Bahr für Beteiligung an UN-Streitkräften

■ SPD-Sicherheitsexperte: Bundeswehr soll sich nach Änderung der UN-Charta an Truppen der Vereinten Nationen beteiligen/ Staatsminister Schäfer (FDP): Selbstbeschränkung verliert an Glaubwürdigkeit

Berlin (taz/dpa) — Der frühere SPD-Sicherheitsexperte Egon Bahr hat sich für eine „zügige Ergänzung“ des Grundgesetzes ausgesprochen, um eine Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Aktionen der Vereinten Nationen zu ermöglichen. In einem Interview der 'Berliner Morgenpost‘ erklärte der Direktor des Hamburger Institutes für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, die Bundesrepublik könne „nicht der einzige Staat in der Welt sein, der den unmöglichen und unvertretbaren Standpunkt vertritt: Wir lassen kämpfen — wir zahlen mit Geld für das Blut anderer“.

Klargestellt werden müsse, „daß in dem Augenblick, in dem die Normalität der wirklichen Einheit erreicht ist, Deutschland sich auch mit den gleichen Rechten und Pflichten an dem beteiligt, was die Völkergemeinschaft für wichtig hält“. Bahr, Mitglied im Bundesvorstand der SPD, geht damit über den Beschluß des SPD-Vorstandes vom letzten Dienstag hinaus. Mit knapper Mehrheit hatte dieser einen Leitantrag für den kommenden SPD-Parteitag beschlossen, indem sich die SPD für eine Verfassungsänderung ausspricht. Der Einsatz der Bundeswehr soll danach bei UN-Friedensmissionen, nicht aber bei von der UNO legitimierten Krieg möglich sein.

Voraussetzung für den weitergehenden Einsatz, wie ihn Egon Bahr nun fordert, müßte eine Änderung der Charta der Vereinten Nationen sein. In absehbarer sollten UNO- Streitkräfte geschaffen werden, die die Beschlüsse des Sicherheitsrates auch durchsetzen können. „Realistisch“ könne man dies zwischen den Jahren 2.000 und 2.010 erwarten.

Rückblickend erklärte Bahr, die jetzt diskutierte Verfassungsänderung hätte zu keiner Beteiligung der Bundeswehr am Golfkrieg geführt. Der Krieg sei keine Aktion der UNO gewesen. Sie habe lediglich eine Reihe von Staaten autorisiert, unter nationalem Oberbefehl gegen die Aggression Saddam Husseins vorzugehen. Den Vorwurf eines mangelnden Engagements wies der frühere SPD-Sicherheitsexperte zurück. Die Bundesregierung habe aber „verschwiegen, daß ohne Deutschland der Aufmarsch am Golf gar nicht möglich gewesen wäre“. Durch ihre Infrakstruktur und ihre geographische Lage habe sie einen entscheidenden Anteil am schnellen Aufstellen der multinationalen Truppen in der Golfregion getragen.

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer (FDP), sprach sich ebenfalls für eine Verfassungsänderung zugunsten von Bundeswehreinsätzen „bei der Bewältigung schwerer internationaler Krisen“ auch im Kriegsfall aus. Der Verweis auf die historisch begründete Selbstbeschränkung des Grundgesetzes verliere „international mehr und mehr an Überzeugungskraft“, schrieb Schäfer in einem Gastkommentar in der Mainzer 'Allgemeinen Zeitung‘. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Friedbert Pflüger meldete unterdessen den Wunsch an, daß sich die Bundesregierung vorangig mit den europäischen Partnern über die Bildung einer europäischen Eingreiftruppe verständigen möge. Nach dem SPD-Beschluß sei ziemlich klar, daß es im Bundestag keine Zweidrittelmehrheit für einen Einsatz der Streitkräfte über UN- Friedensmissionen hinaus gebe. Sein Orakel: Eine auf die Blauhelme beschränkte Regelung habe eine „verheerende Wirkung“ auf Deutschlands Bündnispartner. wg