„Jetzt hilft nur noch beten“

■ Peter Neururer, neuer Trainer von Hertha BSC Berlin, über Auf- und Abstieg, Rassismus und Randale, Fußball und Show und die Profilneurose des Schalker Präsidenten

Durch Ristic wurde er von seinem heiligsten Schalke getrennt. Nun soll Peter Neururer als dritter Hertha- Trainer dieser Saison, die Berliner vor dem Abstieg retten. Die taz sprach mit dem Joker.

taz: Sie haben mal gesagt „Normalerweise muß ich jeden Morgen meinen Gebetsteppich ausrollen und dem lieben Gott für mein Glück danken“. Falsch gebetet?

Peter Neururer: Nein, mit Sicherheit nicht. Das habe ich gesagt, weil im deutschen Fußball Qualitäten eines Trainers weniger zählen als Glück, Zufall oder Beziehungen. Da ich selber nie in der ersten Liga gespielt habe, hätte ich normalerweise nicht dort coachen können. Durch Horst Hrubesch bekam ich den Einstieg bei RW Essen und bin dann die Treppe raufgefallen nach Aachen.

Mit 35 Jahren wollten Sie Trainer in der ersten Liga sein. War das der Grund für Hertha?

Nein. Der Verein hat ein großes Renommée. Und für einen Trainer kann eine Aufgabe nicht schwer genug sein.

Ist der Bundesliga-Verbleib noch realistisch?

Ganz ehrlich: Von der spielerischen Grundsubstanz her können wir die Klasse nicht mehr halten. Wir brauchen Glück. Wenn nicht, sind wir abgestiegen.

Was kann noch getan werden? Die Verletzten, die Sache mit Rahns Vertragsklausel und daß er nicht in der zweiten Liga spielen will?

Ich will das mit Rahn nicht kommentieren, denn Vertragsinhalte sind nicht für die Öffentlichkeit da. Für das Team gibts keinen Fall Rahn.

Stimmt die Motivation noch?

Theo Gries beispielsweise ist ein vorbildlicher Profi. So ehrgeizig, daß sich dies schon fast destruktiv gegen ihn richtet. Er müßte lockerer werden. Oder Walter Junghans, von seinen Fähigkeiten einer der besten Liga-Torhüter. Nur macht er sich momentan so viele Gedanken, daß seine Nerven blank liegen. Deshalb kassiert er Tore, die er normalerweise schon mit der Mütze fängt.

Die Mannschaft hat diese Saison nicht so gut gespielt wie letztes Jahr.

Erste und zweite Liga kann man nicht vergleichen. Hertha war nach dem Aufstieg vielleicht zu blauäugig in der Planung. Ich habe letztes Jahr nach unserem Heimspiel gegen Hertha gesagt: „Wie können die aufsteigen, die brauchen fünf neue Leute.“ Eben diese fünf Leute fehlen jetzt.

Apropos Fehlen. Der Verein mit den wenigsten Toren hat drei Stürmer verkauft.

Was Axel Kruse betrifft, der zum Top-Stürmer stilisiert wurde: Wie kann er das sein, wenn er nur zwei Tore schießt.

Was sind die Grundlagen für ein längeres Bleiben bei Hertha?

Die finanzielle Gewähr, die Spieler halten und holen zu können, die ich brauche. Erstligareife. Es gibt Spieler, die allein wegen mir wechseln würden und dabei auf ein paar Mark Gehalt verzichten.

Von Schalke?

Von dort könnte ich zwölf Mann mitbringen, aber das ist unrealistisch wegen der hohen Gehälter und Ablösen dort. Für 1,50 Mark kann man keinen Lamborghini kaufen. Das finanzielle Konzept muß stimmen. Wenn ich hier bleibe, sorge ich dafür, daß mehr Zuschauer kommen als jetzt. Dazu käme der Vorteil der Lokalderbys gegen Blau-Weiss 90.

Ihr langfristiges Ziel?

Internationaler Fußball, das ist in Berlin möglich.

