“Drüben geht die Ruhe flöten“

■ Fünf RostockerInnen in der Spannung zwischen Osten und Westen

„Ich krieg' manchmal schon Kritik von meinen Freunden drüben. Man entfremdet sich total. Die haben ganz andere Probleme. Was heißt drüben? Siehste, ich rede schon von drüben.“ Jens Priebe ist einer von zehn Beamtenanwärtern aus Rostock, die seit sechs Monaten in Bremen ihre Ausbildung für den Verwaltungsdienst absolvieren. Schon das erste halbe Jahr in der Hansestadt hat sie spürbar verändert.

„Bei uns war das so: Das Studium war futsch, weil die Hochschule Pleite gemacht hat. Dann haben wir uns hier beworben.“ Der neue Job brachte viele Veränderungen in der Wahrnehmung mit sich. „Die Ruhe, die bei uns in der DDR war, ging von der Sorglosigkeit aus. In der Schule habe ich nie geglaubt, daß hier eine Ellenbogengesellschaft ist, aber ein bißchen recht hatten die schon. Und drüben geht die Ruhe jetzt flöten“, erzählt Asrid Kramm.

Irritation ist das vorherschende Gefühl unter den Neubremerinnen. Wer sind die Wessis, wer die Ossis, wo läuft jetzt die Grenze im Kopf. Ein durchaus anregendes Wechselbad aus neuen Erfahrungen und und alten Vorurteilen. „Hier wird die Persönlichkeit viel besser entfaltet als bei uns. Bei uns haste mit 40 oder 50 Jahren nur noch ‘Ja und Amen' gesagt“, so Jens Priebe, und Christina Jais ergänzt: „Man lernt hier viel — mehr im Unterbewußtsein — und das kriege ich dann erst mit, wenn ich nach Hause komme.“

Die Irritationen bleiben. „Hier kocht sich jeder sein eigenes Ding. Hier zählt Geld vielmehr als drüben, aber damit muß man fertig werden“, erzählt Jens Priebe. Das Vertraute in Rostock verschwindet während der dreijährigen Ausbildung und hier im Westen bleibt vieles fremd. Dazwischen bleibt den Fünfen kaum Zeit zum Nachdenken. „Hier sind die Leute so furchtbar aktiv. Ich war abends noch nie so gestreßt und fertig wie hier in Bremen. Hier habe ich tatsächlich das Gefühl, gedrängelt zu werden“ berichtet Astrid Kramm.

Die BeamtenanwärterInnen wollen nach ihrer Ausbildung wieder zurück nach Rostock. Sie wollen dort „Aufbauarbeit leisten“, auch wenn sie ihrer Rückkehr mit gemischten Gefühlen entgegensehen. „Momentan sehen wir nur Negatives in Rostock“, meint Frank Baumgarten und Astrid Kramm ergänzt: „Drüben ist nichts mehr wie es war. Viel Neid geht um.“

Fast wehmütig lehnt sich Jens Priebe in die Erinnerung vergangener Zeiten zurück: “Wenn das Kollektiv geil war, dann bin ich dort geblieben, und es hat Spaß gemacht. Hier geht es mehr um Karriere und Geld.“ Thorsten Richter