Nimm mich, flüstert das Sofa

■ Eine Reise durch das Reich der Zwei- und Mehrsitzer, der Bezüge und Bezugsquellen

In der Wohnung stellt sich keine Ruhe ein. Die Harmonie ist gestört. Das Zimmer neigt sich einer Seite zu, weil da ein Bett steht. Das ist zuviel und zu groß für das Zimmer und außerdem fehlt etwas. Ein Sofa fehlt. Ein praktisches, sachliches Ausziehsofa könnte das Bett ersetzen und das Zimmer so wieder ins Gleichgewicht bringen. Und wenn ein Sofa da wäre, könnte man im vertrauten Gespräch mit sympathischen Besuchern viele Dinge besser bereden.

So warf sich der Wunsch aufs Sofa. Tagelang irrte der Blick unstet durchs Zimmer und gruppierte die Dinge ums fehlende Möbelstück, das mal so, mal so aussah. Der Mangel war entdeckt, der das Dasein bislang mißlingen ließ. Wunsch und Mangel wurden zusammengeschweißt und ergaben ein neues Ziel: Sofa. Ein Sofasuchbericht von

Detlef Kuhlbrodt

Lange genug, schrieb Peter Weiss in der Ästhetik des Widerstands, war »der Unterschied zwischen unserm Leben und dem bürgerlichen Dasein« hervorgetreten, jenem bürgerlichen Dasein, »dem verschwenderisches atmosphärisches Kolorit zur Verfügung stand, in dem es feste und traditionsbeladne Beziehungen gab zu Möbeln und Schmuckstücken, zu Zimmerfluchten und Gärten, während wir uns hier in einem Warteraum, einem Übergangraum befanden, leicht und schnell zu verlassen und zu vergessen. Für uns indessen, denen der Wohnraum nie gehörte und der Aufenthaltsort eine Zufälligkeit war, war nur das Fehlende, der Mangel, die Eigentumslosigkeit von Gewicht.«

Dem Hausen mit den Dingen, »zwischen denen wir gerade noch geduldet waren«, sollte das Wohnen gegenüber gestellt werden: »Denn das Hausen«, konstatierte Walter Benjamin, »ist das zerstörende Wohnen, ein Wohnen, das gewiß keine Gewohnheiten aufkommen läßt, weil es die Dinge, ihre Stützpunkte fortschreitend wegräumt«.

Ich brauchte außer »Bücher, Menschen, Bilder, den Festigkeiten in einem Leben, das sonst nur das Unstete kannte«: ein Sofa. Denn »die Urform allen Wohnens ist das Dasein nicht im Haus, sondern im Gehäuse.« (Benjamin) Im Gehäuse ist es schön! Ich war wohnsüchtig geworden, wie das 19. Jahrhundert, von dem Walter Benjamin schreibt: »Es begriff die Wohnung als Futteral des Menschen und bettete ihn mit all seinem Zubehör so tief in sie ein, daß man ans Innere eines Zirkelkastens denken könnte, wo das Instrument mit allen Ersatzteilen in tiefe, meistens violette Sammethöhlen gebettet, daliegt...« (Das Passagenwerk)

Im Fahrstuhl zum Sofa

Strategien des Möbelkaufs wurden entworfen. Das Branchenverzeichnis kennt allein in West-Berlin die Adressen von etwa 100 Möbelgeschäften. Etwa 30 kommen in die engere Auswahl. Mit einem Filzstift werden die Zentren der Möbelverkaufsbranche auf dem Stadtplan umkreist. Ein paar Orte bleiben zunächst tabu: IKEA zum Beispiel, denn im IKEA-Katalog gibt es immer nur Ausziehsofas in gruseligen Mustern, mit merkwürdigen Wülsten. Außerdem kehrt man nur ungern zurück an die Orte vergangener Einkaufswagenschieberei. Andere Orte werden mit Ausrufungszeichen versehen.

Eigentlich sollte man — für kleine Politik, gegen Kapitalkonzentration — in der Nachbarschaft beginnen. Nur schade, daß es um den Anhalter Bahnhof herum keine Möbelgeschäfte, nur Lattenrostläden, Bettgestellager und ein ziemlich modernes Sarggeschäft gibt. Wenige Kilometer weiter hingegen konzentriert sich die Möbelbranche an der Genthiner Straße: Möbel Hübner, Möbeltick, Möbelsowieso haben sich zusammengetan, um voneinander zu profitieren. Möbel Kretzer, Wohnen 2001 und eine Handvoll anderer Geschäfte fangen diejenigen ab, die immer noch nichts gefunden haben.