Sie haben organisatorische Mängel bei Hertha kritisiert...?

Die Trainingsbedingungen sind eine Katastrophe. Großer Mist, daß die Hertha kein Zuhause hat. Und einen atypischen Trainingsplatz ohne Atmosphäre, wo die Bälle beim Schußtraining viereinhalb Quadratmeilen wegfliegen. Oder daß die Spieler sich selbst die Schuhe putzen müssen, statt sich aufs Training vorzubereiten. So was habe ich noch nie erlebt. Das ist Verbandsliga-Niveau, echt provinziell.

Was fällt Ihnen zu einem Vergleich Schalke — Hertha ein? Führung, Umfeld, Stimmung.

Die Stimmung bei Schalke ist nicht zu vergleichen: Der Mythos existiert. Bei Hertha ist das anders wegen des großen Angebots in der Stadt. Schalke wird von einem Profilneurotiker, Herrn Eichberg, geleitet, der den Verein wie sein Spielzeug benutzt, allerdings viel dafür tut. Doch Schalke hat jetzt so eine Top-Mannschaft, daß weder Eichberg noch Ristic den Aufstieg verhindern können. So viele Fehler kann man nicht machen. Der Hertha fehlt ein Sponsor, der wirklich mit dem Verein verbunden ist.

Sie leben von der Identifikation mit den Fans. Auch in Berlin?

Man muß zwischen Fans, Spielern, Trainer und Medien ein offenes, ehrliches Verhältnis herstellen. In Aachen und Schalke war auch alles tot, als ich kam, und als ich ging, gab es Demonstrationen.

Und die Hertha-Vergangenheit: Bestechung, Geldverschwenderei, Fans?

Das kann man in den Griff kriegen, wenn die sportliche Leistung stimmt. Doch wenn wir dauernd eins auf die Mütze kriegen, kann man nicht positiv werben.

Wie stehen sie zu den Ausschreitungen?

Ausländer, politische oder religiöse Gruppen dürfen nicht verunglimpft werden. Fußball soll Spaß machen und keine Bühne sein für Diskriminierungen. Da müssen bei Hertha Vorstand, Manager, Spieler und auch ich mehr tun, um die Verbundenheit zu verbessern.

Und wenn Sie in Berlin bleiben?

Dann steigt Hertha sofort wieder auf! Denn von der zweiten Liga hab ich die Schnauze voll.

Zum Klassenerhalt bräuchten Sie mindestens 18:6 Punkte.

Träumen wir ein bißchen. Siege gegen Bochum und Gladbach, die Konkurrenten verlieren, schon sind wir wieder da. Spinnerei halt.

Kaiserslautern hat es 1989/90 geschafft.

Die Lauterer sind trotz Labbadia und Kuntz nicht besser als wir, wenn alle spielen. Hätte ich die Hertha schon früher mit gesunden Spielern übernommen, hätte ich den Klassenerhalt versprochen.

Fußball soll Show sein. Hertha hat in zehn Heimspielen drei Tore geschossen.

Das ist keine Show. Aber allgemein wird Fußball in den Medien zu breit verkauft. Das wird langweilig. Und wenn ich sehe, daß es unter den Trainern so wenig Typen gibt, die durch große Klappe was riskieren, wird mir bange ums Geschäft. Ich bleibe jedenfalls bei meiner Art. Allerdings soll es nicht so sein, wie bei Christoph Daum und seinen Angriffen gegen Jupp Heynckes.

Ihr Vorgänger Csernai ist nach 5:7 Punkten entlassen worden. Sie haben jetzt 0:6.

So eine miese Serie hatte ich noch nie. Jetzt hilft nur noch beten, daß die Spieler gesund werden. Aber ich denke, daß ich bis zum Saisonende hier arbeiten darf. Jedenfalls weiß ich, wie lange ich Gehalt bekomme. Zur Not kann ich auch auf meine Abfindung von Schalke zurückgreifen, von denen habe ich ja genug Schmerzensgeld bekommen. Interview: Nikolaus Hillmann