Dem Waldschlößchen bliebe nur noch Beton

Planer-Phantasien drehen sich in Kreisen um die Stadt im Kessel/ Der baubund Sachsen will die „Idee von Dresden“ erhalten  ■ Von Detlef Krell

Der sanfte Bogen des Stromes geleitet den Blick von den weiten Uferwiesen mit ihren alten, einsamen Bäumen hin zu den Brücken und Türmen der Altstadt. Dreikönigskirche, Kathedrale, Rathaus, das Italienische Dörfchen, auch die Brühlsche Terrasse sind zu sehen. Die Silhouette Dresdens gekrönt von grünen, weichen Hügeln, möchte dem Waldschlößchenblick noch immer schmeicheln.

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Einst bot sich vom kleinen Pavillon am Waldschlößchen die schönste Aussicht auf Dresden. Von hier aus war die feingliedrige, ins Elbtal gebettete Stadt als eine Einheit zu erleben. Doch längst ist die Johannstädter Betonwand, sind mehrere Hochhausscheiben vom Elbufer aus ins Bild gewachsen. Sie schlucken die halbe Altstadt und den Freitaler Windberg einfach weg. Wo einst die Frauenkirche die malerische Silhouette der Stadt krönte, qualmt jetzt der Schornstein des größten Dresdner Heizkraftwerkes. Die Hügel hinauf sind Satellitenstädte hingestellt worden. Bauten, so beliebig wie die Städte, in denen sie stehen könnten. „Was für Wien der Blick vom Schloß Belvedere auf die Stadt bedeutet, das war für Dresden der Blick auf die Stadt von der Waldschlößchenterrasse aus, ein von Malern über Jahrhunderte hinweg gesuchter und beliebter Standort“, erinnert der Architekt Prof. Siegbert Langner von Hatzfeld. „Mehr noch als vom Neustädter Ufer aus wird hier die Idee von Dresden erlebbar. Ich komme vom Weißen Hirsch herunter zum Waldschlößchen, und an dieser Stelle öffnet sich wunderbar der Blick zum Elbraum. Dresden ist noch in überschaubare Bereiche gegliedert, die historisch gewachsen sind. So erleben wir den Stadtkern, die Hauptstraße mit dem Platz der Einheit und dem Goldenen Reiter, Blasewitz, Striesen, den Weißen Hirsch. Der Mensch hat dort nie das Gefühl der Verlorenheit.“

Verloren werden sich die DresdnerInnen am Waldschlößchen fühlen, wenn jenes Projekt durchgedrückt wird, just an dieser Stelle die Elbe mit einer wuchtigen Brückenkonstruktion zu überspannen. Eine Dresdner Golden Gate Bridge neben dem Blauen Wunder. Die Baukosten werden auf 160 Millionen DM veranschlagt; über die Zerstörung von Villen, Gärten, historischen Straßenzügen schweigt das Rechenstück der Ingenieure. Zwei ausschweifende „Kleeblätter“, jedes so groß wie die historische Altstadt, sollen die Autoströme aufnehmen und über die von einem schornsteinhohen Pylon gehaltene Stadtautobahn aufs jenseitige Ufer leiten. Neu ist dieser Plan nicht. Er wurde schon im Oktober 1988 für eine „Ministerratsvorlage“ ausgeheckt und blieb dann im Hohen Rat liegen. Es erging ihm, dem Mangel sei es gedankt, wie in den 70ern dem „Generalverkehrsplan“, der die Stadt mit dreispurigen Radialen autogerecht zerhacken und die Straßenbahn auf separatem Gleisnetz zur Stadtschnellbahn heranzüchten wollte. Heute scheinen neue Zeiten für alte Höhenflüge angebrochen, denn mit dem Einigungsvertrag hat die Stadt dieses unsägliche Sandkastenspiel geerbt. Die Elbbrücke am Waldschlößchen taucht im Stadtplanungsamt als „sensibelste Lösung“ des Dresdner Verkehrschaos wieder auf.

