Das Zeitalter der Milizen im Libanon ist vorbei

„Zeitalter des Friedens und des Wiederaufbaus“ soll beginnen/ Gesetzentwurf sieht vor, an Stelle der Milizen die libanesische Armee zu stationieren/ Ist die Widerstandsfront gegen die israelische Besatzung eine „Miliz“, die unter das neue Gesetz fällt?  ■ Aus Beirut Leila Burhani

„Das Zeitalter der Milizen ist vorbei. Ein neues Zeitalter von Gesetz und Ordnung beginnt, ein Zeitalter des Friedens und des Wiederaufbaus“, verkündete der libanesische Staatspräsident Elias Hrawi letzte Woche. In dieser Woche will das libanesische Kabinett einen Gesetzentwurf über die endgültige Auflösung der Milizen diskutieren. An ihrer Stelle soll bis spätestens September die libanesische Armee in den Bergen und in der libanesischen Hafenstadt Saida stationiert werden. Das Libanon-Gebirge wird bislang von Djumblats Drusen-Miliz sowie von den maronitischen Forces Libanaises kontrolliert. Über Saida herrschen Nasseristen und Palästinenser. In den letzten Monaten hatte die libanesische Armee schon die Kontrolle über Groß- Beirut und den Süden des Landes übernommen.

Der Bürgerkrieg begann 1975 als Krieg gegen den politischen Konfessionalismus und die verfassungsmäßig garantierten Privilegien der Maroniten, einer der vielen Religionsgemeinschaften des Libanons. Mit dem Zerfall des Staates übernahmen regionale Milizen immer mehr staatliche Funktionen, trieben Steuern ein, errichteten entlang der libanesischen Küste eigene Häfen und wurden in ihrem Einflußgebiet zum wichtigsten Arbeitgeber. Der Kampf um einen demokratischen Libanon nahm immer stärker konfessionelle Züge an und verwandelte sich langsam in einen Krieg um Einflußsphären zwischen Milizen und Regionalmächten, zwischen Clans und Großfamilien.

In den letzten zwei Jahren kämpften die proiranische schiitische Hizbollah gegen die prosyrische schiitische Amal und der Maronit Geagea gegen den Maroniten Aoun um die Vorherrschaft innerhalb ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft. Die Leidtragenden waren am Ende die Libanesen selber. Was viele einst als Schutz gegen die Übergriffe des Staates sahen, wurde zur Quelle von Unsicherheit und Angst. Heute herrscht allgemeine Erleichterung über die Rückkehr des Staates.

Aufgrund des neuen Gesetzentwurfes sollen die Milizen innerhalb des nächsten Monats ihre Waffen an die libanesische Armee übergeben. Die Milizionäre sollen, soweit Arbeitsplätze vorhanden, in Armee, Polizei, Feuerwehr und andere staatliche Dienste übernommen werden.

Nichtregistrierte Radiosender und Privathäfen sollen geschlossen, nichtstaatliche Geheimdienste verboten werden. Wer sich dem unterwirft, dem winkt eine Generalamnestie für alle im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg begangenen Verbrechen; dem Verweigerer droht womöglich lebenslang Gefängnis, sein Eigentum wird beschlagnahmt, seine Bürgerrechte aberkannt. Wo sich die Libanesen alleine nicht durchsetzen können, sollen die Syrer zu Hilfe gerufen werden.

Schon vor zweieinhalb Jahren war unter dem Druck von Syrern und Saudis in der saudischen Stadt Taif ein Friedensabkommen zwischen den libanesischen Bürgerkriegsparteien ausgehandelt worden, das die Wiederherstellung der Souveränität des libanesischen Staates sowie syrische Sonderrechte im Libanon vorsah — letzteres zum Unmut der Amerikaner, die über ihre Verbündeten im maronitischen Lager die Umsetzung des Abkommens torpedierten.

Das hat sich nach den syrisch- amerikanischen Flitterwochen infolge des Golfkrieges geändert: Während seiner Rundreise durch den Nahen Osten ließ der amerikanische Außenminister Baker den Führern von Kataeb und Forces Libanaises auftragen, sie möchten ihren Boykott der „Regierung der Nationalen Einheit“ beenden. Dem Beschluß zur Auflösung der Milizen stand nichts mehr im Wege.

Zwar scheint der innerlibanesische Bürgerkrieg beendet, aber der vollen Wiederherstellung der Souveränität des Staates stehen immer noch Hindernisse entgegen. Das erste ist die israelische Besatzung im Südlibanon. Bis heute halten die Israelis einen sogenannten „Sicherheitsstreifen“ im Süden von ca. 1.000 Quadratkilometern besetzt, den sie gemeinsam mit einer von ihnen finanzierten Söldnertruppe unter Antoine Lahad kontrollieren.

