Da blieb nur das Gähnen

■ Betr.: "Für die Jugend spielt die Geschichte eine museale Roll", taz vom 2.3.91

betr.: „Für die Jugend spielt die Geschichte eine museale Rolle“, taz vom 2.3.91

[...] Zwei Schwerpunkte sind es im wesentlichen, bei denen mir trotz prinzipiell richtiger Darstellung einige Aspekte zu fehlen scheinen. Das ist zum einen die Geschichtsmüdigkeit, das Desinteresse bezüglich der Jahre 1933 bis 1945, zum anderen die erwähnte derzeitige Diskreditierung des Antifaschismus in der ehemaligen DDR bei der Assimilation des Ostens an den Westen.

Dies darf meiner Meinung nach nicht nur den jetzigen oder ehemaligen Schülern vorgeworfen werden. Auch und überwiegend ist hier ein Blick hinter die Kulissen der in der DDR ausgeübten Praktiken bei der „Pflege und Vermittlung des historischen Erbes“ zu werfen. Eine echte Auseinandersetzung und Vergangenheitsbewältigung mit der Hitler- Ära hat es nicht gegeben; es wurde sehr formal damit umgegangen. Mit den Namen von Antifaschisten für Straßen und öffentliche Gebäude wurde als Aushängeschild für die Imagepflege operiert. In der Form von einseitig ausgewählten Jahreszahlen, Fakten, Programmen, die die Schüler auswendig zu lernen hatten, wurde fast ausschließlich der kommunistische Widerstandskampf behandelt. Und selbst hiervon wurden noch nicht ins Konzept und in die ideologische Ausrichtung passende und somit „unbequeme“ Ereignisse und Tatsachen einfach weggelassen. So wurden beispielsweise nach den Geschwistern Scholl Schulen und Kindergärten benannt, aber Erwähnung im offziellen Geschichtsunterricht fanden sie schon wesentlich seltener. Ich bin auf die Thematik der „Weißen Rose“ aufmerksam geworden durch den gleichnamigen Film des westdeutschen Regisseurs Michael Verhoeven und habe dann die in der DDR dazu erschienenen Bücher (Wir schweigen nicht, Die weiße Rose, Briefe und Aufzeichnungen) nur unter großen Mühen bekommen können.

In dieser Form wurden die Jahre 1933 bis 1945 abgehandelt, dann über mehrere Schuljahre die „Geschichte der Arbeiterbewegung“ und unverhältnismäßig ausgedehnt die offizielle Geschichte der SED — während durch die ältere Geschichte vom Beginn der Menschheit an bis einschließlich des Mittelalters in zwei Schuljahren (fünfte und sechste Klasse) galoppiert wurde, die später nie wieder Erwähnung fand. Da blieb dann wirklich nur noch das Gähnen!

Hinzu kommt, daß sich oftmals SED-Funktionäre und besonders die Parteisekretäre, die gar nicht selten ganz miese und erbärmliche Typen waren, mit den wirklich aufrichtigen und mutigen Widerstandskämpfern in eine Reihe stellten. Ihr zweifelhafter Charakter ist dann in der Zeit der Wende ans Licht gekommen. [...]

Die Diskreditierung des Antifaschismus in der ehemaligen DDR hat somit nicht erst jetzt begonnen, sondern erfolgt schon seit vielen Jahren — und zwar durch diejenigen, die sich seine eifrigsten Verfechter nannten. Ernsthafte Bemühungen um Vergangenheitsbewältigung wie auch bei anderen Problemen waren und sind nicht bei den Verkündern lauter Parolen (die hier ja inzwischen genau so laut und eifrig das Gegenteil verkünden) zu finden, sondern bei denen, die leiser, aber dafür beständig bemüht sind, in und mit der Wahrheit zu leben. Ulrike Schreckenbach, Potsdam