Das Zitat brachte der Architekt Michael Kaiser aus dem Rathaus mit in die kargen Arbeitsräume des baubundes Sachsen e.V. „Die gewöhnen sich einfach an, die ganzen Worte mal schnell zu übernehmen, wie behutsame Stadtsanierung, ökologisch orientiert, sensibelste Lösung. Dabei werden hier sehr sensibel die alten Villen weggeschmissen, zwei riesige Knotenpunkte entstehen, du wirst die Landschaft nicht wiedererkennen. Der Elbblick wäre völlig verloren.“ Gigantomanie, so war es schon immer, als eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. „Der moderne Verkehr“, erklärt Prof. Langner von Hatzfeld, „fordert seine eigenen Größenordnungen, die kaum noch mit der Intimität des menschlichen Maßes in Einklang zu bringen sind. Jede Maßstabsverschiebung ist eine Gefahr für die so feingliedrige, sensitive Landschaft der Dresdner Elbhöhen.“

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Noch ist der Bau nicht beschlossen. Doch die Ahnung, daß sich irgendeine Firma heute schon auf den ersten Baggerhub einrichtet, will sich hartnäckiger halten als die Hoffnung, daß das Verkehrsplanungsamt aus den hervorgekramten Unterlagen eine Flotte Elbschiffchen bastelt. Amtsleiter Gerhard Ritscher wirbt mit der griffigen Losung „Mobilität sichern — Umweltschutz stärken“, Ausgangspunkt der verkehrspolitischen Entwicklung Dresdens sei die „Integration des Ballungsraumes Dresden in das europäische Verkehrsnetz mit der Stärkung der Verkehrsverbindungen in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung.“ Da ist sie wieder, die Ringkonzeption. Zwar plädiert Ritscher für stadt- und umweltfreundliche Verkehrsplanung, doch als Alternative zum privaten Auto bietet er lediglich eine „bevorrechtigte“ Straßenbahn an. Das Goldene Wunder wäre damit noch lange nicht aus der Welt. „Wir brauchen diese Brücke an keiner Stelle, wenn wir auf die Ringstraßenkonzeption verzichten“, faßt Michael Kaiser die Meinung des baubundes Sachsen zusammen und lenkt auf seinen Stadtplänen mit einigen Handbewegungen die Autokarawanen durch Dresden. „Den Durchgangsverkehr lösen wir vor der Stadt, schon in Heidenau und in Radebeul.“ Wer die Zukunft Dresdens entwerfen will, sollte die Geschichte der Stadt begriffen haben.

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Dresden ist an einer Furt gewachsen. Wo die alte Salzstraße von Nürnberg nach Krakau führte, entstand sehr früh die erste Brücke über die Elbe. „Als die Stadt heranwuchs, liefen immer mehr Verkehrswege strahlenförmig auf diese eine Stelle zu. Die Stadt entwickelte sich aber von Nordwest nach Südost, entsprechend dem Verlauf des Stromes. Ähnlich wuchsen Meißen und Pirna heran. „Wir haben also heute einen Siedlungsraum von Riesa bis nach Pirna, ein Ballungsgebiet, das im Widerspruch zu diesem strahlenförmigen Straßensystem steht.“ Nach Auffassung des baubundes Sachsen müßte die Antwort der Verkehrsplaner heißen, entlang der Elbe, so wie das Ballungsgebiet gewachsen ist, Trassen zu führen und diese miteinander zu vernetzen. „Wir brauchen also die gewachsene Verkehrsstruktur nur zu begradigen und an verschiedenen Stellen zu korrigieren, in den Querverbindungen zu ergänzen, könnten das Straßensystem aber annehmen. Das wäre das Pendant in der Verkehrsplanung zu dem, was sich baulich entwickelt hat. Alles auf einem Ring in die Stadt zu führen, um es dann wieder zu verteilen, bringt das Chaos. Die äußere Struktur der Stadt, durch die Höhenzüge geprägt, benötigt diesen Ring nicht und kann so einen Widerspruch nicht vertragen.“ Tödlich wäre für die Stadt eine Bebauung der grünen Höhenzüge. Die Stadt im Kessel braucht Frischluft, und diese Frischluft kann nirgendwo anders von der Natur geschaffen werden als auf den bewaldeten, von tiefen Gründen durchzogenen Hügeln um die Stadt. Dresden sei kein europäischer Verkehrsraum für eine überdimensionale Trasse von Skandinavien bis nach Athen. Die Ringkonzeption, wofür sich die Waldschlößchenbrücke als ein Schlüssel erweist, ist Bestandteil eines weit größeren Planes, der Autobahntrasse von Dresden nach Prag.

