Vorsicht, Krokodil!

■ „Don Juan oder Der steinerne Gast“ von Molière in den Münchner Kammerspielen

Was die Augsburger Puppenkiste von den Münchner Kammerspielen eindeutig unterscheidet, ist die Aktualität ihrer Inszenierungen. Denn während noch vor wenigen Wochen in Augsburg die Märchen aus Tausendundeiner Nacht abgesetzt wurden, weil hier und da „der herrliche Herrscher aus Bagdad“ erwähnt wird, kann es zu derartigen Kollisionen mit der Wirklichkeit in den Kammerspielen gar nicht mehr kommen. Der verführerische Mörder und mörderische Verführer, der Don Juan des Herrn Molière, treibt nicht mehr in Sizilien sein Unwesen. Vielmehr betont die Übersetzung des Stückes durch Heiner Müller den zoologischen Aspekt der Figur. Die „Heiraterbestie“ Don Juan wird dann auch von Regisseur Hans-Joachim Ruckhäberle abstrakt begriffen als „Maschine namens Mensch“, die nichts bewegt, weil alles in Bewegung ist, dort, wo der Regisseur sie ansiedelt: in der Welt des Scheins, in einer barocken Theatermaschinerie.

Das Bühnenbild von Volker Pfüller eröffnet eine perspektivische Gassenbühne in bunten Farben. Stellte die Effektverliebtheit des barocken Theaters, seine horizontale und vertikale Ausrichtung, der mythologische Fuhrpark zu Wasser und zu Land, der rege Luftverkehr in Form von Engeln, Blitzen, Feuerwolken neben der Erinnerung an die Vergänglichkeit alles Irdischen vor allem auch einen sinnlichen Götzendienst an der Welt dar, verzichtet Pfüller auf all den Pomp und läßt sich vom Prinzip inspirieren. In seinen leeren Räumen kann man sich wirklich alles vorstellen, und das Spiel mit der Täuschung ist dort, wo es der Text darauf anlegt, reine Desillusion. Das Nicken der Statue des Komturs, jenes todbringenden Gastes, den sich Don Juan zum Essen lädt, wirkt ähnlich unheimlich wie die wackelnden Köpfe der Ungeheuer aller Geisterbahnen, das auftretende Gespenst ist sofort als Luftballon identifizierbar, und statt des Höllenfeuers, das den ungläubigen Helden verschlingt, pustet die Windmaschine ein scharzes Tuch durch den Raum.

Doch bleibt das Spiel allein die naive Lust der Bühnenmaschine. Daß alles Theater ist, erfährt der Zuschauer gleich zu Beginn der Vorstellung, wenn Lambert Hamel als betagter Don Juan in einen Scheinwerferkegel an die Rampe tritt und seinen ersten Monolog über das „falsche Licht der Ehre“ vorträgt, in dem sich so Treulose wie er eigentlich gar nicht sonnen dürfen. Dies ist der Auftakt jener Anklage gegen die bigotte Doppelmoral seiner Zeit, die Molière dem wortgewandten Edelmann in den Mund legt. In ständiger Verwandlung betreibt Don Juan das Maskenspiel der höfischen Gesellschaft in taumelnder Geschwindigkeit. Getrieben von der Lust, gilt seine Liebe nur der Wahrheit.

So sind die verlassenen Frauen und die ehebrecherischen Abenteuer in der Behandlung des volkstümlichen Stoffes durch Molière auch nur Nebensachen. Dem Schicksal der Donna Elvira, die dem Herzensbrecher ein Opfer brachte, indem sie die göttliche Liebe gegen die weltliche tauschte und sich aus dem Kloster entführen ließ, widmet er nur zwei kleine Szenen, in denen die Verlassene ihre Liebe einklagt. Säkularisiert, verlor das Objekt der Begierde für Don Juan allen Reiz. Erst wenn Donna Elvira sich wieder in die klösterliche Tracht hüllt, um ihn in diesem Gewand zur Umkehr zu bewegen, spürt er den eigenen Herzschlag wieder. Doch eben dieser ist es, der ihn ständig forttreibt, aus den Armen aller Geliebten in die Hände des Komturs.

Von Don Juan einst ins Grab gebracht, tritt der steinerne Gast, so der Untertitel des Stückes, nun als Rächer des Himmels auf und führt ihn in die Hölle. Dabei bleibt der kalte Handschlag mit der Statue die einzige Berührung, und auch damit bekommt man Don Juan nicht zu fassen. Lambert Hamel setzte gegen soviel Bewegung eine gewisse Schwerfälligkeit und Starrheit. Seinen Degen als Spazierstock nutzend, macht hier ein gesetzter Herr einen Ausflug in die Welt eines jungen Enthusiasten, und er fährt dabei ab in die Hölle, wie er aufgetreten ist: deklamierend. In den Wortgefechten mit seinem Diener Sganarelle (Axel Milberg) brennt nicht mehr das Feuer der Empörung. Seine Sätze überzeugen bestenfalls als Rückblick eines Menschen, der die Kämpfe hinter sich hat. So fehlt der Aufführung das Herzstück, und der operative Eingriff des Regisseurs durch die Besetzung zieht auch die übrigen Figuren unter das Seziermesser des einzigen Einfalls. Der Mensch als Maschine, und sei es als eine rhetorische, will eben doch gespielt werden. Doch dort, wo die Schauspieler den Versuch unternehmen und wo es vor allen Dingen immer wieder in den komödiantischen Einlagen Axel Milbergs gelingt, bleibt das Spiel seltsam isoliert oder doch verkannt in seiner wirklich barocken, weil sinnesfreundlichen Wirkung auf das Publikum.

Auch darin beweist sich die Augsburger Puppenkiste also als wahres Weltentheater, das die Grenze zwischen Schein und Sein auflöst, wenn der ganze Saal emphatisch brüllt: Vorsicht, Krokodil!

Simone Schneider

Molière: Don Juan oder Der steinerne Gast. Regie: Hans-Joachim Ruckhäberle. Bühne und Kostüme: Volker Pfüller. Mit Lambert Hamel, Bettina Hauenschild, Axel Milberg. Münchner Kammerspiele. Nächste Aufführungen: 1., 7., 13. und 28.4.