Bagdad befürchtet Ausweitung des Aufstands

■ Berichte über Demonstrationen und Kämpfe in der Hauptstadt/ Saddam zieht loyale Truppen um Bagdad zusammen/ Hunderte von Deserteuren im Südirak/ Kurden bauen ihre Positionen aus/ Hubschrauberangriffe auf befreites Kirkuk?

Berlin/Amman (taz) — Die nun schon seit Wochen andauernde Aufstandsbewegung gegen das Regime Saddam Husseins verweist auf die strukturelle Dreiteilung des Landes: der überwiegend schiitische Süden des Landes, Ausgangspunkt der Revolte, der sunnitisch-kurdische Norden sowie Bagdad und Umgebung, das von sunnitischen Arabern dominiert wird. Auch die Modernisierungskonzepte der Baath-Partei konnten diese Gegensätze nicht überwinden, unter anderem deshalb, weil sie nicht mit einer entsprechenden politischen Partizipation der Bevölkerung einhergingen. Wenn man den mit einer gewissen Vorsicht zu genießenden Meldungen der Opposition im Ausland und interessierten Nachbarstaaten wie Syrien und Iran Glauben schenkt, hat der Aufstand jetzt auch auf das sunnitische Kernland übergegriffen, das schon seit den Zeiten des Osmanischen Reichs die politische Elite stellte.

Ein hochrangiger irakischer Regierungsbeamter gab am Wochenanfang in Amman gegenüber der taz zu, daß die Führung in Bagdad Angst vor Massenunruhen auch in den Städten hat, die noch unter ihrer Kontrolle sind. „Wenn wir die Bevölkerung nicht so schnell wie möglich mit Brot versorgen, dann werden sie sich hinter irgendwelche Kräfte stellen, die ihnen Nahrungsmittel versprechen“, sagte der Politiker, der anonym bleiben wollte.

In den staatlichen irakischen Medien war bislang nicht von Protesten in Bagdad die Rede. US-amerikanischen Angaben zufolge gibt es Anzeichen für Unruhen in einigen ärmeren schiitischen Vororten der Hauptstadt. Radio Teheran berichtete am Sonntag abend, es sei zu „heftigen Gefechten“ in Bagdad gekommen. Bereits am Samstag sei auf ersten Demonstrationen der Rücktritt Saddam Husseins gefordert worden. Der Oppositionssender „Stimme des freien Irak“ meldete, Aufständische griffen in mehreren Stadtvierteln Büros der Sicherheitsdienste an. Saddam Hussein ziehe unterdessen weitere loyale Truppen in und um die Hauptstadt zusammen.

Auch wenn das Bild über die Lage im Irak nach wie vor diffus ist, scheinen die Kurden im Norden ihre Stellungen weiter auszubauen, während das Regime im Süden die Oberhand gewonnen hat. Allerdings gibt es nach Angaben von Flüchtlingen in der von den US-Truppen besetzten Zone nachts immer noch Angriffe der Aufständischen. So sei beispielsweise das Sheraton-Hotel in Basra beschossen worden, in dem sich irakische Offiziere aufhielten. Die Flüchtlinge, zu denen auch mehrere hundert Deserteure der irakischen Armee zählen sollen, sprachen weiter von Racheaktionen des Regimes und Exekutionen. Viele Deserteure beantragen jetzt politisches Asyl. Die US-Truppen, die irakische Soldaten zuvor entwaffnet und zurückgeschickt hatten, sind jetzt dazu übergegangen, sie als Kriegsgefangene zu akzeptieren.

Aus Kurdistan gab es am Sonntag im syrischen Fernsehen die ersten Bilder aus der befreiten Stadt Zakho nahe der Grenze zur Türkei. Die Aufnahme zeigten Peschmergas, kurdische Kämpfer, die in den Straßen Freudentänze aufführten. Türkische Journalisten, die verschiedene Orte in der Grenzregion besuchten, berichteten von Hilfsappellen der kurdischen Organisationen. „Was sie vor allem brauchen, sind Lebensmittel und Medikamente“, erklärte ein Korrespondent. „Bereits jetzt sind wegen des Benzinmangels nur wenige Fahrzeuge einsatzfähig. Noch muß niemand hungern, aber sie befürchten, daß die Vorräte bald ausgehen.“ Diesen Angaben zufolge ist der Nordirak jetzt in verschiedene Gebiete aufgeteilt, die von den unterschiedlichen Kurdenorganisationen kontrolliert werden. In den einzelnen Orten herrschten jedoch wieder geordnete Verhältnisse.

Ein Sprecher der Patriotischen Union Kurdistans erklärte gestern in Damaskus, der Irak habe am frühen Morgen die eroberte Stadt Kirkuk mit Kampfhubschraubern angegriffen. Er appellierte an die Alliierten, den Einsatz der irakischen Luftwaffe nicht zu dulden. Die Kontrolle Kirkuks durch die Kurden ist für die irakische Regierung ein besonderes Problem, da dort die neben dem Süden wichtigsten Ölförderanlangen liegen.

Der neue irakische Ministerpräsident Saadoun Hammadi besuchte gestern als erste Amtshandlung seine Geburtsstadt Nadjaf und Qadissiyah, ebenfalls eine schiitische Stadt. Wie es in offiziellen irakischen Kreisen in Amman hieß, muß sich die Führung nun drei Hauptproblemen stellen: der Niederschlagung des Aufstands, dem Auf- und Umbau des Landes und — vor allem — der Wiedergewinnung des Vertrauens der Bevölkerung. „Wir können im Irak keine schnellen Änderungen durchsetzen“, erklärte in diesem Zusammenhang der bereits erwähnte irakische Politiker. „Demokratisierung bei uns braucht Zeit. Viele Machtblöcke glauben, jede Änderung bedrohe ihre Interessen. Gleichzeitig wollen wir kein Chaos in unserem Land wie in der Sowjetunion oder anderen osteuropäischen Ländern“, meinte der Beamte, der offensichtlich zu dem sogenannten Reformflügel in der irakischen Führung gehört. B.S./K.A.