: Führt Özal die Kurdenpolitik aus der Sackgasse?
■ Die Radikalkur, die Staatspräsident Özal der türkischen Verfassung verpassen will, sieht eine Reform der Repressionspolitik gegenüber den Kurden vor. Doch weder die eigene Partei...
Führt Özal die Kurden- politik aus der Sackgasse? Die Radikalkur, die Staatspräsident Özal der türkischen Verfassung verpassen will, sieht eine Reform der Repressionspolitik gegenüber den Kurden vor. Doch weder die eigene Partei noch die Opposition wollen es ihm danken.
AUS ISTANBUL ÖMER ERZEREN
Im Namen des kurdischen Volkes. Esat Oktay Yildiran. Ich verurteile dich zum Tode.“ Drei gezielte Schüsse. Der Offizier fällt zu Boden. Tausende Menschen jubeln der Szene, die die Ermordung des berüchtigten Folterknechtes im Militärgefängnis Diyarbakir darstellt, zu. „Biji Kurdistan“, „Es lebe Kurdistan“ hallt es durch den Saal. Tosender Beifall für die Theatersketche, die die „Heldentaten“ gestorbener PKK-Guerilleros glorifizieren. Und die Staatsmacht schaut zu.
Das kurdische Freiheitsfest Newroz in Diyarbakir. Im Sportpalast Zeytinburnu in Istanbul haben sich rund 13.000 Menschen zum Newroz-Fest eingefunden. Die türkische Flagge wird heruntergerissen. Grün- rot-gelbe kurdische Flaggen wehen durch den Saal. Dutzende Menschen entreißen mir mein Mikrofon, um selbst auch einmal die Parole des Abends aufs Band schreien zu können. „Biji Kurdistan“, „Biji Apo“. Apo — der Führer der „Arbeiterpartei Kurdistans“, der von den Herrschenden der Türkei verfluchte Guerillaführer; Apo — der „Mörder“, nach den Worten des türkischen Ministerpräsidenten Akbulut.
Auch in Istanbul gibt sich die Staatsmacht bedeckt. Die PKK hatte die Direktive ausgegeben, Newroz gebührend zu feiern. Das Feuer des Aufstandes wurde allerorts in den kurdischen Gebieten und in den Großstädten entfacht. Verwirrung bei den bewaffneten Staatsdienern: Schlagstockeinsatz, Festnahme, Schießbefehl oder Zurückhaltung? Es endete im Chaos. In Silopi und Newroz schossen Sondereinheiten der Armee in die „illegal“ Newroz feiernde Menge, der 35jährige Ali Turan wurde erschossen, andernorts schaute der Staat zu, wie „Oberterrorist“ Apo verherrlicht wurde.
Während die kurdische Guerilla PKK und die türkische Armee einander in den Bergen bekriegen, vergeht kein Tag, wo nicht eine türkische Zeitung ihren Lesern ein Interview mit PKK-Chef Abdullah Öcalan präsentiert. Seit Jahren schon ist die Kurdenpolitik des türkischen Staates in einer Sackgasse. Stets versuchte der Staat mit einer Verschärfung der Repression der Lage Herr zu werden. Ohne Erfolg. Die Sympathien der Kurden in der Türkei für die bewaffnete Guerilla PKK nahmen stetig zu. Seit vergangenem Frühjahr redet man in den kurdischen Gebieten vom Serhildan — dem Gegenstück zur palästinensischen Intifada. Steinewerfende Kinder gehören heute zum Alltag. Wagemutig schlug kein geringerer als der kleine dicke Staatspräsident im Präsidentenpalais in Ankara, Turgut Özal, die neuen Töne an. Noch vor wenigen Jahren ermittelten die Staatsanwälte gegen jedermann, der die Worte „Kurde“ und „Kurdistan“ überhaupt in den Mund nahm. Heute führen alle Politiker die „Kurdenfrage“ im Munde.