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Dieser Highway würde, von den Dresdner Südhöhen kommend, südlich der Elbe das Elbsandsteingebirge und angrenzende Landschaften mit einem 30 Meter breiten Betonband durchschneiden. Das Ende einer einzigartigen Landschaft rückt in erlebbare Nähe. Schon heute wuchern im Landratsamt Pirna heimlich Pläne heran, die Sächsische Schweiz mit Golfplätzen, Hotels und Gewerbe „zu erschließen“.

Auf den Highway brauchte nicht verzichtet zu werden. Er könnte etwas weiter westlich durch die Industriegebiete im Erzgebirge führen und Gewerbe nachziehen, das dann dazu beiträgt, die ökologischen Notstandsgebiete, auch im böhmischen Kohlepott, zu rekultivieren. Diese Zusammenhänge hat der baubund Sachsen in zahlreichen Foren, meist von der Grünen Liga organisiert, sehr überzeugend dargestellt.

Der baubund Sachsen, gemeinnütziger Zusammenschluß von Architekten, Ingenieuren, Künstlern und Handwerkern, will kein Bau- Verhinderungs-Verein sein. Geschäftsführer Dr. Frank Zabel beschreibt das Vereinsziel als eine „interdisziplinäre Zusammenarbeit vieler am Bau beteiligter Stände. Wir haben nicht nur einen einzelnen Bau im Blick, sondern die Stadt, die Landschaft, das Land. Wir wollen zu einer lebendigen Harmonisierung von Natur und bebauter Umwelt beitragen. Städteplanerische und verkehrsplanerische Aspekte sind besonders wichtig, weil dort die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Deshalb darf Stadtplanung nicht einem Amt überlassen bleiben. Was dabei herauskommt, wenn Bevölkerung und Fachleute nicht gefragt werden, können wir jeden Tag sehen.“ Ein Kampf gegen das Stadtplanungsamt sei indes nicht angesagt. Der baubund wünsche Kooperation. Manches gute Gespräch mit dem Oberbürgermeister und dem Dezernenten Ingolf Roßberg lasse darauf hoffen. Doch „wenn Fachkompetenz von freien, guten Architekten ignoriert wird, dann kämpfen wir natürlich“. Zu diesem Kampf gehört die Forderung an die Stadt, für Verkehrsplanung und Stadtplanung Transparenz herzustellen.

