Keine Chance auf Gewerberaum

Chemnitzer Stadtverwaltung schickt 3.500 Anträge an ihre Absender zurück und wirft das Handtuch  ■ Von Franz Böhm

Chemnitz. Junge Existenzgründer bekommen in Chemnitz jetzt schriftlich, was sie bisher nur in ihren schlimmsten Träumen quälte: Sie haben von der Stadtverwaltung bei der Suche nach Gewerberaum keine Hilfe mehr zu erwarten. 3.500 Anträge, die bisher nicht erledigt wurden, gehen zur Zeit einfach postwendend an ihre Absender zurück. Dazu wird der Bescheid beigefügt, daß die städtische Gewerberaumvergabe ihren Dienst quittiert. Jeder müsse auf dem freien Markt selber „fündig“ werden und sich mit dem jeweiligen Vermieter einigen.

Dezernent Berthold Brehm begründete diesen Schritt damit, daß es pro Woche nur 25 Freimeldungen von Gewerberaum gebe und die Behörde „nie nachkomme“. Die Stadt erspare sich und den Antragstellern „bürokratische Umwege“. Die jungen Existenzgründer der sächsischen Industriestadt dürfen damit von jetzt ab die Straßen auf und ab rennen, um vielleicht rein zufällig auf die freien Räume zu stoßen, die der Stadtverwaltung bisher noch als frei vermietbar signalisiert worden waren. Sie finden sich nun ganz in Gesellschaft von jungen Familien wieder, die noch schlechter dran sind, weil mit oder ohne Wohnberechtigungsschein nach Fenstern ohne Gardinen zu spähen, um eine freigewordene Wohnung zu finden, kein Vergnügen ist. Die Existenzgründer können vielleicht noch annoncieren — aber da stehen sie im aussichtslosen Wettbewerb mit Handelsketten und großen etablierten Firmen aus den alten Bundesländern, die das Prozedere länger durchhalten und eine enorme Courtage für Vermittlung von Gewerberaum zahlen können. Fraglich ist nur, wie die Stadtverwaltung jetzt ihr Versprechen einhalten will, einheimische Existenzgründer besonders zu unterstützen, damit sie auf dem „freien Markt“ überhaupt erst einmal Fuß fassen können.

Bleibt zu befürchten, daß die „Monopolisierung“ weiter voranschreitet, da finanzkräftige Großunternehmen des Handels es jetzt noch leichter haben werden, sich die letzten Quadratmeter Gewerberaum an Land zu ziehen und unliebsame Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen.

Im Chemnitzer Wohngebiet „Hans Beimler“ jedenfalls mußten die Einwohner bereits zusehen, wie zunächst eine Annahmestelle des einstigen Dienstleistungskombinates dichtgemacht wurde, die stark frequentiert war und in der beispielsweise Uhrmacher und andere Gewerke beschäftigt waren. Obwohl es vor allem in den großen Neubaugebieten an Dienstleistungen mangelt, bekamen nicht etwa Handwerker den Zuschlag, sondern die „Technoworld“, eine Firma, die ausschließlich Unterhaltungselektronik verkauft. Die Firma erweiterte zudem kräftig in der Nachbarschaft — auf Kosten einer Schneiderei und einer großen Altstoffannahmestelle gleich um die Ecke. Jetzt fragen sich die Bewohner besorgt, ob denn der Friseur und die Sparkassenfiliale in ihrem „Versorgungszentrum“ noch bleiben können. Für alltägliche Erledigungen müssen ohnehin umständliche Wege in Kauf genommen werden, aber dafür haben die Leute den ganzen Tag über das Flimmern von einem halben Hundert Farbfernsehern vor Augen — die Marktwirtschaft, wie sie die Chemnitzer (fast) alle eben nicht wollen. Für den vielgepriesenen Aufschwung für Handwerk und Gewerbe sieht es unter solchen Prämissen schlecht aus, zumindest für die Kleinen, die als Existenzgründer in Chemnitz eher schlechte als gute Karten haben.