Eiskalte Aufstiegsfarce in Krefeld

PEV Weißwasser verliert in Krefeld 6:1, bleibt trotzdem in der ersten Eishockey-Bundesliga, kickt Dynamo Berlin in die zweite und reißt Krefeld nach 13 Jahren wieder in die erste. Klaro?  ■ Aus Krefeld Bernd Müllender

Eishockey-Fieber in Krefeld weit über 40 Grad. Um Eintrittskarten zu bekommen, lungerten manche die ganze Nacht über vor den Toren. Chefs hatten ihren Angestellten freigegeben, wenn sie nur ein Ticket mitbrächten. Eine Gruppe von Fans hob die Eingangstüren zur Rheinlandhalle aus den Angeln, um die Tribünen lange vorab vorsorglich zu besetzen. Im Chaos des Schwarzmarktes später wurden sogar Ordnern Ehrenkarten zu Horrorpreisen offeriert.

Und als es tatsächlich geschafft war, ging über die Tribünen ein bunter Regen von Luftballons nieder, aus allen Ecken spritzte der Schampus, der Kapitän busselte weinend seines Präsidialen hohe Stirn und Hinterkopf. Und Verdis Triumphmarsch donnerte nach der letzten Entscheidung dieses Puck-Winters pausenlos durch die altehrwürdige Krefelder Rheinlandhalle. Der Traditionsklub Krefelder EV, einstmals, 1952, Deutscher Meister, 1978, nach dem finanziellen Ruin, in die unwürdigen Niederungen einer Regionalliga zwangsrelegiert, ist nach 13 langen Jahren wieder in die erste Eishockey-Bundesliga aufgestiegen.

Nach dem 6:1-Sieg im alles entscheidenden dritten Play-Off-Match gegen den PEV Weißwasser war sogar die Pressekonferenz nur unter erheblichen Mühen möglich, weil auch im VIP-Raum die vielkehligen Loblieder der Betuchten und Bepelzten kein Ende nehmen wollten. „Eine der bittersten Niederlagen meiner sportlichen Karriere“, befand Weißwassers Präsident Rüdiger Noack schließlich. Und alle grinsten oder lachten.

Doch nicht Übermut oder Schadenfreude erfüllte die Herzen der KEV-Freunde, sondern Gespür für Ironie am richtigen Platz. Warum, das machte ein Mann deutlich: Lorenz Funk, der Manager des Ligakonkurrenten EHC Dynamo Berlin. Stinkesauer und mit Leichenbittermiene verfolgte der Altinternationale die Jubelorgien der Rheinländer. Denn nicht der PEV Weißwasser war mit dem 1:6 abgestiegen, sondern auch seine Dynamos.

Schuld an dieser sportlichen Farce trägt der Deutsche Eishockey- Bund und dessen unausgegorene Satzung. Diese nämlich sah keinen Modus für den Fall der Frankfurter Eintracht vor, die vor Monatsfrist aus Finanznöten ihre Eishockeytruppe aus der Bundesliga zurückgezogen hatte. Konkret: Wer soll den zusätzlich freien Platz einnehmen? Diese Frage war, trotz Drängen der betroffenen Vereine auf eine faire, sportliche Lösung, wochenlang unbeantwortet geblieben. Erst die Mitgliederversammlung am 13. April, beschieden die Verbands-Großkopfeten, könnten über das Problem befinden.

Doch ausgerechnet am Tag vor dem ersten Spiel Weißwasser-Krefeld vergangenen Freitag entdeckten die DEB-Oberen urplötzlich Handlungsbedarf und legten eine Zugriffsreihenfolge fest. Ein Anrecht auf die Vakanz haben in dieser Reihenfolge: Weißwasser als Bundesliga-Vorletzter, Dynamo als Letzter und Krefeld als Zweitligazweiter. Ein fataler, nachgerade grotesker Beschluß, mit der Sensibilität eines Bandenchecks: Denn er bedeutete, daß Weißwasser auch bei einer Niederlage auf glattem Eis über den grünen Tisch in der Bundesliga verbleiben würde. Die Play-Offs mit Krefeld waren für den letzten DDR-Meister also nichts als Freundschaftsspiele. Was umgekehrt nicht galt: Denn wenn sich Weißwasser sportlich durchgesetzt hätte, wäre Dynamo Berlin statt des KEV auch 1991/92 Erstligist geblieben.