Die Ankündigung des türkischen Kabinetts — es war mitten im Golfkrieg — die verbotene kurdische Sprache zu legalisieren, konnte man noch für einen Scherz halten. Denn de facto sprachen die Menschen trotz Verbot schon immer ihre Muttersprache. Doch der Besuch des Chefs der Patriotischen Union Kurdistans, Jelal Talabani, und eines Abgesandten der Demokratischen Partei Kurdistans in Ankara Anfang März auf Einladung Özals war tatsächlich ein Schritt, der Özals Ruf als Tabubrecher bestätigte. Im Flugzeug auf dem Weg nach Moskau plauderte Özal beiläufig aus, daß die kurdischen Guerillaführer, die im Norden des Iraks gegen Saddam Hussein kämpfen, in Ankara waren: „Ist es denn etwa falsch, mit ihnen zu reden. Was im Nordirak passiert, betrifft uns sehr. Wir müssen Freunde sein. Wenn wir Feindschaft hegen, kann es sein, daß andere sie gegen uns ausspielen. Schließlich redet jeder mit ihnen, die Amerikaner, die Engländer und die Franzosen.“ Selbst PKK- Chef Abdullah Öcalan war fassungslos: „Ehrlich gesagt, hätte ich ihm nicht soviel Mut zugetraut. Wenn ihm das keiner ins Ohr geflüstert hat, war das ein gewaltiger Schritt. Will Özal den Kurden jetzt Zuckerbrot geben, um anschließend die Peitsche hervorzuholen?“
Ein Schrei der Entrüstung ging nach Bekanntwerden der Gespräche durch alle Parteien, die bereits den türkischen Nationalstaat in Gefahr sahen. „Ein Spiel mit dem Feuer“, zischte der konservative Vorsitzende der „Partei des rechten Weges“, Süleyman Demirel. Die Sozialdemokraten malten das Gespenst von der Zerstückelung der Türkei an die Wand. Abgeordnete der regierenden Mutterlandspartei, der Partei, die Özal gegründet hat, waren entsetzt. Gesundheitsminister Halil Sivgin erklärte, daß die „Bergtürken — wie der Name schon sagt — ein türkischer Stamm“ sind. Özal mußte vor seiner Abreise nach Camp David die Spitzen der Armee beruhigen: „Habt keine Angst. Die nationale Einheit der Türkei ist nicht in Gefahr. Unsere Kurden wollen sowieso keinen Staat gründen.“
Özal habe ein komplettes Reformpaket in der Kurdenpolitik in seinem Kopf, wird aus ihm nahestehenden Kreisen berichtet. Die Folgen des Golfkrieges — die De-facto-Herausbildung autonomer kurdischer Regionen im Nordirak und der Machtzuwachs der PKK haben Özal offensichtlich dazu bewogen, über neue Politikformen nachzudenken. Getreu seinem Stil versucht sich der autokratisch regierende Staatspräsident in Geheimdiplomatie statt in öffentlicher Diskussion. Niemand vermag zu sagen, wie weitreichend seine Reformvorstellungen sind. Seit 17 Monaten schon wird ein Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Opposition zur Legalisierung der kurdischen Sprache im Rechtsausschuß blockiert. Und während des Golfkrieges kündigte Özal einen vergleichbaren Gesetzentwurf an.
Mittlerweile gilt es als sicher, daß die Türkei einen kurdischen Bundesstaat im Nordirak befürwortet. „Wir haben die Türkei um politische Unterstützung gebeten. Sie wurde uns gewährt“, teilte Talabani nach seinem Besuch in Ankara mit. Streitpunkt scheint nur die PKK. Von Ankara als „terroristische“ Organisation, die den türkischen Staat zerschlagen will, angesehen, ist sie für Talabani dagegen eine „revolutionäre, patriotische Kraft“.
„Die Karte des Nahen Ostens wird sich verändern“, hatte Özal bereits während des Golfkrieges prophezeit. Das Projekt einer erstarkten türkischen Regionalmacht — wie Özal sie im Kopf hat — beinhaltet sogar den wagemutigen Gedanken, daß die Türkei Schutzmacht für den kurdischen Bundesstaat im Nordirak werden könne. Reiche Erdölfelder befinden sich schließlich in der Region. Um diese Rolle spielen zu können, ist eine Liberalisierung der Kurdenpolitik seitens des türkischen Staates unabdingbar. Doch zum einen ist Özal für seine Unberechenbarkeit bekannt, zum anderen sind da die Widerstände im Armeeapparat, innerhalb der regierenden Mutterlandspartei und der noch viel „staatstreueren“ Opposition.
PKK-Chef Öcalan, der recht versöhnliche Töne anschlug, ist sich der Schwierigkeiten bei der Änderung der gegenwärtigen Kurdenpolitik durchaus bewußt. Die offizielle Politik Ankaras wie auch die Staatsideologie, die seit Jahrzehnten die kurdische Existenz leugnen und auf Zwangsassimilierung setzten, ist allmächtig. Die Purzelbäume des dicken Mannes von Ankara haben den Guerillaführer verwirrt: „Auf wen vertraut eigentlich Özal. Kann er die Geschichte bis zum Schluß durchstehen. Oder macht er alles nur, um die Kurden zu täuschen? Wir wissen das alles nicht.“
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