Ab Ostern wieder ein Kilogramm Blei täglich

■ Havelchaussee wurde erst in den 50er Jahren geöffnet/ 10.000 Autos täglich gefährdeten das Grundwasser

Zehlendorf. Ostersamstag, 11 Uhr, so entschied gestern der Senat, wird die Havelchaussee wiedereröffnet. Dann werden vor Ort die Umweltverbände gegen die Senatsentscheidung demonstrieren. Auch die Wilmersdorfer Stadträte für Bau, Uwe Szelag (AL), und für Verkehr, Hans- Jürgen Reinecke (SPD), werden dabei sein. Sie wollen Schilder montieren, mit denen an die Autofahrer appelliert wird, aus ökologischen Gründen nicht durch die Havelchaussee zu fahren.

Als der rot/grüne Senat vor einem Jahr die Waldstraße schließen wollte, kam der Protest von der anderen Seite: 150 Damen und Herren, verstärkt durch den Avus-bekannten »Verein engagierter Verkehrsteilnehmer«, bewarfen Verkehrssenator Horst Wagner mit Eiern.

Die geplante Sperrung verzögerte sich damals aber auch deshalb, weil sich die Asphaltköpfe aus dem Zehlendorfer Bezirksamt weigerten, die entsprechenden Sperrschilder aufzustellen. Baustadtrat Menzel (CDU) argumentierte, daß kinderreiche Familien, ältere Mitbürger, Behinderte und Surfer nicht mehr an die Havel kommen könnten. Auch die weißen Pfähle für die Schilder fehlten an diesem Tag. Sie waren in der Nacht zuvor geklaut worden.

Dabei war die Waldstraße vorher gar nicht immer offen gewesen. Erst in den 50er Jahren wurde das Befahren erlaubt, als durch die Folgen des Kalten Kriegs die Westberliner ihre Naherholungsmöglichkeiten in der DDR verloren. An Wochenenden mit gutem Wetter mußte die Polizei die Chaussee auf Grund von Überfüllung zeitweise sperren. 1986 wurde das Nachtfahrverbot in der Zeit von 0 Uhr bis 6 Uhr verhängt. Und 1977 hielt es die Wasserbehörde für notwendig, für die Strecke zwischen Lieper Bucht und Großer Steinlanke eine Abwassersammelleitung anzulegen. Hier sollte bei Regenfällen das Straßenschmutzwasser aufgefangen werden. Der Bau einer solchen Kanalisation wäre allerdings auch heute noch ein erheblicher Eingriff in Natur und Landschaft.

Bis vor der Sperrung am 2. April im vergangenen Jahr befuhren 4.000 Autos die Waldstraße während der Woche, an Sonntagen bis zu 10.000. Von 1980 bis 1988 gab es zwischen Postfenn und Kronprinzenweg 571 Verkehrsunfälle. Neun Menschen kamen dabei ums Leben, 80 wurden schwer und 234 leicht verletzt. Täglich kamen auf der Havelchaussee aus Auspüffen 149 Kilo Kohlenmonoxid, 18 Kilo Kohlenwasserstoffe, 19 Kilo Stickoxide, ein Kilo Schwefeldioxid und ein Kilo Blei.

Ein Gutachten des damaligen CDU/FDP-Senates kam zu dem Ergebnis, daß im Sommer durch den Verkehr die für die Wasserfilterung besonders wichtigen Bodenschichten erheblich belastet werden. Es wurden Schwermetalloxide, Öle, Blei, Kohlenwasserstoffe und mehr festgestellt. Bei Verkehrsunfällen bestand darüber hinaus die Gefahr, daß Benzin und Öl in erheblichen Mengen auslaufen kann. Der damalige Diepgen-Senat wagte allerdings nicht, aus dem Gutachten Konsequenzen zu ziehen. Erst mit Rot/ Grün sollten Waldstraßen einen besonderen Schutz genießen. Dirk Wildt

Siehe auch Bericht auf Seite 21.