Vom Nachttisch geräumt: Schachmatt

SCHACHMATT

Sigrid Hunkes Allahs Sonne über dem Abendland ist ein Klassiker. Aber wie die meisten ihrer Art, wird er selten gelesen. Dabei täte unseren frischerweckten Abendländlern kaum etwas so gut wie die Lektüre dieses 1960 erschienenen Buches, das den Einfluß der islamischen, der arabischen Welt auf unser altes Europa schildert. Kaum etwas zwischen Koch- und Kriegskunst, das wir nicht von dort übernommen hätten. Ja, die Liebe selbst, oder doch wenigstens die Worte, die wir für sie finden, ist ohne die muslimische Kultur des Mittelalters nicht zu denken. Sigrid Hunke wird nicht müde, immer neue Entlehnungen aufzuzählen, zeigt das Auf und Ab unserer Beziehungen. Es wird deutlich, wie sehr Europa, jedenfalls der klügere Teil davon, der nehmende Part war: „Erst mit den Kreuzzügen wurden nach den Vorbildern arabischer Krankenhäuser Pflegestätten eingerichtet, die ausschließlich Kranken und ihrer Wartung dienten.“ Im Jahre 1000 betreuten in Kairo mehrere hundert Bibliothekare in den beiden kalifischen Bibliotheken zusammen zwei Millionen Bände. Im Westen gab es nichts auch nur im entferntesten Vergleichbares. Unser Sprachschatz strotzt vor Übernahmen aus der arabischen Welt. Nicht nur die Namen der von dort importierten Güter — von Arrak bis Zimt— sind längst eingemeindet, sondern auch Hunderte von Wörtern, bei denen niemand auf die Idee kommt, sie könnten zum arabischen Erbe zählen. Bohne, Alkohol, Jacke, Kittel, Koffer, Konditor, Lack, Matratze, Mütze — alles importiert. Sigrid Hunkes Buch könnte helfen, dem seit Beginn des Golfkrieges auch in der Linken blühenden Rassismus entgegenzutreten. Es gibt keine prinzipielle Überlegenheit des Westens: weder moralisch noch geistig noch technologisch. Es sähe besser aus in der Welt, wenn wir diese Lektion verständen. Die Einfürallemal- Strategen seien daran erinnert, daß uns auch das von ihnen so geliebte „Schachmatt“ von den Arabern überliefert wurde und nichts anderes bedeutet als: Der König ist tot.

Sigrid Hunke: Allahs Sonne über dem Abendland — Unser arabisches Erbe. Fischer-Taschenbuch, 376 Seiten, 16,80 DM