In zwei Häusern, auf siebzehn Stockwerken, zeigt Möbel Hübner die Dinge, von denen man zuvor noch gar nicht wußte, daß man sie haben muß. Es gibt keine Rolltreppen. Aufgeregte Menschen drängen sich in nobel verzierten kleinen Fahrstühlen, die sich selten nur den Wünschen der Insassen fügen. Statt dessen werden sie von Mitbürgern, die auf 17 Stockwerken mit teuflischem Grinsen an den Fahrstuhlknöpfen spielen, nach überall und nirgendwo dirigiert. Im Fahrstuhl verloren, denkt man an den berühmten Schauspieler Hans-Jörg Felmy, der seine Münsteraner Studentenjahre in einem Fahrstuhl wohnend verbracht hatte.

In den einzelnen Etagen ist es still. Mauve, rose, aber auch dezentbunt gemustert suchen ein paar Sofas vergeblich zu imponieren. VerkäuferInnen stehen unauffällig an den Ecken und warten darauf, daß man sie anspricht. Alte Bohemiens, die ihre Baskenmützen schief auf dem Kopf tragen, durchblättern in der Cafeteria mit gewichtigem Blick die 'Berliner Morgenpost‘.

Gegenüber beim Möbeldiscounter Möbeltick hat man auf allen Schnickschnack verzichtet; keine Rolltreppen, keine Fahrstühle, nur kalte Steintreppen. Die Möbel stehen eng beieinander, übereinander, untereinander und schauen etwas unwirsch. Undefinierbare Grau- und Brauntöne erschrecken den Besucher. Bei Rahaus am Adenauer- und bei Wohnen 2001 am Wittenbergplatz dagegen, versuchen Sofas in modernen Farben Kleinfamilien, junge Ehepaare und auch ein paar Junggesellen zu verführen.

Das Sofa als Duftmarke

Was sind moderne Farben und Muster? Collagenartige Sammelsurien; ab und an ein paar dezentältliche Waldbeerentöne; Naturfarben. Wer einen anderen Bezug will, muß tiefer in die Tasche greifen. Für Arrivierte, die ihren Aufstieg ein bißchen nach außen kehren wollen, hält man Ledersofas bereit. Leder ist Natur; Leder riecht; Leder altert mit Ihnen, bekommt Falten und Risse und ist auch noch stolz drauf. In jedes Büro gehört ein Einzelbettledersofa. Wenn die anderen Angestellten schon längst zu Hause sind, arbeitet der Jungunternehmer bis tief in die Nacht. Im Mondenschein, wenn alles schläft, verwandelt sich dann das kleine Schwarze mit dem unwiderstehlichen Duft in eine karge Bettstatt. Die erste Nacht allein mit dem ledernen Bürosofa markiert einen Unternehmerlebenseinschnitt, der nicht weniger bedeutsam ist als die erste Liebesnacht.

»Nimm mich mit, nimm mich mit«, flüstern die Möbel bei Schneller Wohnen. »Achte nicht auf den Preis.« Die Alternativszene der frühen Achtziger scheint sich in der Pohlstraße etabliert zu haben. Ein Hippiepenner im Hinterhof erinnert an andere Zeiten. Solange es noch lief, lief ständig Radio 100 zur Untermalung des Möbelkaufs. Radio 100 machte im Gegenzug die Werbung, die nicht ganz zu Unrecht das Möbelhaus in der Pohlstraße sexualisierte — »schneller wohnen, aber laaaangsam genießen«. Das moderne Möbelstyling präsentiert sich einfach und klar. Denn nur emporgekommene »Workaholics« (Arbeitssüchtige) sehnen den Reichtum quasi mit Leder und auffälligen Möbeln herbei, der Yuppie bleibt dezent und bezahlt wortlos.

