Betriebsräte wollten Bezirkschef stürzen

■ Berlins IG-Metall-Vorsitzender Wagner durch Einsatz Steinkühlers gerettet/ Grund: Tarifabschluß

Berlin. Dem IG-Metall-Chef des Bezirkes Berlin-Brandenburg, Horst Wagner, blies im Laufe seines gewerkschaftlichen Lebens schon oft der Wind ins Gesicht. Was er sich aber gestern auf einer Konferenz der Betriebsräte von Metall- und Elektroindustrie in Ost-Berlin anhören mußte, trieb ihm die Röte ins Gesicht und den IG-Metall-Bundesvorsitzenden Franz Steinkühler auf die Barrikaden. »Ich werde Horst Wagner nicht entlassen«, rief er, denn »wenn die IGM alle Funktionäre in die Wüste schicken würde, die mal einen Fehler gemacht haben, dann wären wir eine sehr kleine Organisation«.

Der Schutz aus Stuttgart war notwendig, denn die Konferenz unter dem Thema »Arbeit und Leben in Berlin-Brandenburg« wurde von den Ostberliner Betriebsräten umfunktioniert in ein Tribunal gegen die »übereilte« und »undurchschaubare« Tarifpolitik des ehemaligen Berliner Arbeitssenators. Ihr Hauptvorwurf lautete, daß der am 10. März abgeschlossene Metalltarifvertrag, der eine Angleichung der Ostlöhne auf Westniveau bis 1994 vorsieht, in der Tarifkommission nur von einer Minderheit gebilligt wurde. Nur 62 von 100 Mitgliedern seien zur Abstimmung überhaupt geladen worden. Und die hätten dem Ergebnis nur mit einer sehr knappen Mehrheit von 28 zu 23 bei drei Enthaltungen (Quelle: Horst Wagner) zugestimmt. Wäre die Tarifkommission vollständig gewesen, argumentierten die Betriebsräte, wäre das Verhandlungsergebnis als »unzureichend« zurückgewiesen worden. Diese Vorwürfe hielt Steinkühler für »unpolitisch«. Der Tarifvertrag sei zwar »kein glänzender Sieg«, aber mehr wäre bei der starken Stellung von Gesamtmetall nicht drin gewesen. »Mit Arbeitslosen und Kurzarbeitern könne man bekanntlich nicht streiken«, sagte er.

Heftige Angriffe richteten sich auch gegen die Treuhandanstalt, der vorgeworfen wurde, einen Ostbetrieb nach dem anderen plattzumachen. Es fehle ein »klarer gesetzlicher Sanierungsauftrag«, sagte Steinkühler. Der Gewerkschaftsboß rechne damit, daß es nach dem Auslaufen der verlängerten Kurzarbeiterregelung in Berlin 250.000 und in Brandenburg 680.000 Arbeitslose geben wird. Die Kurzarbeiterregelung müsse in ganz Deutschland bis Ende 1992 verlängert werden. Für den 17. April rufe die Gewerkschaft deshalb zu einer Großdemonstration in Berlin auf.

Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) hatte zuvor die Betriebsräte zu entschlossenem Widerstand gegen »finstersten Manchesterkapitalismus« und »neue Seilschaften« aus alten Betriebsdirektoren und Kapitalgebern aufgefordert. Daß Widerstand sich auch in »fast aussichtslosen Zeiten« trotzdem lohne, betonte der Betriebsratsvorsitzende des Elektro- Physikalischen Apparatewerks in Neu-Ruppin. Nach Betriebsbesetzung und Straßenblockaden in Neuruppin und einer vierwöchigen ununterbrochenen Mahnwache vor der Treuhand wurde am Montag erreicht, daß sämtliche 2.500 Beschäftigten am 1. Juli in eine Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaft überführt werden. Entlassen wird keiner. aku