannt und nicht zu verwechseln mit dem „Bassetthorn“ (d.i. die eine Quint tiefer stehende Altklarinette), gibt es an sich nicht. Oder vielmehr, es gab davon einmal zwei oder auch drei Exemplare als Spezialanfertigung: eine gewöhnliche A- oder B-Klarinette, mit Extraklappen um vier Töne nach unten erweitert. Die Gebrüder Stadler hatten sich so was bauen lassen, damit sie recht tief hinabsteigen konnten in die dunklen Schattenregister, die der späte Mozart besonders geliebt hat.
Tatsächlich greift der erste Satz des Klarinettenkonzerts KV 622 auf ein ursprünglich für Bassetthorn gesetztes Allegro zurück. So kommt es, daß an einigen Stellen einige Töne für die Normalklarinette nach oben versetzt sind, was nicht weiter stört, zumal wenn man's nicht weiß. Bemerkbar macht sich das Fehlen der vier tiefen Töne eigentlich nur ein einziges Mal: mitten im ersten Satz, da wo sich die Soloklarinette nach frohgemutem Aufschwung harmonisch nicht bestätigt sieht, vielmehr durch seltsame Verrückungen im Orchester irritiert, sich also abwärts begeben muß, tief und tiefer steigt, bis sie selbst das Fundament abgibt für die merkwürdigste Modulation und endlich wie Phönix aus der Asche wieder aufsteigt ins helle D-Dur. Diese Stelle ist, versetzt in höhere Lage, glatt gemordet.
Aber davon einmal abgesehen, sollte man um vier Töne nicht so viel Wind machen: pauschal vom „alten Klangspektrum“ schwätzen und von der Rekonstruktion des „ursprünglichen Melodieverlaufs“. Das klingt, wie es im Plattenbeiheft protzt, so gewaltig nach Originalklang, daß man sich gleich, bewahre, auf übelstes Gebrummel und Gequäke gefaßt machen will. Doch keine Sorge, wo Meyer draufsteht, da ist auch Meyer drin: ein Klarinettenton, so schlank und schön und makellos, wie es sein soll — und überhaupt ein KV 622, wie man sich's im Traume wünscht. Ja sogar, daß Meyer sich die Spezialanfertigung mit den Extraklappen hat nachbauen lassen, das ist, wegen eben jener schönen Stelle im ersten Satz, den Hokuspokus mindestens vierfach wert.
Von Mozarts letzter Sinfonie, der nach Jupiter benannten großen C-Dur-Sinfonie KV 551, gibt es derzeit sogar über vierzig Einspielungen auf dem Markt, davon drei im authentischen Originalklang. Den Gipfel der Mißachtung moderner Ohren hat dabei das englische Ensemble Hanover-Band erklommen: sie haben diese Platte, wie all ihre Aufnahmen, wieder in der Londoner All Saints Church produziert, unbekümmert darum, daß der Nachhall in diesem Raume akustisch absolut tödlich ist. Und sie dreschen sich auf ihren Originalinstrumenten so gnadenlos durch bis ins Finale, als ginge es darum, wer erster ist. So kratzen im Vordergrund vor allem die spitzig vibratolosen Violinen und tröten im letzten Satz die Trompeten, alle anderen Instrumente laufen weit abgeschlagen im nicht mehr hörbaren Mittelfeld. Nach diesem Wettlauf zwischen Blechschachteln und Nähmaschinen habe ich mir wieder meine altmodische Aufnahme mit Böhm und dem Concertgebouw aufgelegt — die ist mir mit allen Kratzern immer noch die liebste.
Mozart, Klarinettenkonzert KV 622 und Sinfonia concertante KV 297b. Mit Sabine Meyer und der Dresdner Staatskapelle unter Hans Vonk. EMI CD 7 54 138 2
Mozart, C-Dur-Sinfonie KV 551, Klavierkonzert d-Moll KV 466 und Serenata Notturna d-Dur KV 239. Mit der Hanover Band und Christopher Kite unter Roy Goodman, Nimbus Records NI 5259
VIEREXTRAKLAPPENUNDEINWETTLAUFZWISCHENBLECHSCHACHTELNUNDNÄHMASCHINE N
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen