Zimmer mit indischer Aussicht

Eins plus zeigt umfassende James-Ivory-Retrospektive/ Heute 22 Uhr: „Unter Wilden“  ■ Von Manfred Riepe

Der 1926 geborene kalifornische Filmemacher James F. Ivory ist Absolvent der renommierten Filmabteilung der University of Southern California. Anders als George Lucas und John Carpenter, die später auch diese Talentschmiede durchliefen, orientierte sich Ivory nicht nach publikumswirksamen Genre-Variationen. Seine Abschlußarbeit Venice — Theme and Variations listete die 'New York Times‘ unter den zehn besten Dokumentarfilmen des Jahres 1957 auf. Zusammen mit dem indischen Produzenten Ismail Mechant gründete er 1962 die „Mechant Ivory Productions“, die heute zu den erfolgreichsten unabhängigen Produktionsfirmen zählt. Merchants Finanzierungstalent ist es zu verdanken, daß Holzindustrielle aus Oregon, ein irakischer Millionär aus NY und ein indischer Millionär bei der Finanzierung der Filme eine ebenso große Rolle spielen wie englische Fernsehanstalten.

Ruth Prawer Jhabvala, eine in Indien lebende deutsche Schriftstellerin, lieferte Stoffe und Drehbücher, an deren Abarbeitung Ivory sein Sujet herausschliff: der Zusammenprall zwischen westlicher und indischer Kultur. Soziale, ethnologische und historische Spannungsfelder sind es, die ihn interessieren.

Der Zugang zu seinen von Modethemen unberührten, dialoglastigen Gesellschaftsstudien ist nicht immer leicht. Ein gewisses Sitzfleisch ist auch für diejenigen erforderlich, die sich 1986 von seiner feinsinnig ironisch-gebrochenen E.-M.-Foster- Verfilmung Zimmer mit Aussicht (am 15. Mai) begeistern ließen. Hollywood in Bombay (von 1970), mit dem die bereits 1980 und 1986 in der ARD ausgestrahlte Ivory-Reihe letzte Woche in 1 Plus startete, ist ein zähes Melodram um eine amerikanische Schriftstellerin, die sich in einen indischen Schauspieler verliebt.

Fortgesetzt wird die chronologisch geordnete Staffel heute mit Ivorys merkwürdigstem Film Unter Wilden von 1972. Ausnahmsweise ohne Mitarbeit von Jhabvala entstand die Schilderung des Aufstiegs und Zerfalls einer Kultur in der Allegorie eines Urwaldvolks, das sich einer Villa samt Inventar für eine lange Wochenend-Party bemächtigt, ehe es wieder im Wald verschwindet.

Mit den folgenden drei Filmen erschloss Ivory neue Themengebiete. In drei, mit Gesellschaftstänzen überschriebenen Episoden schildert Der Tanzpalast von 1977 (am 3.4.) das bittersüße Liebesleid von älteren Paaren, die auf dem Parkett des New Yorker „Roseland“-Ballsaals dem Tod entgegenzuschweben trachten. Der große Trubel um Georgies und Bonnies Bilder von 1978 (am 10.4.) ist eine ironische Reminiszenz an die Indien-Phase. Ein Photographie-begeisterter Maharadscha schart englische und amerikanische Kunstfetischisten um sich, die nach seiner Kollektion altindischer Zeichnungen gieren. Ein seltsam fade angehender Film, dessen „großer Trubel“ erst dann verständlich wird, wenn wir mit den Augen des Amerikaners von den besagten Bildern verzaubert werden. Für die 1979 entstandenen Die Europäer (am 17.4.) ließ Ivory von Jhabvala einen Henry-James- Roman adaptieren, dessen Themen um die Konfrontation zwischen Menschen mit gegensätzlichen Lebensauffassungen kreisen. Die dekadente französische Gräfin Eugenia (Lee Remick) tritt als laszive Versucherin gegen den Puritanismus neuenglischer Lebensformen an, um schließlich enttäuscht nach Europa zurückzukehren.

Im Gegensatz zu seinem australischen Kollegen Peter Weir neigt Ivory nicht zum Ethno-Mystizismus. Für die spirituelle Wallfahrt zur indischen Esoterik hat er nur bissigen Spott übrig, am deutlichsten zu spüren in der Gestalt des Avantgarde- Regisseurs in Jane Austen in Manhatten von 1980 (am 24.4.). Quartett (am 1.5.), 1981 nach einem autobiographischen Roman von Jean Rhys gedreht, schildert in üppigem Dekor die unglückliche Romanze einer jungen Kreolin (Isabelle Adjani) mit einem englischen Hausherren (Alan Bates), in dessen Abhängigkeit sie steht.

In Hitze und Staub von 1982 (am 8.5.) verschmelzen in der Parallelmontage altindisch-kolonialistischer Kulissenzauber mit dem modernen Indien, in dem die Engländerin Anne (Julie Christie) nach Spuren ihrer Großtante Oliva (Greta Sacchi) sucht. Ivory verpflichtete stets hochkarätige Schauspieler, neben den genannten Anne Baxter, Vanessa Redgrave, Geraldine Chaplin und Christopher Walken. Die Reihe schließt mit dem herzerfrischenden „Zimmer mit Aussicht“, über das wohl nichts mehr gesagt werden braucht. Manfred Riepe