Über die Pflege selbst bestimmen

■ Behinderte wollen von Pflegediensten unabhängig werden/ Selbstorganisierte Betreuung bedeutet Selbstbestimmung/ Was in anderen Städten funktioniert, muß in Berlin noch erstritten werden

Berlin. »Wer im Heim wohnt, gibt oft seine Selbstbestimmung beim Pförtner ab«, meint Eckard Post, 41 Jahre alt. Er ist Rollstuhlfahrer, Vorstand bei den Ambulanten Diensten e.V. und setzt sich seit Jahren dafür ein, daß Behinderte privat Pflegekräfte anstellen dürfen. Private Betreuung heißt für ihn, selbst zu entscheiden, von wem man angezogen wird; wann man abends mal ausgeht, eine eigene Wohnung zu haben, heißt für ihn also, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Was dem im Wege steht, ist die Abrechnungspraxis der wesentlichen finanziellen Leistungen für Pflegebedürftige, der »Hilfe für Pflege« (BSHG, Paragraph 69,69). Die wird derzeit nämlich nur an Träger von Pflegediensten, etwa die Caritas, gezahlt. Die Behinderten können die Dienste dieser Träger in Anspruch nehmen, das gezahlte Geld aber nicht selbst verwalten. Nur wenige Städte, München etwa, bilden da eine Ausnahme. Die Folge ist, daß die Behinderten sich keine Betreuung privat, also auf individueller Basis organisieren können, weil die Mittel fehlen. Und das, obwohl sich durch die Selbstorganisation für viele Betroffene die Möglichkeit eröffnen würde, aus für sie unzumutbaren Institutionen herauszukommen, zum Beispiel für Körperbehinderte aus Altenheimen (vergleiche taz vom 8.3.91).

»Die Wohlfahrtsverbände«, meint Eckard Post, »müßten im Grunde gar keine Angst davor haben, daß die Behinderten die Pflegehilfe selbst in die Hand bekommen«. Die Behinderten könnten mit dem Geld ja nach wie vor etablierte Dienste, etwa Heime, bezahlen, wenn sie das wollen. Vorausgesetzt, die Einrichtungen würden den Behinderten gerecht und wären attraktiv, seien auch keine Abwanderungsbewegungen zu befürchten.

Gegen dieses Wahlrecht hat kein Verband grundsätzlich etwas einzuwenden. Doch wird den Behinderten mancherorts nur eingeschränkt die Fähigkeit zugestanden, auf privater Basis Pfleger anzustellen und somit direkter Arbeitgeber ihrer Betreuer zu werden. »Viele Behinderte sind gar nicht in der Lage, Arbeitgeber (ihrer Helfer) zu sein. Geistig Behinderte wären zum Beispiel ganz und gar davon ausgeschlossen«, meint Rainald Purmann vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. Wenn es zu Konflikten käme, sei der Behinderte als Arbeitgeber seiner Pfleger in einer mißlichen Lage, weil er auf den Pfleger angewiesen sei und nicht auf ihn verzichten könne, so Purmann weiter.

Das Konflikt-Argument hat jedoch nicht überall Gewicht. In München zum Beispiel hat man mit der privaten Anstellung von Pflegern gute Erfahrungen gemacht. Probleme treten bisher eher wegen zugedrehter Geldhähne bei den Ämtern auf als aufgrund von Ärger mit den Pflegern. Den Befürchtungen von Rainald Purmann könnte eine von vielen Behinderten beklagte Einstellung zugrunde liegen; nämlich die, daß Behinderten die Organisation ihrer Lebensführung abgenommen werden muß.

Bei einigen Trägern beginnt sich die Ansicht jedoch durchzusetzen, daß es Behinderten möglich ist und zusteht, ihre Pflege selbst zu organisieren. Auf der letzten Jahrestagung der Caritas in Köln sprach man sich für eine direkte Zahlung der Pflegehilfe an die Behinderten aus. Die Ambulanten Dienste in Berlin nehmen jedoch derzeit ihre Gelder erst pro forma im Namen der einzelnen Betreuten entgegen. Gunnar Tausch