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Gemeinsam speisen, gemeinsam verrückt

Der Vater der Gräfin (Bernd Raucamp/ rechts) und Gege (Bernhard Leute) beim Tango(Foto: Ilona Zarypow)

Peres liebt Ada. Ada liebt Attilio. Attilio liebt Elvira. Derart ausweglose Personenkonstellationen sind typisch für Dacia Maraini. Sie läßt sie gemeinsam speisen, gemeinsam verreisen, oder aber, wie in »Stravaganza«, gemeinsam verrückt und eingesperrt sein. Das Italien der siebziger Jahre ist der Hintergrund dieses Stückes. Damals wurden die psychiatrischen Anstalten geschlossen und die Patienten zu ihren Familien entlassen.

Das Werktheater Wedding und das Zan Pollo Theater illustrieren Dacia Marainis absonderliche »Welt des wunderlichen Denkens«. Peres (Werner Schuster) philosophiert über Exkremente, die den umgekehrten Weg durch den Körper gehen und wieder zu Birnen, Äpfeln oder was auch immer werden. Elvira, die »Gräfin« (Anke Rupp), verhält sich extravagant und provozierend, flaniert mit einem »Sonnenschirm« durch die Räumlichkeiten der Klinik, verstaubt hoheitsvoll mit Laufmaschen. Ada (Marliese Sondermann) ist das Gegenstück, die freche Schlampe mit den verfilzten Haaren, die Attilio (Jürgen Wink) nicht dazu bewegen kann sich ihr zuzuwenden.

Ilona Zarypow inszeniert einen beklemmenden Kreislauf: Rivalität und Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Patienten wechseln sich ab. Die Bühne von Ursula Scheib, obwohl in einem warmen Rotton gehalten, ist karg, wirkt nüchtern, eben klinisch. Neben den vier Hauptpersonen gibt es noch ein paar beeindruckende stumme Rollen, Patienten, die trotz kleiner Späßchen zu immer traurigeren Figuren werden, je länger man sie beobachtet. So ist der Alltag in der Klinik und so könnte er immer weitergehen.

Und dann geschieht das Unerwartete. Die Patienten sind auf einmal keine Patienten mehr. Sie kehren zu Ehegefährten oder den Familien zurück. In kurzen Szenen, voneinander getrennt durch Live-Musik, werden die jeweiligen Reaktionen der Angehörigen geschildert. Und die lassen sich ganz kurz zusammenfassen: einmal Patient, immer Patient! Mit irrationalen Ängsten, Ablehnung und Genervtsein werden die ehemaligen Partner konfrontiert. Aus der großen Veränderung wird nichts. Es ist nicht die Reform als solche, die versagt, sondern die Umwelt. Und letztere ist bei Ilona Zarypow noch befremdlicher als die Patienten selbst. So vollführt der Liebhaber von Attilios Frau (Chris Dehler) akrobatische Kunststückchen auf einem Stuhl, während er gleichzeitig den heimgekehrten Ehemann vor die Tür setzt. Von Adas todkranker Mutter ist nur ein überlautes Atmen zu hören. Ein weiterer Höhepunkt des Abends ist der Tango vom Vater der »Gräfin« mit seinem Liebhaber Gege (Bernd Raucamp, Bernhard Leute). In seiner eigenwilligen Choreographie sagt er alles über diese Dreierbeziehung — und bringt einen nun doch mal richtig zum Lachen. So künstlich (oder besser kunstvoll) die beiden Welten innen und außen gezeigt werden, so wenig gekünstelt wirken sie auf der anderen Seite. Wunderschön sind die Arrangements und doch nicht zu steril, als daß sie nicht mehr berührten. Die Koproduktion hat sich gelohnt: alle Beteiligten auf und vor der Bühne bieten einen Theaterabend allererster Güte.

Am Ende des Abends schließt sich der Kreis. Die ehemaligen Patienten finden sich nach und nach wieder in der Anstalt ein — von zu Hause verstoßen kehren sie freiwillig in ihre eigene Welt zurück. Und Peres liebt Ada, Ada liebt Attilio, Attilio liebt Elvira... Anja Poschen

»Stravaganza« Mittwoch bis Sonntag um 20Uhr im Zan Pollo Theater (bis 21.April)

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