: Reinhold Messner keucht
Foto: Dominik Bender
Asiatische Lebensweisheiten wirken altklug und unangenehm belehrend, wenn sie in falsche Hände geraten. Der unsichtbare Zeigefinger erhebt sich dann und zeigt, wie man »richtig« lebt. »Tieferer Sinn« oder »Weisheit« werden zu zwanghaften Schlagwörtern. Das Theater zum Westlichen Stadthirschen versucht, mit seiner neuesten Produktion »Fern von Japan« andere Wege einzuschlagen. Das aber gelingt nur teilweise.
In 23 kleinen Episoden zeigt das vierköpfige Ensemble unter der Regie von Elisabeth Zündel, was ihm so alles einfällt zu Japan. Da werden Verbindungen zu Leonard Bernstein und Glenn Gould geknüpft: »Im Grunde wollen wir Klavier sein, nicht Mensch«. Oder zu Reinhold Messner, dem bekloppten Gipfelstürmer: »Ich denke dann nicht, ich handle.« Das Brutverhalten der Pinguine wird sehr bildhaft und komisch dargestellt. Wenn sich zudem noch ein Schauspieler als Fujijama verkleidet und Fotos ('Fujibilder') von sich machen läßt, fällt es schwer, nicht zu reagieren, nicht zu lachen. Diese feinen Spitzen und kleinen Blödeleien vermitteln japanische Denkweisen ohne überladene Wichtigtuerei und japanbezogene Gefühlsduselei. Die Pinguine watscheln, Reinhold Messner keucht, der Fujijama wackelt.
Doch nicht alle Episoden entwickeln eine derartige Distanz. Befremdlich sind die Szenen, in denen Heike Amend, Karen Behmer, Martin Schnurr und Elisabeth Zündel versuchen, ganz Japaner zu sein. Schrecklich bedeutungsschwanger wandelt z.B. Pilger Mu mehrfach über die Bühne. Einmal entkleidet er sich, springt, schreit, fuchtelt wie ein tollwütig gewordener Hahn: »Das hat gutgetan!« Das mag ja sein, interessiert aber keinen. Schauspielerübungen gehören zum Probenprozeß und nicht in die Vorstellung. Das gilt auch für den sogenannten »Karate-Zen«: ca. vier Minuten lang tritt eine Schauspielerin eine Säule! Noch mal. Und noch mal. Immer das gleiche. Was hat sie ihr getan? Vielleicht erklärt sie das sogar, aber leider ist alles, was sie sagt, in französischer Sprache abgehalten. Wer dieses scheußliche Idiom nicht beherrscht, kann nur noch eine sehr private Aufwärmübung auf der Bühne sehen.
Als zu künstlich, zu stilisiert empfindet man noch einige andere Szenen. Es gelingt selten, sich fallenzulassen und die Geschichtchen einfach zu erleben. Merkwürdig unberührt entläßt einen die Vorstellung. Anja Poschen
»Fern von Japan« nur noch bis Sonntag um 20Uhr im Theater zum Westlichen Stadthirschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen