Nasa-Träume und Nasa-Wirklichkeit

■ Bemannte Raumfahrt made in USA: Mit Atomenergie zum Mars oder mit kaputten Türangeln in die Werkstatt?

Washington (taz) — „Sieh nach den Sternen, hab acht auf die Gassen“, hieß es schon in Omas Poesiealbum. Diesen Spruch sollte sich auch die US- Raumfahrtbehörde Nasa zu Herzen nehmen. Dieser Tage demonstrieren die amerikanischen Weltraumstürmer deutlich, daß sie den Kopf zwar in den Sternen haben, aber über Hindernisse auf Washingtons Gassen zu stolpern drohen.

Der letzte Schrei unter optimistischen Raumfahrtexperten sind mit Atomreaktoren angetriebene Raketen.

Wie die Fachzeitschrift 'Aviation Week and Space Technology‘ berichtete, will die vom Weißen Haus eingesetzte „Synthesis Gruppe“ Anfang Mai die Verwendung von atombetriebenen Raketen empfehlen, um bemannte Raumfähren zum Mars zu befördern. „Atomarer Antrieb“, so steht es in 'Aviation Week‘, „würde die Raumfahrt revolutionieren und nicht nur Kurzreisen zum Mars, sondern auch bemannte Missionen zu den entferntesten Punkten des Sonnensystems ermöglichen.“ Atomreaktoren könnten den Raketen einen höheren Schub verpassen als bisherige Antriebe. Der Flug von der Erde zum Mars ließe sich mit einem kleinen Atommeiler an Bord in zwei bis drei Monaten statt in 450 bis 500 Tagen absolvieren.

Nur mit Atomenergie, meint Astronaut und Atomphysiker Franklin Chang-Diaz, könnte so die größte Gefahr langer Weltraumaufenthalte vermindert werden: die Einwirkung von galaktischer und solarer Strahlung auf die Mannschaften. Chang-Diaz entwickelt zur Zeit im Auftrag der Nasa eine atomar angetriebene Rakete. Hinderlich ist ihm dabei die mißtrauische amerikanische Öffentlichkeit. Seit der Explosion der Raumfähre Challenger vor fünf Jahren, wissen alle Amerikaner, daß jeder Start mit einem Risiko verbunden ist. Die Politiker, befürchtet Chang- Diaz, könnten sein Projekt kurzerhand streichen, bevor es überhaupt abhebt.

Während die Synthesis Gruppe die Weltraumforschung atomar beschleunigen will, gerät ein viel grundlegenderer Baustein der bemannten Raumfahrt unter wissenschaftlichen Beschuß. Das Weltraumlabor „Freedom“, so urteilte der „National Research Council“ (NRC), ist sein Geld nicht wert. Der NRC gilt als wichtigstes und politisch einflußreichstes amerikanisches Wissenschaftlergremium. Das neueste, revidierte Design des Labors sei nicht geeignet, seine beiden wichtigsten Aufgaben zu erfüllen: Studien über Auswirkungen längerer Weltraumaufenthalte auf den Menschen und Materialforschung im schwerelosen Raum. „Weder die Menge noch die Qualität der Forschung, die im geplanten Labor möglich ist, kompensiert den voraussichtlichen finanziellen Aufwand“, bemängelte der NRC. „Ein schwerer Schlag“, sei das harte Urteil der angesehenen Wissenschaftler, meint Raumfahrtexperte John Logsdon, „möglicherweise ein Todesurteil“. Könne die Nasa die Kritik nicht ausreichend widerlegen, werde es für den Kongreß „schwierig“ sein, „Mittel für das Projekt zu genehmigen“. Der Verlust der Freedom wäre auch für Chang-Diaz ein schwerer Schlag. Seine Kurzreisen per Atomreaktor zum Mars müßte er womöglich streichen, weil grundlegende Erkenntnisse über die Auswirkung längerer Weltraumaufenthalte auf den Menschen fehlten.

Während auf diese Weise ambitiöse Pläne gesponnen und schöne Designs in Angriff genommen werden, plagt sich die Nasa mit dem ganz alltäglichen Ärger herum: Wegen Rissen in den Türangeln mußte die Raumfähre Discovery von der Abschußrampe zurück in die Werkstatt gebracht werden. Nun soll Anfang April die Atlantis — ebenfalls mit Rissen in den Angeln — fünf Astronauten und das Gammastrahlen-Observatorium GRO in den Raum befördern. GRO hat 650 Millionen Dollar gekostet und besteht aus vier Teleskopen. Die Astronomen erhoffen sich von ihm wichtige Einblicke in Quasare, Pulsare und Schwarzen Löcher. Man kann den Forschern nur wünschen, daß GRO ihnen mehr Freude bereiten wird als das kurzsichtige Hubble-Teleskop. Silvia Sanides