Baker hat bei seinen Gesprächen mit seinem libanesischen Amtskollegen Buis in Damaskus deutlich gemacht, daß an einen israelischen Rückzug entsprechend der UN-Resolution 425 erst dann zu denken sei, wenn die libanesische Armee in der Lage ist, Anschläge von Palästinensern und libanesischen Widerstandsgruppen gegen Israelis und Lahads Milizen zu verhindern.

Die Israelis selber stellen noch weiterreichende Bedingungen. Sie wollen den „Sicherheitsstreifen“ in ihrer Hand behalten, um dem Libanon ein Separatfriedensabkommen à la Camp David aufzuzwingen. Ein Rückzug soll an eine Lösung des israelisch-arabischen Konfliktes über bilaterale Gespräche gebunden sein. Beirut fordert eine internationale Nahost-Konferenz.

Und selbst nach einem Rückzug wollen sie ein Wort im Libanon mitreden. Lahads Söldner sollen mit ihrer ganzen Befehlsstruktur in die libanesische Armee übernommen werden. Damit würde die israelische Kontrolle über den Süden faktisch erhalten bleiben — für die Libanesen unannehmbar. Eine libanesische Miliz ist immer noch etwas anderes als israelische Söldner.

Eine andere Frage, die sich stellt: Ist die Widerstandsfront gegen die israelische Besatzung auch eine Miliz, die unter das neue Gesetz fällt? Scheich Fadlallah, geistiges Oberhaupt der schiitisch-fundamentalistischen Hizbollah, und mit ihm die anderen im Süden aktiven politischen Kräfte, vor allem Amal, die syrischen Nationalisten und die Kommunisten, meinen: Nein!

„Weder ist die libanesische Armee zum Widerstand gegen die Besatzung bereit, noch hat die Regierung konkrete Vorstellungen darüber, wie der Süden zu befreien sei. Sie sagt: mit politischen Mitteln. Aber selbst Amerikaner und Europäer haben keine Druckmittel, oder sie zeigen keinen Willen, Druck auf Israel auszuüben. Unsere einzige Trumpfkarte ist die Widerstandsbewegung. Wenn wir die aus der Hand geben, bleibt uns nichts mehr“, sagt Fadlallah.

Die Diskussion über die Zukunft des palästinensischen Widerstands im Libanon wurde erst einmal vertagt. Ein syrischer Truppenrückzug steht sowieso erst nach voller Wiederherstellung der Kontrolle des Staates über das ganze Land an.

Die Palästinenser im Libanon zeigen selbst wenig Bereitschaft, auf den bewaffneten Kampf von libanesischem Boden aus zu verzichten. Das palästinensische Gewehr ist in ihren Augen noch immer der einzige Garant für die Befreiung Palästinas, was zu Meinungsverschiedenheiten auch mit ihren besten Freunden unter den Libanesen führt. Langfristig müßten sich die Palästinenser in die Lager zurückziehen, meint Georges Battal. Der bewaffnete Kampf, so wie er geführt wird, sei absurd geworden. „Ein ,Staat im Staate‘, eine ,Armee in der Armee‘ ist nicht Voraussetzung für die Befreiung Palästinas.“ Er befürchtet, daß die Palästinenser Opfer ihrer eigenen Illusionen werden und damit anderen den Vorwand zu neuen Massakern liefern könnten.

Statt dessen fordert er, daß den Palästinensern im Libanon volle Bürgerrechte zuerkannt werden, die libanesische Armee die Sicherheit der Lager garantiert und die libanesische Regierung wieder offizielle Beziehungen zur PLO aufnimmt.

Allerdings glaubt auch Georges Battal, daß das Dossier Südlibanon erst mit der endgültigen Lösung des Nahost-Konfliktes geschlossen werden wird. Seiner Meinung nach geht es den Israelis in erster Linie gar nicht um die Angst vor palästinensischen Anschlägen, sondern angesichts der in Israel herrschenden Wasserknappheit, die mit der Einwanderung Hunderttausender sowjetischer Juden noch zunehmen wird, um die Kontrolle über die südlibanesischen Wasserreserven. Aus diesem Grund haben die Israelis kein Interesse an einer Stabilität des Libanons. Fast täglicher Beschuß libanesischer Dörfer und palästinensischer Stellungen und der versuchte Mordanschlag auf den libanesischen Verteidigungsminister letzten Mittwoch scheinen das zu belegen.

Und auch die Syrer wollen zwar die Palästinenser kontrollieren, aber nicht entwaffnen, meint Georges Battal. „Denn falls die libanesische Armee die Palästinenser entwaffnet, hätte Israel keinen Vorwand mehr für die Besetzung des Südlibanons. Dann müßten sich jedoch auch die syrischen Truppen zurückziehen. Das wiederum würde Syriens regionalen Einfluß schwächen — in Hinblick auf mögliche Verhandlungen über die Zukunft der von Israel besetzten Golan-Höhen kaum im syrischen Interesse.“