WEST-WEISSE UND OST-NEGER: Ein einig Volk von Jammerlappen

Ein Schuhhändler aus dem Hessischen staunte nicht schlecht, als er unlängst seine neue Filiale in Dresden inspizieren wollte: Am hellichten Werktag fand er den Laden geschlossen. Die Geschäftsführerin gab sich überrascht, als sie deswegen zur Rede gestellt wurde: „Wir haben die letzten beiden Tage so gut verkauft, daß ich heute geschlossen habe. Früher haben wir das auch so gemacht.“

Begebenheiten wie diese haben derzeit die Lufthoheit an westdeutschen Stammtischen — die Häme gegen die Ostfriesen („Wird bei VW in Emden am Band gearbeitet oder darf man frei rumlaufen?“) ist nix gegen die Real-Satire, mit der die Ossis zur Zeit zum neuen National-Trottel Nummer Eins avancieren. Da mag der Kanzler mitten aus der Abmagerungskur an „Aufbauwillen, Wagemut und Gründergeist“ appellieren so viel er will, der Volksmund hat längst was anderes gefressen: Geschichten von Unfähigkeit, Schlamperei und Stümpergeist. Konnten die Deutschen der DDR im Leistungs-Wahn-System der BRD als produktivste Schaffer des gesamten Ostblocks noch einen zwar zweitklassigen aber immerhin Spitzenplatz verbuchen, sind sie als neue BRD-Bürger auf dem besten Weg, zu Totalversagern abzurutschen, gegen den selbst die auf der deutschen Arbeitsmoralskala ganz unten rangierenden Afrikaner noch als rührige Hans Dampfs erscheinen. Wenn es stimmt, daß einer immer der Neger sein muß, hat Deutschland davon zur Zeit 19 Millionen.

Aber, und wegen der Wichtigkeit der Sache möchte ich ein zweites aber hinzufügen: Die ehemalige DDR ist nicht die Sahel-Zone. Einem Landstrich, an den allein der Opel-Konzern 26 Prozent seiner Autoproduktion verkauft, kann es nicht ganz schlecht gehen. Angesichts der Rekorde beim Schweinefleisch-Verzehr kann erst recht nicht von wirklicher Not gesprochen werden. Eher schon von PS-Hungerbäuchen. Und das macht das ganze Gejammer so ekelhaft: das der Wessis über die Unfähigkeit der Ostdeutschen, und das der Ossis über die schlechte Behandlung durch den Westen. Es mag sein, daß der marktwirtschafliche Chauvinismus der West-Profis die Ostbevölkerung zum dilletantischen Neger abstempelt, umgekehrt aber nehmen die Ex-DDRler diese Rolle nur zu bereitwillig an, gerieren sich als Opfer eben jener D-Mark-Apartheid, deren Einführung sie vor kurzem noch herbeijubelten. Schon befürchtet man in Bonn, daß ein Sternmarsch von Ost-Demonstranten auf die Bundeshauptstadt zu bürgerkriegsähnlichen Szenen führen könnte, daß aufgebrachte Wessis sich die Proteste der „Schnorrer“ aus dem Osten nicht bieten lassen werden, und die Wiedervereinigung der Deutschen, des 1989 „glücklichsten Volks der Welt“, in ein von Neid, Geiz und Mißgunst geschürtes Debakel übergeht.

Deutschland — ein einig Volk von Jammerlappen. Man könnte über diese Posse nur lachen, gäbe es nicht den erschütternd ernsten Hintergrund, vor dem das Ganze sich abspielt: Das elftreichste Volk der Welt vereinigt sich mit dem drittreichsten. Das Armenhaus steht nach wie vor woanders.

EINEINIGVOLKVONJAMMERLAPPEN