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So, wie es der baubund von Anfang an hält. Am autofreien Sonntag ist Prof. Siegbert Langner von Hatzfeld, Vorstandsvorsitzender des baubundes Sachsen, mit Dresdnern in der Stadt spazierengegangen. Ob sich das denn überhaupt noch lohne, war die bange Frage. „Autofahren macht keinen Spaß mehr“, meinte der Professor, „doch ein Spaziergang an der Elbe entlang, vom Goldenen Reiter nach dem Körnerplatz, ist immer noch ein Erlebnis. Und die Elbwiesen am Waldschlößchen sind dabei ein Höhepunkt. Wir müssen uns diese Naherholung erhalten.“ Als Alternativen zu den abgegriffenen Ring-Konzepten aus dem Rathaus und als Ergänzung zu seinen alternativen Angeboten für die Autoströme hat der baubund Sachsen ein Nahverkehrskonzept erarbeitet. Wissend, daß sich Nahverkehr der Zukunft nicht nur in den Verwaltungsgrenzen der Stadt Dresden bewegen kann, setzen die Fachleute des Vereins zuerst auf eine Erweiterung des S-Bahn-Netzes im gesamten Ballungsraum zwischen Meißen und Pirna. Das bestehende Netz soll, für eine knappe Million Einwohner und ebenso viele Touristen, verdichtet und um einige neue Linien im Zentrum erweitert werden. „Wir denken daran“, erläutert Architekt Eberhard Bauer, „solange es in der Stadt noch möglich ist“, also bevor alle Baulücken zubetoniert worden sind, „mit neuen S-Bahn-Linien unterirdisch die wichtigsten Punkte der Innenstadt miteinander zu verbinden.“ Nicht der Straßenbahn sei damit Einhalt geboten, sondern den Autoströmen in der Stadt und im Ballungsgebiet. Das Bahnnetz unter dem Stadtpflaster gleiche einem S im rechten Winkel zum S des Elbestromes. Umsteigebahnhöfe am Platz der Einheit, am Pirnaischen Platz, am Postplatz, am Kulturpalast würden das Zentrum vernetzen. Für die Zukunft wären Anschlüsse bis in die heute noch vom Nahverkehr weitgehend ignorierten Satellitenstädte, nach Gorbitz oder Prohlis, unumgänglich. Außerhalb des Stadtzentrums könnten sie durchaus auch überirdisch geführt werden. Das wäre ein ernstzunehmendes Angebot, das eigene Auto stehenzulassen und auf Arbeit oder ins Konzert mit der Bahn zu fahren.

„Warenhäuser, Banken, Kulturhäuser, alles würde in eine neue Beziehung zu diesem Verkehrsmittel gesetzt“, beschreibt Michael Kaiser die Vision des baubundes. „Die Bahn, knapp unter der Straße, könnte an den entscheidenden Punkten der Stadt im Sonnenlicht ankommen. Plätze wären denkbar, an denen die alten Stadtbefestigungen wieder sichtbar werden. Es geht also nicht um eine aufwendige Tunnelbahn mit ihren psychologischen, sozialen Gefahren.“

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„Wer soll denn das bezahlen?“, stöhnt die Stadt im Chor. „Heute müssen wir darüber reden und uns überlegen, ob wir eine solche Lösung wollen oder nicht. Steht erst ein einziges neues Gebäude auf dieser Trasse, wird solch ein Vorhaben um ein Vielfaches teurer.“ So oder so müssen die Dresdner über Jahre mit Baustellen leben. Nicht nur, weil sich alle Politiker mit dem unvermeidlichen Bauboom aus ihren Wahlversprechen herausreden. Fragt sich nur, ob daraus wieder Dresden entsteht und nicht, wie es der baubund befürchtet, nach der Zerstörung durch Bomben und dem „sozialistischen Wiederaufbau“ eine neue Zerstörung durch kommerzielles Bauen, eine Stadt ohne Gesicht. Die Kritiker der phantasievollen Pläne aus den baubund-Büros haben es leicht. Schnelle Lösungen, einfache Antworten hatten hierzulande allemal ein dankbares Publikum. Der baubund, gemeinsam mit vielen örtlichen BürgerInneninitiativen und der Grünen Liga, geht den mühsamen Weg öffentlicher Diskussion über alternative Konzepte. Und von diesen Konzepten war bisher wesentlich mehr in der Presse zu lesen als von denen aus dem Stadtplanungsamt. Bald wird, nützliche Ergänzung zu einem angemessenen Nahverkehrsnetz, an den Kiosken ein Dresdner Radverkehrskonzept erhältlich sein. Geschrieben wird es vom baubund und von der IG Radverkehr, Weimarer und Münchner Studenten übernahmen in ihrem Auftrag mit unverstelltem Blick die Suche nach vorhandenen und möglichen Radwegen. Einer wird vom Goldenen Reiter zum Körnerplatz führen.