In den anspruchsvolleren Möbelhäusern im Zentrum des Westens scheint man sich darauf geeinigt zu haben, den Kunden nicht zu stören. Erst bei Möbel Kretzer am Nollendorfplatz entwickelt sich ein Dialog mit einem Möbelhändler: »Haben Sie dafür keinen anderen Bezug?« — »Nein.«

In den Träumen liegen imposante Dreisitzer übereinander. Ein kleiner Schaumstoffzweisitzer schaut zu und ist traurig. »Aufgepaßt und zugefaßt«, murmelt immer wieder ein zahnloser Verkäufer. »Wir nehmen die Preise ins Visier«, verkündet das Schaufenster von Möbel Gründler in der Blücherstraße. »Bequem und formschön«. Singend tragen zwei Möbelpacker ein Sofa durch die Tür. Federkern und Lattenrost sollte es schon haben. Das richtige Sofa ist nicht am Lager. Im Katalog kann man es finden. Modell Colombo! Modell Colombo! Modell Colombo läßt sich mit einem Stoff nach Wahl beziehen und kommt dann in ein paar Wochen. — Danke! — »Sie brauchen nicht danke zu sagen. Das gehört doch dazu!«

Erdmöbel und Attrappen

Fährt man die Hermannstraße immer geradeaus, immer weiter und weiter, so kommt man nach Britz. Das ist ein seltsamer Bezirk: Ein Friedhof folgt auf den nächsten, Bestattungsunternehmer konkurrieren um die Toten. Wohnblöcke werden von Autobahnen begleitet. Die Fitnesscenter kann man kaum zählen und auch die Menschen schauen irgendwie anders aus.

Immer was los in Britz. Neugierig haben sich die Wohnblockbewohner auf ihre Fensterbrettkissen gelehnt und starren auf 60 Löschzüge, die jeden Tag aufs Neue vergeblich diverse Lagerhallenbrände zu löschen suchen. »Sind die immer noch nicht fertig«, frotzelt man bei Wurstmaxe. Die Imbißstube steht zwischen Aldi, drospa, Bauhaus und Möbel Tegeler. In einem Nebenzimmer hat man kistenweise Sekt bereitgestellt, um den erfolgreichen Verkauf zu begießen: »Hits aus Britz«. Bei Ritz und Nitz gegenüber kann man Türen, Fenster, Jalousien und Markisen kaufen.

Hier freut sich das »Doppelbettsofa Astrid« am Bezug »Fritz«. Der Kunde geht. Wo ein Möbelhaus ist, ist auch das nächste nicht weit. ABM liegt kaum hundert Meter entfernt. Deshalb sind die Verkäufer gezwungen, offensive Verkaufstechniken anzuwenden. Doch nur zu leicht durchschaut man den jungen Mann (und vermutet Kopfprämien im Hintergrund), der verspricht, daß er das gewünschte Stück ohne Aufpreis mit einem anderen Bezug versehen wird.

Um nicht im leeren Raum zu möbeln, versucht man in den meisten Möbelhäusern eine möglichst realitätsgetreue Umgebung nachzuempfinden. Sofas und Sessel stellen sich um einen Beistelltisch. Dinge des täglichen Gebrauchs finden sich auf Schreibtischen, Ablagen und in den Regalen der Wohn- oder Jugendzimmerschränke. Überall gibt es mehr oder minder gute HiFi-Anlagen-, Fernseher-, Cmputer- und vor allem Buch- oder Videocassettenattrappen. Alle möglichen Titel sind vertreten. Besonders beliebt: Technik-Lexika, Koch- und Reisebücher, ein bißchen deutschen Pazifismus — E.M. Remarque bzw. Hans Helmut Kirst — Jugendbücher (Enid Blyton) und ein paar Krimis (Der Schakal, Papillon, Der Pate).

Bei den Buchdummies lassen sich signifikante Unterschiede ausmachen: Gewöhnlich (wenn auch ein bißchen vulgär) sind rote, blaue, grüne Pappschachteln im Buchformat. Auf der Pappe wird das Lederimitat der Buchklubs imitiert. Inzwischen kauft man allerdings auch (meist bei Bertelsmann) ganze Bücher, deren lesbare Innenteile falschrum drin liegen. Ob das Ausschußware ist, oder ob Bertelsmann inzwischen gezielt unlesbare Bücher produziert, war nicht zu erfahren.