Wie Hohn müssen die Dynamos zudem die plötzliche innige Freundschaft zwischen dem alten DDR- Konkurrenten und dem KEV empfunden haben. Noch vor dem ersten Bully einigten sich die beiden Klubs schiedlich-friedlich auf das Düsseldorfer Eisstadion als Austragungsort für ein mögliches drittes Match und verkündeten vorab eine Einigung über die zu erwartenden extrafetten Einnahmen. Dynamo legte Protest ein, der DEB widersprach am Samstag dem internen Deal, zog das Los und fand so Krefeld als verbindlichen Drittspielort.

Der Konkurrent aus der Lausitz sah sich in Krefeld bestens bewirtet und konnte auf Vermittlung der freundlichen Gastgeber zu günstigen Konditionen einen neuen Reisebus erstehen. Wem das zu offensichtlich nach Einigkeit klang, der konnte sich am Dienstag an Zeitungsmeldungen laben, beide Klubs seien plötzlich in einen erbitterten Streit um die Einnahmen geraten. Als dann die Kellen gekreuzt wurden, geschah das Erwartete: Weißwasser spielte verhalten körperlos, ohne letzten Biß wie noch beim 3:2-Sieg am Sonntag. Auf den Tribünen standen sich die Sport- Gläubigen und die süffisanten Lächler gegenüber, und bald machte das Wort vom „Paarlaufen der Meister“ die Runde. Schon in den Drittelpausen gab Krefelds rühriger Präsident Urban, ein örtlicher Edelstahlhändler, euphorisch Interviews, wie in der Eliteliga trotz Millionenschulden „mit neuen heißen Indianern“ statt satter Stars der Klassenerhalt gesichert werden solle. Und als das nie gefährdete 6:1 feststand, verdrückten sich die erschöpften Cracks des siegreichen Verlierers Weißwasser schamerfüllt und ohne das branchenübliche Shakehands in ihre Kabinen.

Nein, an Absprache oder direkte Manipulation wollte auch Lorenz Funk nicht glauben. Nur wußte er ums Selbstverständliche: Für wen es nicht um die Existenz geht, der checkt halt etwas vorsichtiger, der gibt nicht das Letzte. Dick Decloe, Krefelds Eishockey-Idol der 70er Jahre, zum Triumph erstmals wieder jubelumbrauster Gast, meinte mild lächelnd, nun ja, Weißwasser habe wohl „etwas verkrampft gespielt“. Weißwasser-Trainer Schorsch Kink nannte die Motivationsprobleme: „Das Fleisch war willig, nur der Geist nicht ganz hundertprozentig...“ Lorenz Funk traurig: „Eigentlich hätten wir mit Krefeld spielen müssen, wenn wir dann verloren hätten, ich hätte nichts gesagt.“ Aber diese skandalöse, unsportliche Lösung sei halt „typisch DEB“. Und so trollte sich der deprimierte Mann kopfschüttelnd von dannen, zur langen Rückfahrt in seine Heimat Bad Tölz. Auf der Autobahn wird er Zeit genug gehabt haben, die Deppen vom Eishockey-Bund zu verfluchen.

Und während er Tränen vergoß, wackelten in Krefeld die Wände — und KEV-Kapitän Fabig, der volltrunken, aber glücklich immer wieder schrie: „Jetzt wird gesoffen, bis der Arzt kommt. Hoffentlich kommt er nicht, hoffentlich kommt er nicht, hoffentlich kommt er nicht...“