Ein Sofa für die Marktwirtschaft

Ein Verkäufer Lippisch-Westfälischer Möbel in der Hasenheide erwähnte, daß es mittlerweile schwierig sei, ausziehbare Zweisitzer zu bekommen. »Die aus der DDR« würden »die« alle wegkaufen. Vielleicht meinen die verratenen Ostler ja, daß das mit den Folgeerscheinungen der Vereinigung nur ein Mißverständnis sei und daß es lediglich eines bequemen Ausziehsofas bedürfe, damit sich die nette Marktwirtschaft neben einen setzt und man dann freundlich alles regeln kann. Doch »die Sitzgruppe von der Stange gehört endgültig der Vergangenheit an.«

Immer wieder begegnet man im Ostteil der Stadt verlassenen Schriftzügen, die darauf hinweisen, daß hier mal Möbel verkauft wurden. Man müht sich redlich, eine Möbelgeschäftsinfrastruktur westlichen Standards zu errichten. Die meisten Möbelgeschäfte träumen indes noch allein vor sich hin. Nur zwischen Rosa Luxemburg-, Rosenthaler- und der Neuen Schönhauser Straße stehen mehrere nebeneinander. »Sofa ist heute nicht mehr gleich Sofa!« ruft Möbel Kähler in der Rosenthaler Straße und überrascht »mit einem ungeheuren Formen-, Farben- und Musterreichtum«. »Alles, wessen das Herz bedarf« liefert die Möbelhandlung Voigt.

Das war nicht immer so. Möbel und Auslegware waren im Sozialismus Mangelware, denn die einheimische Möbelbranche hatte vor allem für den Export gefertigt. »Wir hatten eigentlich gar nischt zu tun«, berichtet eine Verkäuferin bei Möbel Wodinski. Und wenn mal Möbel geliefert wurden, »gingen die sofort weg«. Erfreut erzählt sie von zahlreichen Kunden, die enttäuscht dem Möbelparadies West den Rücken kehrten und nun wieder hier kaufen.

Im Einrichtungshaus am Alex gibt's alles zu »Abverkaufspreisen«. Außerdem stehen hier echte Bücher in den Regalen. Die Titel der sozialistischen Restbestände verbergen sich schamhaft hinter violettglänzenden Umschlägen. Aus Mangel an Attrappen oder als besonders raffinierte Attrappe der Attrappe zeigt ein echter Fernseher den ersehnten Wohlstand an. Beim Jungen Wohnen in der Schönhauser Allee sieht man zwischen merkwürdigen Plastikhifitürmen, -fernsehern und -telefonen junge Geschäftsführer auf Plastikschreibmaschinenattrappen von ungestümen Sofas schreiben: »schick, kreativ, fröhlich, fetzig, frech«. Ohne FCKW hergestellt. Dem modernen Schnickschnack macht man bei A+V in der Knaackstraße mit antiquarisch bezaubernden und zudem noch äußerst preisgünstigen Schränken, Anrichten und »Friskos« (Frisierkommoden) ein Ende.

Auf ins Möbelparadies Bad Segeberg

Wütend stößt ein grüner Möbelwagen von Möbel Tegeler mit einem roten von Möbel Höffner zusammen. Grinsend freut sich der Dritte. Schwarz-orange-rote Möbel-Kraft- Laster aus Bad Segeberg, einer spaßigen Spielzeugstadt in Schleswig- Holstein, bestimmen vermehrt das Berliner Straßenbild.

Denn wer im Innern Berlins nichts gefunden hat, ordert seine Möbel in den Außenbezirken: Möbel Kraft ist ca. 400 Kilometer vom Stadtkern (billige Grundstückspreise) entfernt. Schwarz-orange-rote Möbelwagen des Familienbetriebs fahren wöchentlich nach Berlin, verschiedene Busgesellschaften bieten Kaffeefahrten an.

In der Karl-May-Stadt dreht sich alles um Möbel: 3.000 Arbeiter und Angestellte arbeiten hier für Sofa und Schrankwand, eine Straße ist nach dem verstorbenen Möbeltycoon »Artur Kraft« benannt, ganze Stadtteile gehören dem Möbelkonzern. Durch die Entfernung verstärkt sich der Mythos vom billigen Möbel. Wer jedoch erst einmal in Bad Segeberg gelandet ist, wird Schwierigkeiten haben, wieder herauszukommen; wird in der Kantine von Möbel-Kraft billig speisen, wird am Marktplatz verlottern, in zwei städtischen Seen ertrinken, wird im Kurzentrum entsorgt, im städtischen Kino verblöden, im Hotel Stadt Hamburg wohnen, sich in der Hippiekneipe »Klackermatsch« erschießen; vergebens werden die Versuche sein, auf Umwegen die Stadt zu verlassen. Als Autoeinweiser bei Möbel-Kraft werden Berliner Wohnsüchtige enden, die mit frohem Blick sich aufgemacht hatten und meinten, den Schrecken der Kleinstadt frech trotzen zu können.